Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

Die wichtigsten Werke von Richard Voß - Richard Voß


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kostete. Sie lehnte sich gegen die Wand und wandte ihm ihr Gesicht zu.

      Warum sieht sie mich so entsetzt an? dachte er. Sollte ich mich getäuscht haben? Aber sie ist so schön, daß ich um ihretwillen wollte, es wäre alles wahr, was ich gesagt habe. »Aber so reden Sie doch,« sprach er laut. »Mein Gott, was ist Ihnen? Habe ich Sie erschreckt?« Sie schwieg immer noch.

      »Wenn Sie befehlen, will ich gehen.«

      Damit wandte er sich der Tür zu. Da endlich sprach sie; Boris hörte es ihrem Atem an, wie schwer es ihr wurde.

      »Boris Alexeiwitsch, warum haben Sie mir das alles gesagt, mir, die Sie mich im Grunde Ihres Herzens verachten?«

      »Ich Sie verachten? Ich verehre Sie!«

      Aus seinem Tone klang eine solche Überzeugung, eine solche Ergriffenheit, daß Wera erbebte. Mit klangloser Stimme fuhr sie fort: »Sie verachten das Volk, dem Sie doch Hilfe versprechen; Sie spielen mit ihm, und wenn es nicht mit sich spielen lassen will, heben Sie Ihre Hand und schlagen dem Volk ins Gesicht. Wie sollten Sie sich da beglückt fühlen können? Beglücken Sie doch nicht.«

      »Bessern Sie mich!«

      »Ich?!«

      »Sie können es, Sie allein!« Er wandte sich ihr zu und sah ihr fest in die Augen.

      »Sie allein können es,« wiederholte er leise und eindringlich. »Versuchen Sie es mit mir. Machen Sie aus mir einen Menschen, der würdig ist, daß er lebt. Ich bin ein schlechter Mensch, der sich bessern möchte. Noch niemals in meinem Leben habe ich so zu einer Frau gesprochen. Wenn Sie mich nicht anhören, wenn Sie sich von mir wenden, so ist es um mich geschehen. Nun tun Sie, was Sie wollen.«

      Er sah ihren Kampf und wußte genau, daß sie unterliegen würde, unterliegen, nicht weil sie schon jetzt ihn liebte, sondern weil sie an ihn glaubte, weil er sie dauerte. Aber er hatte kein Erbarmen mit ihr, übrigens war es keine Lüge, noch nie hatte er so zu einer Frau gesprochen.

      Als bald darauf Wladimir mit Sascha und Tania ins Zimmer trat, ging Wera ihnen entgegen und sagte, auf Boris Alexeiwitsch deutend: »Er wird Teil an allem nehmen, was wir vollbringen. Vertraut ihm.«

      Zweiunddreißigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      In derselben Nacht sollte sich auch Anna Pawlownas Schicksal erfüllen.

      Als sie von der Fürstin nach Hause kam, teilte der Wortschik ihr mit, daß der Prinz eingetroffen sei. Anna Pawlowna runzelte die Stirn.

      Was soll das heißen, dachte sie. Hat er Argwohn, daß er mich so überfällt? Sollte er eifersüchtig sein? Als ob er ein Recht auf mich hätte! Wurde ich ihm doch verkauft. Er soll es nicht wagen!

      Verkauft! Verkauft! hallte es in ihr wider, während sie die Treppe hinaufstieg und sich in ihre Gemächer begab.

      »Wo befindet sich Karl Petrowitsch?«

      »Im Speisezimmer.«

      Sie ließ sich ihre Umhüllung und ihren Schleier abnehmen und begab sich in das Speisezimmer.

      Er soll es nicht wagen! war von neuem ihr Gedanke. Sie preßte die Zähne zusammen, daß sie knirschten. Wie war es möglich gewesen, es so lange zu dulden? Wie abscheulich von ihr!

      In dieser feindseligen Stimmung trat sie dem Prinzen entgegen.

      »Sie sind zurückgekehrt?« begrüßte sie ihn, mit eisiger Kälte in Ton und Blick, sich der aufwartenden Diener wegen der französischen Sprache bedienend. Karl Petrowitsch hatte sich ein in aller Eile zubereitetes Souper servieren lassen, bei dem der Champagner die Hauptsache war. Er erhob sich, ging auf seine Frau zu und küßte sie auf die Stirn.

