Die Vampirschwestern - Das Buch zum Film. Franziska Gehm
sie sehr schade. Immerhin würde ihr das nicht passieren – als Halbvampir war ihr Spiegelbild zwar auch leicht verschwommen, aber auf ihrer Hochzeit würde sie sowieso nur Digitalkameras erlauben.
Silvania schloss die Augen und malte sich ihr Hochzeitskleid aus: in Cremeweiß, mit raschelnden Rüschen, einem Hauch Spitze und einem altrosafarbenen Gürtel dazu. Über ihren rotblonden Haaren würde sie einen zarten Schleier tragen, den ihr Bräutigam liebevoll lüften würde, um sie zu küssen. Silvania seufzte sehnsüchtig, weil ihr einfiel, dass die Sache einen Haken hatte. Nicht die passenden Schuhe zu ihrem Traumkleid zu finden würde schwierig werden, sondern den passenden Bräutigam. Silvania war zwar Expertin in Sachen Liebe – aber leider nur auf dem Papier zwischen zwei Buchdeckeln. Wenn sie doch nur in Deutschland einen Jungen träfe, in den sie sich Hals über Kopf verlieben würde …
„Sag mal, schläfst du etwa mitten in der Nacht?“, riss Daka ihre Schwester unsanft aus ihren Nachtträumen. Noch unsanfter wurde es, als Mihai eine rasante Kurve fuhr und die beiden Schwestern samt Fotoalbum durch den Laderaum geschleudert wurden.
„Hilfe!“, schrie Silvania.
„Alles klar bei euch dahinten?“, fragte Mihai sofort.
„Ja, ja!“, rief Daka und legte sich wieder hin. Gegen ein bisschen Schleudern hatte sie gar nichts einzuwenden, wobei ihr ein erfrischender Nachtflug mit einem ordentlichen Looping lieber gewesen wäre. Sie verstand sowieso nicht, warum sie nicht nach Deutschland geflogen waren. Nicht in einem Flugzeug, sie waren ja keine Menschen. Oder zumindest nur halb, leider. Sie wäre gern mit ihrem Vater nach Vampirart geflogen. Das wäre ein tolles Training für den Trans-Europa-Flug gewesen, den Daka unbedingt eines Tages schaffen wollte.
Nachdem sie ihren Rock zurechtgezupft hatte, legte Silvania sich wieder neben Daka. Schließlich konnte es sein, dass sie aus dem Laster stieg und ihr deutscher Traummann sofort vor ihr stand. Und da wären Falten in den Klamotten wenig vorteilhaft. Silvania angelte sich das Familienfotoalbum. Diesmal schlug sie es weiter hinten auf.
„Guck mal, unsere alte Klasse in Bistrien!“
„Ha! Hier sieht man alle! Digitalkamera!“, rief Daka.
Schweigend betrachteten die Schwestern das Foto ihrer Mitschüler. Alle grinsten breit und ihre langen Eckzähne blitzten in die Kamera.
Daka schluckte. „Hach. Ich vermisse unsere Freunde jetzt schon!“, sagte sie leise.
„Hm“, nickte Silvania, „Aber dafür finden wir jetzt neue Freunde. Menschenfreunde!“
„Pfff, Menschen“, brummte Daka.
Würde sie in ihrer neuen Schule in Deutschland wirklich solche grausig-guten Freunde finden? Mit denen sie über ihre Lieblingsband Krypton Krax und die ultimativ coolsten Freestyle-Fly-Tricks reden konnte? Und die Lehrer waren bestimmt auch voll langweilig. Ihre transsilvanische Lehrerin hatte Daka zum Abschied Karlheinz geschenkt. Karlheinz war ein dicker orangefarbener Blutegel, den Daka liebevoll im Schleimtier-Unterricht gezüchtet und großgezogen hatte. Schnell klopfte Daka an das Aquarium, in dem Karlheinz wohnte. Karlheinz pupste laut und Daka fühlte sich ein bisschen wie zu Hause in Bistrien.
Silvania rümpfte die Nase. Sie fand Karlheinz eher eklig und sie war auch nicht so traurig wie Daka, als sie die Fotos ansah. Ihre Lehrerin hatte ihr gesagt, dass sie von jetzt an im Fach Sport-Fliegen nicht mehr die Schlechteste sein würde. Klar, denn so ein Fach gab es an einer deutschen Schule ganz bestimmt nicht. Und sicher war es dort auch nicht so wild und laut und unordentlich. Silvania freute sich auf Deutschland. Schnell schlug sie das Fotoalbum zu.
„Es wird schon hell“, bemerkte Daka.
„Ich bin auch schon voll müde“, antwortete Silvania gähnend.
„Boi noap, Schwesterherz“, murmelte Daka.
„Dir auch eine gute Nacht, kleine Schwester“, flüsterte Silvania, denn Daka war immerhin sieben Minuten jünger als sie.
