Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß
nenne, weil dieser Name, zugleich mit dem seinen genannt, entweiht würde; Unglückliche, wenn er noch etwas anderes von dir begehren sollte als deine Seele!«
»Noch etwas anderes als meine Seele?« Sie starrte mich verwundert an.
»Etwas ganz andere», das ihm zugleich deine Seele überliefert: deinen Leib.«
Sie schien mich immer noch nicht zu verstehen. Endlich brachte sie hervor: »Er ist ein Geweihter.«
»Ach, Veronika, für einen solchen Geweihten ist es keine Entweihung seines Priestertums, wenn er ein Weib schön findet.«
Erst langsam begriff sie mich. Eine große Veränderung ging in ihr vor. Ihr Gesicht nahm einen seltsam starren Ausdruck an.
»Darin tun Sie ihm unrecht,« sagte sie ruhig. »Ein Dämon ist er, aber kein Teufel. Und wenn er es wäre – –«
Sie endete den Satz nicht, wandte sich ab und blickte nach der Felsenspalte hinüber.
»So etwas kann nicht möglich sein auf der Welt,« schloß sie und fuhr sich mit der Hand mehreremal über die Stirn.
Ich fühlte einen heftigen Schmerz in mir.
Also verloren! dachte ich und beschloß, einen letzten Versuch zu ihrer Rettung zu machen.
»Komm zu mir in mein Haus, Veronika, und lebe mit mir,« bat ich herzlich.
»Nein,« erwiderte sie kurz und herb. »Ihre Wege sind nicht meine Wege, Ihre Gedanken nicht meine Gedanken. Sagen Sie mir nichts mehr, ich muß meiner Bestimmung folgen.«
Wie um jedes weitere nutzlose Wort zu verhindern, entfernte sie sich langsam. Ich sah ihre hohe Gestalt aus der Dunkelheit immer mehr der Felsenspalte sich nähern, aus der ihr das Licht entgegendrang. Mich erwartend blieb sie hier stehen; ich mußte ihr folgen.
»Ich danke Ihnen – gehen Sie! Ich komme auch gleich.« Sie wandte sich ab und trat an das Kreuz, das sie mit Alpenrosen bekränzte, die sie im Heraufsteigen gepflückt hatte.
Vor dem Ausgang der Höhle stieß ich auf Alois, bei mich an derselben Stelle erwartete, wo ich ihn verlassen hatte. Ich sollte eine neue Entdeckung machen.
»Hat sie Euch auch das von ihrem Bräutigam gesagt?« raunte mir der Bursche mit heiserer Stimme zu.
»Auch das? Was soll das heißen?«
»Nun eben das! Dem Pater hat sie's gebeichtet. Der Pater meint, daß ihre Seele für alle Ewigkeit verloren sei, wenn der Augustin – so hieß Veronikas Verlobter – es nicht büßen tät.«
»Woher kannst du wissen, was Veronika dem Pater gebeichtet hat und was ist das alles für wüstes Geschwätz?!«
Der Bursche mußte begreifen, daß er schon zu viel gesagt habe; indessen verstand ich ihn damals nicht, Er sah mich mißtrauisch an und murmelte etwas.
Dann trat Veronika zu uns. Eine halbe Stunde später befanden wir uns alle drei wieder in der Sennhütte. Der Pater war nicht mehr da. Er hatte der Sennerin für Veronika aufgetragen, daß er am nächsten Sonntag auf den Jägeralmen predigen werde, sie möge ja nicht versäumen, hinüber zu kommen.
Es dunkelte bereits, als ich aufbrach. Die Alpen glühten, der Wasserfall brauste wie eine Flammenflut in den düstern Schoß der Tannen hinab. Welch ein Frieden lag um die kleine Hütte gebreitet! Der Kampf der menschlichen Leidenschaft schien hier ein Märchen zu sein.
Das Felsentor passierend, trat uns ein schöner Jüngling entgegen. Ei grüßte mich mit einem Anstand, der mir auffiel. Es war eine prächtige Gestalt; langes, hellblondes Haar lockte sich um ein mildes, beinah weiblich sanftes Gesicht. Seltsam unter diesem Volk von Bauern und Hirten ein Christusantlitz!
Als er vorüber war und ich mich bei Alois nach ihm erkundigen wollte, sah ich diesen wie angewurzelt stehen und ihm nachblicken. Ich mußte ihn mehreremal rufen, bis er endlich kam.
»Wer war das Alois?«
»Wer der war?!«
Er blieb wieder stehen und sah sich um.
