Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß
ist nicht mehr aufzuhalten.«
»Die Undankbaren! Er ist so gütig gegen sie.«
»Güte ist gewöhnlich Schwäche. Da du so viel über ihn vermagst, solltest du ihn veranlassen, sein Versprechen zurückzunehmen.«
»Nimmermehr.«
»Wie du willst. Schließlich, was kommt auf den einen an? Er wird ein Beispiel abgeben und dadurch auf andere wirken.«
»Was glaubst du, daß ihm geschehen könnte?«
Aber Natalia Arkadiewna antwortete nicht.
Es ist ganz gut so, dachte sie. Wir müssen Exempel statuieren. Wenn Grischa von seinen Bauern erschlagen werden sollte, würde das ein solches Entsetzen verbreiten, daß Hunderte von Landwirten ihren Leuten freiwillig ihr Land abtreten. Wie gut, daß ich Wera mitnahm. Diesen Grischa wird sie lieben, aber der andere wird sein Spiel mit ihr treiben. Auch das kann uns nützlich sein. Doch daraus Nutzen zu ziehen ist Wladimirs Sache.
»Hast du schon gehört, daß mein Vater nach Moskau kommt?«
»Der geheime Staatsrat Arkad Danilitsch Niklakow?«
»Er hat den Auftrag, die nihilistischen Verbindungen aufzuspüren.«
»Wirst du ihn sehen?«
»Ich werde zu ihm gehen und ihn warnen.«
»Vor wem?«
»Vor den Nihilisten.«
»Sie werden gegen deinen Vater nichts im Schilde führen.«
»Wie unverständig du sprichst. Sie müssen das! Der Staatsrat Niklalow ist ihr Feind. Nenn er uns entdecken und angeben will, mag er mit seiner Tochter den Anfang machen. Er liebt mich übrigens sehr.«
»Ach, wie schrecklich.«
»Ich kann ihm nicht helfen.«
»Was können die Unsern ihm antun?«
»Ihn zum Tode verurteilen, wenn er – – «
»Nun, wenn er?«
»Seine Pflicht tut und etwas Verdächtiges findet. Es muß aber um jeden Preis verhindert werden, daß er eine Entdeckung macht, da sonst die Reise des Zaren hierher unterbliebe, ein Umstand, der alle unsere Pläne zerstören würde. Ich muß also irgend etwas aussinnen, das ihn verhindert, in Moskau Entdeckungen zu machen, was bei dem Charakter meines Vaters sehr schwer sein wird; denn er ist ebenso klug und furchtlos, wie umsichtig und pflichttreu.«
»Wie willst du das also anfangen?«
»Ich werde gewiß etwas finden. Kann ich dabei auf deine Hilfe rechnen?«
»Ja.«
»Ich danke dir. Jetzt lasse mich allein.«
Es wird doch schwer fallen, dachte sie, als Wera gegangen war. Er ist ein eiserner Charakter. Aber es muß versucht werden. Ihm zu schreiben, daß er getötet wird, sobald er etwas gefunden, nützt nichts. Das einzige ist, mich so stark zu kompromittieren, daß eine Anzeige seinerseits meine Transportation nach Sibirien zur Folge hätte, oder noch Schlimmeres. Er muß für mich zittern, so zittern, daß er seine Pflicht verletzt. Denn er liebt mich noch immer. Ich glaube, da kommt Wladimir Wassilitsch.
Sie erblaßte und schloß die Augen; kaum, daß sie sich aufrecht halten konnte. Aber sie faßte sich schnell, und als Wladimir Wassilitsch die Tür öffnete, trat sie ihm in ihrer gewöhnlichen gelassenen Weise entgegen: »Gut, daß Sie kommen; ich habe allerlei mit Ihnen zu besprechen. Wie geht es Ihrer Frau?«
Sie legte auf das letzte Wort einen besonderen Nachdruck. Wladimir Wassilitsch merkte die Absicht, ohne ihr besonders dankbar dafür zu sein.
»Tania Nikolajewna ist wohl. Übrigens wird auch sie ihre Tätigkeit angewiesen erhalten.«
»Wozu wollen Sie Tania Nikolajewna verwenden? Dieses holde, zarte Wesen! Wie können Sie das über Ihr Herz bringen? Auch würden Sie es sicher bereuen. Nein, nein, sie muß damit verschont bleiben.«
Ei, sieh doch! dachte Wladimir, Daß ich Tania liebe, erträgt sie; aber ich soll sie nur zum Tändeln und Kosen haben. Meine Taten mit mir zu teilen, gönnt sie ihr nicht. Sie möchte sie allein begehen mit mir. Was für Frauen es gibt!