      Wie widerwärtig! dachte Anna Pawlowna, als sie den Druck seiner kalten Lippen fühlte.

      »Sie haben mich nicht erwartet?«

      »Nein. Warum telegraphierten Sie nicht?«

      »Ich wollte Sie überraschen.«

      »Hätten Sie Ihre Ankunft angezeigt, so würden Sie ein besseres Souper vorgefunden haben. Nun müssen Sie vorlieb nehmen.«

      »Wie geht es Ihnen? Sie waren in Gesellschaft?«

      »Bei der Fürstin Danilowsky.«

      »Hm.«

      »Sagten Sie etwas?«

      »Sie wissen, daß ich es nicht gern sehe, wenn Sie die Fürstin besuchen.«

      »Sie ist meine Freundin.«

      »Ich muß Sie wirklich bitten – – «

      »Um was?«

      Sie sah ihn an. Schnell wandte er sich ab, trat Zum Tisch zurück und ließ sich einschenken.

      »Beenden Sie Ihr Souper. Ich werde Ihnen Gesellschaft leisten.«

      Sie setzte sich ihm gegenüber und begann langsam ihre langen bis an den Ellbogen reichenden Handschuhe aufzuknöpfen. Der hohe bronzene Armleuchter, der zwischen ihnen stand, verdeckte ihm ihr Gesicht.

      »Sie haben meinen Brief erhalten?« fragte der Prinz nach einer Weile.

      »Ich hätte Ihnen morgen geantwortet.«

      »Was ist Ihre Meinung?«

      »Es ist eine große Auszeichnung.«

      »Sie sagen das so gleichgültig,«

      Anna Pawlowna zuckte die Achseln.

      »Wann gedenkt der Zar die Reise anzutreten?«

      »Das ist unbestimmt. Es hängt noch von Verschiedenem ab. Eben deshalb kam ich her.«

      »Deshalb?«

      »Auch wollte ich Sie persönlich um Ihre Ansicht befragen. Sie sind eine kluge Frau, Man hat Sie bei Hofe vermißt; ich mußte Sie entschuldigen. Es war sehr peinlich für mich.«

      »Das bedaure ich.«

      »Ich muß einige Tage hierbleiben. Vielleicht haben Sie die Güte, mich dann nach Petersburg zu begleiten.«

      »Unmöglich.«

      »Warum?«

      »Sie kennen meine Ansichten über Petersburg, Warum quälen Sie mich also? Ich lasse Ihnen vollständige Freiheit, zu gehen, wohin Sie wollen, zu tun, was Sie wollen. Ich werde Sie niemals fragen, Sie niemals belästigen. Nur lassen Sie auch mir meine Freiheit. Ich bin ein Mensch für mich und will es bleiben.«

      »Sie sind vor allen Dingen meine Frau,« murmelte der Prinz zwischen den Zähnen und stürzte ein Glas Sekt hinunter. In seinen matten, von tausend Fältchen umrahmten Augen sprühte es auf; im übrigen veränderte sich keine Miene in dem vornehmen Gesicht, in dessen fahlem Teint der geschwärzte Schnurrbart und die gefärbten Augenbrauen finstere Schatten zogen.

      Der eine Handschuh war aufgeknöpft. Anna Pawlowna warf ihn auf den Tisch und fragte statt aller Antwort: »Wird der Zar wirklich nach Moskau reisen?«

      »Moskau ist vorgeschlagen worden. Wenn nichts dazwischen kommt, wird der Zar jedenfalls Moskau besuchen.«

      »Was sollte dazwischen kommen?«

      »Die Nihilisten – Gott verdamme sie! – machen wieder viel Lärm – Michailitsch, nehmen Sie den Leuchter fort; das Licht blendet.«

      »Die Nihilisten machen wieder viel Lärm?« wiederholte Anna Pawlowna gleichmütig und begann den zweiten Handschuh aufzuknöpfen. »In Petersburg oder in Moskau?«

      »In ganz Rußland.«

      »Ich habe davon gehört. Sie finden in allen Schichten der Gesellschaft Anhänger. Das kann ich verstehen.«

      »Das können Sie verstehen?«

      »Mein


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