»Wer das war? Das war er, der Bräutigam!«
Auf dem Heimweg hatte ich genug zu denken. Ich beachtete kaum, wie die Dämmerung immer mehr zur Dunkelheit ward, wie die Schatten aus dem düstern Tal immer höher an den, noch im matten Schein leuchtenden Gebirgen emporkrochen, wie sie sich über die Felsenhäupter hinwegwälzten, die Schneefelder mit Nacht bedeckend, den ganzen Himmel überziehend. An diesem leuchteten die Sterne auf. Unten verhallten die letzten Glockenschläge.
Dreizehntes Kapitel
Das Drama wird in Szene gesetzt
Am Sonntag predigte Pfarrer Andreas vor leeren Bänken: das ganze Dorf war auf die Jägeralmen gezogen, um den Pater zu hören. Auch einen unserer Beamten trieb die Neugier hinauf; voller Empörung stattete er uns über das Geschehene und Gehörte Bericht ab.
Von allen Seiten weit in der Runde war das Volk zusammengeströmt. Mütter hatten ihre Säuglinge mitgebracht, selbst die Alten waren an ihren Stäben hinaufgekeucht. Ein weites, ödes Alpenfeld war die Kirche, Gletscher und kahle Felsen starrten darauf hinab, in der Tiefe lag ein schwarzer See. Auf einem Felsblock unter einer Riesenfichte stand dieser Prediger in der Wüste und verkündete die Lehre des Heils: »Auf gen Rom! Opfert Rom! Opfert Rom eure Häuser, eure Herden, euren Bruder, euer Weib! Rom ist der Born der Gnade. Wer nicht daraus trinkt, ist verloren auf Erden und im Himmel! Wer nicht opfert sein Haus, seine Herde, seinen Bruder und sein Weib, der soll verdursten! Die Feinde Roms sind die Feinde Gottes! Und wäre es die eigene Mutter, die dich mit Schmerzen geboren. Denn unsere Sünde ist groß, wir müssen Buße tun!«
So war es fortgegangen und das rauhe Volk der Berge hatte diesen Verkündigungen gelauscht, als seien sie die köstlichsten Verheißungen. »Auf gen Rom!« Sie gaben, was sie geben konnten: der eine von seiner Armut, der andere von seiner Liebe; der eine Geld, der andere einen Freund, einen Bruder, einen Vater, welcher zauderte, mit ›gen Rom‹ zu gehen.
Auch Veronika war bei der Predigt zugegen gewesen. Anfänglich hatte sie fernab gestanden, fast am Rande des Sees, ganz einsam, die Augen auf den Boden gesenkt. Der Pater habe immer zu ihr hinüber gesehen. Da sei es denn wunderbar gewesen, wie sie, ohne aufzublicken, gleichsam von seinen Blicken angezogen, ihm langsam näher und näher gekommen. Fast scheu war die Menge der Schwester ihres Pfarrers ausgewichen. Sie jedoch war vorwärts und vorwärts geschritten, bis sie zuletzt dicht unter dem Felsen stehengeblieben.
Auch Alois war allgemein aufgefallen. Mit der Miene eines Verzückten hatte der wilde Bursche zugehört.
Der redliche Mann, von dem wir alles das erfuhren, befürchtete, daß wir infolge dieser Jesuitenreden unserer besten Arbeiter verlustig gehen würden. Er sollte recht haben.
Bis zum Abend hatten wir auf Pfarrer Andreas gewartet. Als es dunkelte und er noch immer nicht kam, wurden wir besorgt und gingen ins Dorf hinab. Unterwegs stießen wir auf die Scharen, die von der Bergpredigt zurückkehrten. Wir begegneten manchem feindseligen Blick. Die Dorfgasse war öde, aus den Wirtshäusern erscholl wüstes Geschrei, Betrunkene taumelten an uns vorüber. Im Pfarrhaus fanden wir die Türen offen, den Freund nicht in seinem Arbeitszimmer. In der Küche am feuerlosen Herd kauerte die Magd, die Perlen ihres Rosenkranzes abzählend; mürrisch wies sie uns, ohne ihr blödsinniges Murmeln zu unterbrechen, in den Garten. Die Alte mochte ärgerlich darüber sein, daß sie um die Predigt des Jesuitenpaters gekommen war.
Im Garten trat uns der Pfarrer entgegen. Die Dunkelheit war noch nicht groß genug, uns die Verstörtheit in seinen Zügen zu verbergen. Er grüßte uns in seiner gewöhnlichen Weise; aber die Hand, die er mir reichte, war feucht und kalt.
»Ich wußte, daß Sie kommen würden,« begann er, sich mit uns setzend. »Wir wollen es nun mit Ruhe besprechen. Ich fange an, hier unnütz zu werden. Der Pater wird bleiben.