Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß
hohe Flammensäule auflodern: das Schloß brennt.
»Laßt es brennen,« sagt Rolla und sieht nicht auf.
Erst am Morgen finden sie ihn. Er war auf die Wiese gespült worden und lag friedlich auf einem blumigen Fleck, von dem sich das Wasser bereits wieder verlaufen hatte. Die Männer trugen ihn in den Pfarrhof, wo Veronika unterdessen wieder zum Leben gekommen war. Sie wollte wissen, wer sie gerettet habe – da führte Rolla sie zu dem Toten. Sie erkannte ihn sofort.
Am Nachmittag kam ich mit den Waffen zurück. Ich hatte bereits von dem Brand des Schlosses gehört und mein Pferd fast zu Tode gehetzt. Die Leute waren mit Löschen beschäftigt; von ihnen erfuhr ich, wo Rolla sei.
Sie hatte mich erwartet und trat mir im Hausflur entgegen.
»Er lebte,« sagte sie kalt und gelassen, »aber jetzt ist er tot. Er starb als Held. Komm mit mir zu ihm.«
Sie schritt voran, stumm den Pfarrer hinwegwinkend, der sich an meine Brust werfen wollte.
Sie hatten ihn in dem Zimmer des Pfarrers niedergelegt und ganz mit Veilchen und Narzissen überschüttet. Veronika saß zu seinen Füßen und wandte kein Auge von seinem Gesicht. Das war ganz unentstellt, so feierlich schön, so großartig friedlich, von einer solchen erhabenen Ruhe, wie ich es niemals zuvor gesehen.
»Das ist seine Sühne für Anna,« sagte Rolla laut und feierlich.
Ich trat dicht zu ihm und beugte mich tief auf ihn herab. Als ich wieder aufblickte, war ich mit Rolla allein bei ihm.
Sie gebot mir, mich auf Veronikas Platz zu setzen, wandte sich von mir ab dem Toten zu und erzählte mir alles. Sie schloß: »Ich kann dein Weib nicht länger sein. Er hat mir befohlen, leben zu bleiben und ich gehorche ihm. Verlaß mich jetzt und suche es zu tragen.«
Dann sah ich sie noch einmal beim Begräbnis wieder. Sie schritt mit Veronika Hand in Hand dicht hinter der Leiche; mich schaute sie nicht an.
Da der Kirchhof noch unter Wasser stand, begrub man ihn auf dem Hügel über dem Pfarrhof. Man überblickt von dort aus das ganze Tal, die ganzen Alpen, Pfarrer Andreas sagte mir, daß es sein Lieblingsplatz gewesen sei.
Die Rede, die unser Freund an dem offenen Grabe hielt, war des Toten und des Lebenden würdig. Rolla blieb tränenlos.
Eben schreibt mir Rolla, daß Veronika sie begleiten wird. Sie nimmt für immer Abschied von mir.
In einer Stunde reise ich ab, Pfarrer Andreas nach, den ich bei der Hauptarmee zu treffen hoffe. Ich werde mein unseliges Weib wiedersehen.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Künstlerin und Virtuosin
H......im November.
Vor einigen Tagen sind wir hier angekommen; bereits nach einer Stunde waren wir im Theater zur Probe. Ich hatte mich lange auf diesen Augenblick vorbereitet. Ich fürchtete, außer mir zu geraten. Es ist alles ganz anders gekommen: mir war wie einer Zurückkehrenden zumute. Ich trug eine stille Glückseligkeit in mir. Als ich den dämmerungsvollen Bühnenraum betrat, die Luft der Kulissen atmete, alle die bekannten Gestalten und Gegenstände vor mir sah, in das Dunkel des öden Hauses hineinblickte, begriff ich nicht mehr, daß ich jemals fortgewesen sein sollte.
Ich dachte weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft, für mich war nur die Gegenwart: ich sollte spielen!
Man behandelte mich mit großer Ehrerbietung! wahrscheinlich verspricht sich der Direktor von meinem Gastspiel goldene Einnahmen. Mein Name ist ja nicht nur der Name einer Künstlerin, sondern der einer Geschichte: die Überschrift eines Romans.
Mein Name ist eine Reklame.
Ehe die Probe begann, führte ich Veronika umher, zeigte und erklärte ihr alles. Sie glich einer, die für ein großes Mysterium die ersten Weihen empfängt. Ich sagte ihr: »Auch du hast heute die Welt betreten, in die du gehörst. Verlasse sie niemals mit einem Schritt. Jeder Schritt hinaus in jene andere Welt ist eine Treulosigkeit gegen dich selbst, die nie ungerächt bleibt. Hier wirst du gut, groß, glücklich sein, ein Wesen, das staunend aufhorcht, hört es von dem Elend des Daseins reden – dort wirst du mitleidslos von dem Jammer des Lebens gepackt. In dieser Welt bist du Schöpfer, in jener andern Geschöpf mit allen Qualen eines solchen.«
»Wie aber, wenn man nicht geboren ist, um glücklich zu sein, nur glücklich?!« entgegnete mir die junge Pessimistin.
