Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

Die wichtigsten Werke von Richard Voß - Richard Voß


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      Ich ging zum Pfarrer, der seine Arbeit keinen Augenblick unterbrach. Eine Weile stand ich neben ihm und sah ihm zu. Dann ließ ich mir eine Schaufel geben und arbeitete mit.

      Ich war ganz glücklich und nickte meinem Gefährten freundlich zu. Der lächelte über meinen Eifer. Plötzlich sah ich Veronika kommen.

      »Sie hat, was wir an Waffen besitzen, aus allen Häusern in die Sakristei zusammengetragen,« rief Pfarrer Andreas mir zu und sah seine Schwester mit einem leuchtenden Blick an. »Sie ist ein echtes Tiroler Kind.«

      Dann schaufelten wir weiter, Veronika half uns.

      So verging eine Stunde, nach welcher wir Ablösung bekamen. Nur der Pfarrer blieb am Platz und war nicht zu bewegen, mit uns auszuruhen. Ich wollte mich nach dem Pfarrhof begeben, um ihm einige Erfrischungen zu holen und sah mich nach Veronika um. Vor einigen Augenblicken befand sie sich noch an meiner Seite, jetzt war sie verschwunden. So trat ich denn ohne sie den Weg ins Dorf an.

      Plötzlich erblickte ich sie wieder vor mir. Ich rief sie, doch sie hörte mich nicht. Sie wandte sich vom Dorf ab und schlug den Weg zur Brücke ein. Da ich nicht begreifen konnte, was sie dort wollte, folgte ich ihr.

      Veronika betrat die Brücke und hinter ihr ich. Der Boden schwankte unter meinen Schritten, fürchterlich gurgelte und gluckste es unter uns. Schwindel ergriff mich. Ich hatte die entsetzliche Vision von einem, der in dieser gräßlichen Flut versank und unterging. Ich strauchelte und mußte mich, um nicht zu stürzen, am Geländer festklammern. Dabei blickte ich unter mir in die Wasser hinab. Mir war, als sähe ich daraus ein bleiches Haupt auftauchen, von lichten Locken umwallt, mit den Zügen eines unvergeßlichen Toten. Ich sah dieses Antlitz, ehe die Flut es verschlang, wundersam aufleuchten. Dann schwankte ich weiter und lebte erst auf, als ich unter mir wieder festen Boden fühlte.

      Ich mußte mich zuerst besinnen, wo ich mich befand. Allmählich erkannte ich das andere Ufer: ein ödes Steinfeld, darüber schwarzes Gewölk lagerte. Ich blieb stehen, spähte nach Veronika aus und entdeckte sie noch immer vor mir, mitten auf dem wilden Gefilde, wie eine Erscheinung dahinwandelnd. Sie schritt geradeswegs auf eine dunkle Gestalt zu, die dicht am Ufer stand.

      Es war der Pater, der sein Opfer widerstandslos zu sich hinzog. Einmal an seiner Seite und sie war verloren. Eher begrübe er sich mit ihr zusammen in den Fluten, als daß er sie wieder herausgabe. Sie hatte ihn vermutlich vom andern Ufer aus gesehen und mußte nun zu ihm, sie mochte wollen oder nicht.

      Ich mußte sie retten.

      Sie stand fast schon vor ihm, als sie dicht hinter sich einen Namen rufen hörte, der sie von ihrem Dämon zurückriß.

      »Denke an Frank!«

      Bewirkte mein Herrlicher noch im Tode Wunder, nur dadurch, daß man seinen Namen nannte? Rief die bloße Erinnerung an ihn Sterbende wieder ins Leben zurück?

      Veronika war stehengeblieben. Ich fühlte es an dem Schauern meiner eigenen Seele, wie sie bei dem Namen erbebte und nun nicht mehr zu jenem anderen hinkonnte, sie mochte wollen oder nicht.

      »Hierher!«

      Er rief sie, aber sie hörte ihn nicht mehr, sie hörte nur: »Denke an Frank!«

      Sie wich zurück, sie wandte sich. Ihr Dämon stürzte auf sie zu; aber schon war ich bei ihr, die sich in meine Arme flüchtete.

      Ich hielt die Gerettete umschlungen, es ihr noch einmal sagend, diesmal zärtlich flüsternd: »Denke an Frank!«

      Einundzwanzigstes Kapitel

       Es durchbricht den Damm und vernichtet

       Inhaltsverzeichnis

      Heute sind der Jesuitenpater und Frank begraben worden. Rolla ist ruhig und gefaßt. Sie läßt Veronika keinen Augenblick von sich; mich will sie noch immer nicht sehen.

