Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß
hielt sich vorsichtig zurück. Wenn ich mir ihn dachte: im Hause der Eltern des Erschlagenen, so graute es mir. Auf Alois wurde Jagd gemacht, die indessen völlig nutzlos blieb.
Am Morgen des dritten Tages begrub man ihn. Himmel und Erde strahlten. Es war ein Glanz, eine Froheit, eine Schönheit in der Natur, daß darin Nacht und Tod wie Märchen erschienen.
Bei dieser Gelegenheit war dem Pfarrer Andreas wiederum ein großer Schmerz zugefügt worden. Augustins Eltern hatten gewünscht, daß der Pater am Grabe die Rede halten solle. Pfarrer Andreas hätte es verhindern können; aber er wollte den Krieg zwischen sich und seinem Feind nicht an einem offenen Grab entbrennen lassen. So begnügte er sich denn damit, der teuren Leiche in der Kirche den Segen zu geben, worauf wir ihn in sein Haus begleiteten. Der Pater hielt eine leidenschaftliche Rede, bei welcher die Gräber zertreten und die Kreuze umgerissen wurden. In der Nacht ging es im Dorfe wie bei einem Aufstand zu. Jungfrauen und Jünglinge zogen mit Fackeln unter Klageliedern noch einmal zu des Gemordeten Grab und verjagten davon eine Büßerin.
Fünfzehntes Kapitel
Auf der Wasserfallalm
In der Nacht nach dem Begräbnis verschwand Veronika. Von dem Pfarrer angeführt, durchsuchte man das Gebirge nach ihr, ohne sie jedoch zu finden. Auch der Pater wurde vermißt. Um mich nicht unnütz zu ängstigen, verschwieg Fernow mir die Ereignisse; als aber am zweiten Tage vor Einbruch der Nacht Pfarrer Andreas zu Tode erschöpft und aller Fassung beraubt ins Schloß kam, mußte ich die Wahrheit erfahren.
»Eben haben sie die Leiche des Alois gefunden,« berichtete unser Freund mit heiserer Stimme. »Man hat ihn ganz zerschmettert in der Nähe der Sennhütte aus dem Bach gezogen.«
Mich durchzuckte ein entsetzlicher Gedanke.
»Habt Ihr in der Höhle unter dem Wasserfall nach ihr gesucht?«
»Die Höhle unter dem Wasserfall! Was ist das?«
»So weiß ich, wo sie ist!« rief ich aus. »Nur sie und Alois scheinen diesen seltsamen Ort zu kennen und vielleicht – vielleicht noch ein einziger anderer. O, weshalb habt ihr mich schonen wollen?! Aber laßt uns sogleich aufbrechen.«
So schnell ging das nicht, denn Pfarrer Andreas war wie vom Schlage getroffen.
»Nur Veronika und Alois wußten davon, der im Wasserfallbach zerschmettert aufgefundene Alois und – und vielleicht noch ein einziger anderer?«
Er stöhnte auf, er wankte und mußte sich an Fernow anlehnen. Nach einigen Augenblicken erholte, erhob er sich wieder.
»So laßt sie uns suchen!« sagte er stark. »Gott gebe, daß wir sie dort finden, wo sie den Alois herausgezogen haben.«
Ich mußte seinem Gebete beistimmen; aber sagen konnte ich nichts. Nach einer Viertelstunde befanden wir uns bereits unterwegs. Ich beschrieb Pfarrer Andreas die Lage der Grotte.
Eine dunkle, sternenlose Nacht war angebrochen, auch windete es stark. Wir mußten mit Fackeln ziehen, die im Sturm hoch aufloderten und von denen fortwährend Funken in die Schwärze hineingejagt wurden. Wir hatten unsere zuverlässigsten Leute mitgenommen und uns mit Stricken und Hilfsmaterial versehen. Nur ich ritt. Fernow schritt an meiner Seite, der Pfarrer war uns allen weit voraus. Von Zeit zu Zeit sahen wir ihn, seine Fackel hochhaltend, in greller Beleuchtung. Dann verschwand er wieder hinter den Felsblocken, welche über ihm im Feuerschein erglühten. Auf unser Rufen antwortete er nicht.
Wenn jetzt mit der Seele dieses Mannes ein Geist rang, so war es sicher ein Dämon.
Je höher wir kamen, desto stärker ward der Sturm, Der wilde Weg schien kein Ende zu nehmen. Jeder Schritt vorwärts, mußte zuerst mit der Fackel beleuchtet werden. Mehr als einmal riß Fernow mein Tier vom Abgrund zurück. Der Pfarrer war unseren Augen entschwunden. Immer heftiger ward meine Angst, immer vorsichtiger mußten wir empordringen. Als wir durch das Felsentor die Alpenwiese erreichten, hörten wir es im Tal in dumpfen Schlägen Mitternacht läuten.