»Habe ich davon geredet? Wer will glücklich sein? Wozu braucht eine Künstlerin dieses sogenannte Glück? Sie besitzt Höheres.«
Dann begannen die Proben. Ich hatte zu meinem ersten Auftreten Lady Macbeth gewählt.
Den Eindruck, den mein Spiel auf der Probe machte und den ich bemerken mußte, überraschte mich. Man war nicht entzückt, sondern verwundert, betroffen. Ich muß mich also doch sehr verändert haben. Wüßte ich nur, worin. Nur einer ist, der es mir sagen könnte.
Mit meinem Organ ging es besser als ich dachte. Allerdings habe ich als Lady für den vollen Gebrauch meiner Stimme niemals Anwendung. Die Nachtszene überging ich in der Probe.
Veronika saß während der ganzen Zeit in der dunkeln Proszeniumsloge. Sie hörte mich zum erstenmal und konnte gegen mich kein Wort äußern. Ihre Seele rang mit dem Fassen des Gedanken dieser Welt in der Welt. Wie genau kannte ich diesen selig-unseligen Zustand! Ich hätte sie darum beneiden können. Aber auch ich habe gelebt.
Heute abend ist die erste Vorstellung. Ich sah den ganzen Tag niemand, auch Veronika nicht. Wenn nur das Publikum nicht da wäre! Wenn sie nur nicht klatschen wollten! Das wird am schwersten zu ertragen sein.
Veronika klopft. Ich muß ins Theater.
Während ich dies schreibe, sitzt Veronika zu meinen Füßen und scheint nicht übel Lust zu haben, mich als Heiligenbild anzubeten. Sie ist außer sich. Das übervolle, festliche Haus, das wunderbare Werk, mein Spiel, die Ovationen, die man mir brachte – sie hat keine Ahnung gehabt, daß so etwas möglich sei. Und nun habe ich ihr prophezeit, daß sie das alles an sich selbst erleben soll. Da ist dann solcher Anfall von Schwindel allerdings zu begreifen. Ich habe ihr versprochen, den Unterricht sobald als möglich zu beginnen – sobald es meine Kräfte erlauben. Das soll ein Glück werden!
Ich will eine Schülerin zurücklassen, die von mir zeugen soll.
Doch wie habe ich heute gespielt?
Seltsam, daß ich mir keine Rechenschaft davon ablegen kann; früher war es auch damit ganz anders. Ich weiß nur so viel, daß ich sehr dämonisch gewesen sein muß, zugleich sehr – realistisch. Ich merkte es an dem Schauer, der in der Mordszene das ganze Haus zu durchlaufen schien, an dem Spiel meines Macbeth. In der Bankettszene graute mir vor mir selbst: ich fühlte in meinem Hirn den aufsteigenden Wahnsinn der Lady. Welcher Kopf soll aber auch da bei Verstand bleiben! Dann kam mein Nachtwandeln.
Ich hatte mich in mein Bettuch eingewickelt, daß ich kaum schreiten konnte, und ein Tuch um den Kopf gewunden, dicht unter dem Kinn zugeknotet. Beide Arme hielt ich steif ausgestreckt, die Augen weit geöffnet, mit ausdruckslosem Blick. In meinem Gesicht veränderte sich kein Zug. Mein Körper war wie erstarrt, kaum daß ich mich zu bewegen vermochte. Die Hände wusch ich mir, mit weit auseinandergespreizten Fingern. Ich sprach tonlos, ohne mit dem Klang zu wechseln; wusch mir fortwährend das Blut ab, ohne darauf hinzusehen. Zuweilen stöhnte, röchelte ich, wie eine, die der Alp drückt. Beim Abgehen tastete ich mich die Wände entlang. Es muß fürchterlich gewesen sein.
Ich bekam, wie gesagt, Ovationen. Die Bühne war ringsum mit Kränzen bedeckt. Das Orchester blies Tusch. Ich wurde so oft gerufen, daß ich zuletzt wankte.
Was würde Fernow zu meinem blutigen Spiele sagen? Ich bin durchaus so gewesen, wie er es von mir verlangt: durchaus wahr. Ich fürchte nur, zu wahr.
Ich bin sehr erschöpft; dennoch gedenke