Als gute große Schwester wusste Silvania, was sie gegen das Heimweh ihrer kleinen Schwester tun konnte, auch ganz ohne die Pupse eines Blutegels. Sie begann, mit geschlossenen Augen ein altes transsilvanisches Heimatlied zu summen. Mihai hatte es ihnen immer vorgesungen, als sie klein waren, und die ganze Familie Tepes liebte dieses Lied. Es klang ein wenig schief, bis Daka in das Lied einstimmte:
Transsilvania
Wuzzpogoi, oista snips, flopso, flugo,
Milobom job, rodna fantazyca!
job enzero inima naz, Transsilvania!
Obwohl die beiden Vampirschwestern müde und ein bisschen aufgeregt waren, sangen sie bald klar und schaurig-schön. Der Wind trug ihre Stimmen über die einsame Autobahn bis nach Deutschland, wo ein fast ganz normaler Tag beginnen sollte.
Die tödliche Gefahr
Es war ein herrlicher Samstagvormittag am nördlichen Rand von Bindburg. In der beschaulichen Siedlung war alles in bester und ordentlichster Ordnung. Jeder Bewohner der Siedlung hatte etwas Wichtiges zu tun: Herr Meier polierte sein Auto auf Hochglanz und Herr Schmidt schnitt seine Hecke auf Kante, während seine Frau die Straße fegte. Ein dicker Dackel pinkelte in einem gekonnten Bogen auf ein frisch geharktes Beet.
Vor seinem Haus mit der Nummer 21 stutzte Dirk van Kombast den Rasen mit einer Gartenschere. Er hatte ein Brot mit Kräuterfrischkäse gefrühstückt, seine Yogaübungen gemacht, seine Nasenhaare gestutzt (schließlich war Samstag, sein Stutztag), ausgiebig geduscht und dann sein Lieblingsparfum (Ginseng-Patschuli) aufgelegt. Der perfekte Start in den Tag. Nun genoss Dirk van Kombast die Ruhe im Lindenweg, das Schnappen der Heckenscheren, das Zwitschern der Vögel. Schnipp-schnapp, zwitscher-zwatsch. Das war fast besser als die Atemübungen beim Yoga. Entspannung pur, fand Dirk van Kombast. Doch mit der Entspannung sollte es gleich vorbei sein. Mit der Ruhe auch.
Mit einem lauten Scheppern bog ein uralter Laster in den Lindenweg ein. Er ächzte und quietschte und bremste. Bremste? Dirk van Kombast schnitt sich vor Schreck fast in sein Karohemd. Das waren nicht etwa …? Der Laster, oder wie immer sich diese Rostlaube nennen wollte, hielt vor dem Haus mit der Nummer 23. Tatsächlich! Er bekam neue Nachbarn. Neben seinem Haus zog wieder jemand ein.
Wobei Dirk van Kombast dieses Ungetüm nebenan nicht als Haus bezeichnete. Eher als Bruchbude. Eine Schande für den ganzen Lindenweg, wie auch Herr Meier und Herr Schmidt immer wieder kopfschüttelnd feststellten. Die Fensterläden hingen schief, der Garten war unerhört verwildert und die Holzfassade mit Efeu überwuchert. Wer um Himmels willen wollte in so ein Haus ziehen?, fragte sich Herr van Kombast.
Dann sah er zwei Frauenbeine aus der Beifahrertür aussteigen – zwei schlanke Frauenbeine, wie er angenehm überrascht bemerkte! Eine hübsche Frau mit einem eleganten Sonnenhut, unter dem lange, rot gelockte Haare hervorguckten, streckte den Kopf aus dem Auto. Vielleicht waren diese neuen Nachbarn doch nicht so schlimm wie ihr Fahrzeug.
Dirk van Kombast sog die Luft ein und spannte seine gut durchtrainierten Brustmuskeln an. Er wollte gerade mit seinem freundlichsten Nussknackerlächeln hinüberwinken, da stieg ein Mann aus. Herr van Kombast duckte sich hinter die Hecke. Der Mann war groß, schlank und ein bisschen zu blass für seinen Geschmack, schließlich ging Dirk van Kombast jeden Sonntag ins Solarium oder legte sich in die Sonne (Sonntag war sein Bräunungstag). Die Haare des Mannes waren schwarz und konnten mal wieder geschnitten werden. Den schwarzen Anzug, die Melone und die dunkle Sonnenbrille fand Dirk van Kombast etwas übertrieben. Vielleicht sogar verdächtig übertrieben.
Dirk van Kombast war 38 Jahre alt und Pharmavertreter. Er reiste mit einem Koffer voller Medikamente von Arzt zu Arzt, um ihnen möglichst viele von diesen Medikamenten zu verkaufen. Um als Vertreter Erfolg zu haben, brauchte er Menschenkenntnis und die hatte Dirk van Kombast. Und dieser Mensch kam ihm merkwürdig vor, ein Verkaufsgespräch mit ihm wäre sicher heikel. Er sah noch mal auf den Laster. Speditionska stand da. Dirk van Kombast hatte nicht nur Menschenkenntnis – er kannte sich auch mit Fremdsprachen sehr gut aus. Speditionska klang eindeutig italienisch, vermutlich war es sogar ein sizilianischer Dialekt. Er kombinierte und