Auch hier war nichts von dem Pfarrer zu sehen.
Fernow verbot das Rufen und empfahl uns die größeste Ruhe. Doch hätte ich fast laut aufgejubelt, als ich in der Ferne, hoch über dem Tannenwald schwebend, unmittelbar am Rand des Wasserfalls, dessen Gischt geisterhaft die Nacht durchleuchtete, einen schwachen Schein aufglühen sah: die Fackel des Pfarrers.
Bei der verschlossenen Alphütte mußten wir über den Bach. Scheu deuteten unsere Leute auf eine dunkle Masse, die neben dem Wasser unweit des Pfades lag. Ich konnte nichts anderes als zusammengehäufte Tannenzweige erkennen; aber an der Gebärde Fernows, mit der er uns vorüber trieb, erriet ich, was darunter lag.
Das Gebet des Pfarrers war bis jetzt noch nicht in Erfüllung gegangen.
Mühsam drangen wir durch die Tannen vorwärts. Über uns rauschten die sturmbewegten Wipfel wie Meereswogen; darunter war es ruhig, fast unbeweglich.
Glühende Bilder tauchten vor uns auf und versanken wieder ins Dunkel. Der Donner des Wasserfalls war uns bereits ganz nahe. Zu seinem Rand hingelangt, ging es von neuem an das Aufwärtsklimmen. Ich mußte vom Maultier absteigen, bei dem einer der Leute zurückblieb. Nun hieß es für das letzte schwierigste Ende die letzten Kräfte aufraffen.
Pfarrer Andreas mußte die Höhle gefunden haben. Ringsum war es dunkel.
Fernow ging den grausigen Pfad voran, seine Fackel hoch über sich haltend. Ich hielt mich dicht hinter ihm. Unaufhörlich wurden wir von dem Staubgeriesel des Falles benetzt, dessen Wasser zu unseren Füßen wirbelten und kochten. Wenn der Sturm den Sprühregen völlig nach unserer Seite hingetrieben, hätten unsere Fackeln erlöschen müssen und der gefährliche Weg wäre unmöglich zu unternehmen gewesen.
Wir hatten uns der Stelle genähert, an der der Pfad aufhörte. Hier war es, wo Fernow plötzlich stehenblieb, lauschte, uns stumm zuwinkte, zurückzubleiben und dann allein vorwärts schritt. Meinen lauten Ruf: um Gottes willen vorsichtig zu gehen, da hier jeder Schritt todbringend sei, schien er nicht zu hören.
Nach einigen, in höchster Angst verbrachten Augenblicken sahen wir ihn von neuem stehenbleiben, sich herabbeugen, mit der Fackel eine dunkle Gestalt beleuchten, die dort neben dem Abgrund niedergesunken war. Fast besinnungslos stürzte ich vor, zu Fernow hin. Wie fuhr ich zurück, als ich den Pater erkannte.
»Ist er tot?«
»Nur bewußtlos. Er hat in einem Kampf um Leben und Tod eine tiefe Wunde empfangen.«
»Von dem Pfarrer?«
»Das ist unmöglich. Der Blutung nach zu urteilen, muß der Mann schon lange hier liegen, vielleicht schon volle zwei Tage. Es ist ein Wunder, daß er sich nicht verblutet hat; denn dieser Verband, den er sich selbst angelegt haben muß, konnte kaum schützen.«
»Das ist gräßlich! Aber um Gottes willen, wo mag der Pfarrer sein?«
Da stand er vor uns, mitten im Eingang der Höhle.
»Sie ist dort drinnen,« sagte er und keine Miene in seinem Gesicht zuckte, »und sie lebt. Aber sie ist dem Verschmachten nahe. Schnell etwas Wein oder sie stirbt.«
Fernow wollte hinein, aber der Pfarrer wies ihn zurück.
»Spenden Sie diesem Ihre Hilfe und wenn Sie können, retten Sie ihn. – Folgen Sie mir, liebe Freundin.«
Er nahm mir den Krug mit Wein ab, ergriff meine Hand und zog mich sich nach, tief in den Hintergrund der Höhle hinein. Dort hatte er die Fackel zwischen zwei Felsen eingeklemmt; weiterhin, wo ihr blendendes Licht nicht mehr hinfiel, lehnte Veronika gegen das Gestein, das Gesicht darauf gedrückt.
Der Pfarrer faßte meinen Arm, daß es mich schmerzte, und raunte mir zu: »Vielleicht sagt sie einer Frau, was sie einem Manne nicht sagen kann und dann – dann – Gehen Sie zu ihr!«
Er ließ meinen Arm fahren und trat von mir hinweg. Ich hörte,