      Das Feuer ist gelöscht, doch ist das Schloß fast völlig niedergebrannt. Ich schreibe dies im Pfarrhof. Einige Zimmer von mir befinden sich die beiden Frauen. Was ich hier von den geschehenen Ereignissen mitteile, erfuhr ich zum Teil aus dem Munde des an der Spitze der Seinen davongezogenen Pfarrers, zum Teil von Rolla selbst, als ich sie nach meiner Rückkehr Zum ersten- und zum letztenmal an Franks Leiche sah. Da ich nicht weiß, was der morgige Tag bringen kann und ich mit dem Vergangenen abschließen will, so sei das Geschehene als Fortsetzung, vielleicht als Schluß von Rollas Aufzeichnungen erzählt.

      Eben sagt mir jemand, daß Rolla und Veronika in die durch das Feuer und den Kampf halb zerstörte Kirche gegangen seien, wohin sich die zurückgebliebenen Frauen mit ihren Kindern und ihren geretteten Habseligkeiten geflüchtet haben. Das halbe Dorf liegt in Trümmern, die Fluten sinken mit jeder Minute.

      Als Rolla Veronika durch Franks Namen von dem Pater zurückgerufen hatte, verbrachten die beiden Frauen den Rest der Nacht zusammen, eine in den Armen der anderen, sich einander ihre Geschichte zuflüsternd. Bei Tagesanbruch kehrte Veronika zu ihrem Bruder zurück, Rolla nach Hause, wo sie schrieb, sich dann angekleidet aufs Bett warf, aber bereits nach einer Stunde wieder auf war.

      Das Wetter hatte sich nicht geändert; immer noch wälzte sich Gewölk über das Tal. Die Alpen ragten völlig unverhüllt wie Felseninseln aus den Nebelwellen hervor, ein grauer Himmel spannte sich darüber.

      Der Wind heulte fort und fort und riß unaufhörlich Lawinen herab. Die Leute kamen von den Dammarbeiten zurück und berichteten, daß man nichts weiter tun könne; es sei kein Material mehr vorhanden und das Wasser werde binnen kurzem die Höhe der Wälle erreichen. Man erzählte von fürchterlichen Verheerungen in den oberen Gegenden.

      Rolla begab sich nach diesen Nachrichten ins Dorf zum Flusse, wo sie alles so fand, wie die Leute gesagt hatten. Trotzdem war der Pfarrer noch an Ort und Stelle und ließ von den Ausgeruhten das Menschenmögliche leisten.

      Veronika befand sich im Pfarrhofe.

      Der Pfarrer fürchtete, daß der Pater ihre Lage benutzen und etwas gegen sie ausführen werde. Um sich gegen einen Überfall zu schützen, hatte er auf dem Weg zur Wasserfallalm Wächter aufgestellt. Sie besprachen sodann die Möglichkeit meiner Rückkehr zu der von mir bestimmten Zeit und daß es notwendig sei, die südlichen Schluchten zu besetzen, da der Pfarrer aus dem Süden Kunde erhalten, wie dort bereits die meisten Täler den Welschen zugefallen. Er hoffte auf eine starke Schar Vaterlandsverteidiger vom Norden her; wahrscheinlich seien die Männer überall durch die Wassersnot aufgehalten.

      Rolla blieb eine Weile bei dem Freunde, verließ ihn und begab sich ins Dorf, wo die Weiber heulend ihre Häuser ausräumten. In der Kirche sah sie viele Beterinnen. Aber anstatt nach dem Pfarrhof oder dem Schloß zu gehen, schlug sie die entgegengesetzte Richtung ein. Der Pfarrer hatte geäußert, daß er keine Kenntnis habe: ob auch im oberen Tale der Fluß bereits übergetreten sei. Da er keinen Boten abzusenden hatte, wollte Rolla dieses Amt übernehmen.

      Sie wandert die Straße dahin, den Blick starr vor sich hin gerichtet, jeden Augenblick glaubend, daß die gelbe Schlammflut sich über den Weg wälzen werde. Da sah sie jemand auf sich zukommen, der ihr gewiß über alles genau Bescheid erteilen konnte. Um schneller benachrichtigt zu sein, ging sie ihm entgegen.

      Zuerst schritt sie langsam, dann eilte sie. Plötzlich stand sie mitten im Wege still. Die Augen weit geöffnet, ließ sie die Erscheinung sich nähern. Sie hatte ihn diese Nacht gerufen und nun kam er. Ihr seit ihrem Wahnsinn fast visionärer Geist erkannte den seinen.

      In seliger Ungeduld erwartete sie, daß die Gestalt an ihre Seite treten und sie in der gespenstischen Gegenwart hinsinken würde.

      Auf einmal hörte sie von seiner Stimme ihren Namen rufen, da verlor sie das Bewußtsein. Ihr letzter Gedanke war: »Das ist der Tod, das ist die Vereinigung.«

      Als sie wieder zur Besinnung kam, lag sie auf blühendem Heidekraut, der Lebendige neben ihr kniend. Es dauerte lange, bis sie es begreifen konnte.

      Frank war wirklich dort gewesen, wo wir ihn vermutet; meine


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