Dann sagte er: »Tania Nikolajewna darf nicht untätig bleiben; sie will es auch nicht. Jeder, der zu uns gehört, muß seiner Fähigkeit und seinem Können gemäß von uns verwendet werden. Nun wird Tania Nikolajewna allerdings nicht viel leisten können; aber mit dem, was sie zu tun vermag, muß gerechnet werden. Sie wird übrigens ihre Pflicht erfüllen.«
»Darf ich fragen, was Sie Ihrer Frau auftragen werden?«
»Ich habe allerlei Pläne. Hörten Sie sie einmal singen?«
»Nein.«
»Das ist schade. Sie soll Ihnen vorsingen; Sie verstehen etwas davon. Tania Nikolajewna hat eine überaus liebliche Stimme; russische Volkslieder singt sie, daß man dabei weinen möchte. Ich bin überzeugt, sie kann mit ihrem Gesange einen jeden bezaubern. Vielleicht läßt sich dieses Talent ausnützen. Ich kann es ihr nicht ersparen, ihre Fähigkeiten und Kräfte für die Sache zu verwerten.«
Und auch mir kann ich es nicht ersparen, hätte Wladimir hinzusetzen können. Denn sein Vorsatz kostete ihn große Überwindung. Von Tag zu Tag gewann das süße Glück, das er in der Liebe der holden Tania fand, mehr Gewalt über ihn. Vergebens war er bemüht, sich gegen den starken Einfluß zu wehren, sich dem Liebesbann, der auf ihm lag, zu entziehen. Er ertappte sich immer wieder auf Gedanken, die nicht bei der »Sache«, sondern bei Tania waren, auf Vorstellungen, in denen er sich mit ganz anderen Dingen als mit Terrorismus und Agitation beschäftigte. Er hatte Augenblicke der Schwäche, der Sehnsucht, der Leidenschaft. Dann überhäufte er sich selbst mit Vorwürfen und faßte die besten Vorsätze, jede Regung, die nicht der Sache gehörte, in sich zu ersticken. Wenn Tania sich direkt an der Agitation beteiligte, würde das, so hoffte er, ihn von ihr abziehen; außerdem war sie, als sein Weib, es der Sache schuldig.
Natalia Arkadiewna wagte nicht, das begonnene Gespräch fortzusetzen. Zum erstenmal flößte der Mann, den sie heimlich anbetete, ihr ein Gefühl ein, darein sich bei aller Bewunderung etwas wie Schrecken mischte, Schrecken vor der allerletzten Konsequenz, die aus dem anarchistischen Prinzip sich entwickelte: du sollst nichts für dich selbst besitzen, auch nicht dein Weib!
Wladimir Wassilitsch war ein Fanatiker seines Prinzips, der auch vor der allerletzten Folgerung nicht zurückschrecken würde. Und Rußland wimmelte von solchen Geistern.
Ende des ersten Bandes.
Zweiter Band
Erstes Kapitel
Mehr und mehr arbeitete sich Anna Pawlowna in einen Gemütszustand hinein, der ihr allmählich gefährlich zu werden drohte. Sie durchwühlte ihr Inneres nach Empfindungen, die sie in dem Glauben bestärken sollten, daß sie im Grunde ihres Herzens eine Nihilistin sei. Sie analysierte ihre Gefühle, um den Nerv zu entdecken, der sie mit dem Volke verband. Unbefriedigt vom Leben, in ihrer Frauenehre tödlich beleidigt, suchte sie fieberhaft nach einer Erhebung ihrer ganzen Existenz und glaubte dieselbe mehr und mehr in der Hingebung an eine Sache zu finden, die sich durchaus als das Gegenteil dessen dartat, was ihre gewohnte Umgebung ausmachte. Sie erhitzte ihre Phantasie, denn nur so konnte es kommen, daß sie die Gestalt des Mannes aus dem Volke, durch dessen Liebe sie sich von der erlittenen Schmach reinigen wollte, in einem künstlichen Dämmerlichte, in einer Beleuchtung sah, die sie von Sascha nur das erkennen ließ, was sie selbst von ihm erkennen wollte.
Während sie solchermaßen sich von ihrem ganzen Leben loslöste