Die Verzauberten. Roland Betsch

Die Verzauberten - Roland Betsch


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haltend. Sie hat strohgelbes Haar und ein lustiges Gesicht mit einer sogenannten Stumpfnase. Ich beteure ausdrücklich, daß ich nie in meinem Leben etwas gegen Stumpfnasen gehabt habe.

      Wie mag es kommen, daß diese junge Dame, fremd und Gott weiß, woher, daß diese junge Dame, zufällig hier wie eine ahnungslose Blume mitten in der drohenden Katastrophe blühend, wie mag es kommen, daß sie mich so seltsam bewegt; daß ich plötzlich so dankbar bin, zu leben und Komödiant zu sein und überhaupt hier durch das geheime Vorhangauge schauen zu dürfen?

      Jetzt, o Himmel und Hölle, wendet sie den Kopf und ihr forschender Kinderblick trifft das Vorhangauge, hinter dem ich hinausspähe. Unsere Blicke tauchen ineinander, mir geht ein Läuten durch den Kopf, und ich weiß plötzlich, daß ich nicht umsonst gelebt habe. Vielleicht, so denke ich, bin ich geboren worden, um diese Sekunde zu erleben. Ein solcher Tor bin ich und Tollpatsch! Ein Glück, daß jetzt Kollege Hurrle kommt; Hugo Hurrle, altes Roß und Charakterdarsteller; Kreatur, die schon mit allen Winden gesegelt ist.

      »Mensch, mach, daß du am Fetzen wegkommst, es geht los.«

      »Einen Augenblick, Hurrle,« sage ich, »nur eine Sekunde!«

      Schon ruft jemand: Bühne frei!

      »Hurrle,« flüstere ich hastig, »schau mal raus! Siehst du das strohgelbe Mädchen?«

      Er schaut hinaus und lacht, hat ein Feixen, für das ich ihn ohrfeigen könnte.

      »Komm,« sagt er, »komm! Ich glaube, du bist vor Hunger schon sentimental geworden.«

      Wir gehen durch die zweite Gasse von der Bühne.

      »Du wirst nicht ableugnen wollen, daß sie – –«

      »Man muß rauchen; immerfort rauchen.«

      »Du sollst mir antworten. Ich meine, es gibt Begegnungen im Strudel des Daseins – –«

      »Der Alte gefällt mir nicht. Dieser Abend nimmt ein säuerliches Ende.«

      »– – will sagen, manchmal treffen zwei Menschen aufeinander, – – ich meine, unter den Millionen zweibeiniger Wesen, die durch die verlausten Tage stolpern, gehören manche zwangsläufig paarweise zusammen – –«

      »Du bist krank. Deine Nerven haben zu wenig Fett. Du mußt wissen, wenn man zu wenig Fett – –«

      »Mir steht der Sinn keineswegs nach Fett, mein Ehrenwort.«

      Hurrle lehnt sich gegen einen frisch geleimten Apfelbaum. »Das ganze Mädchen mit allen gelben Haaren und Haarwurzeln sei dein, wenn du mir zwei Mark pumpst.«

      »Hugo, ich habe nur noch zwanzig Pfennige, schlag mich tot!«

      »Sie ist gerichtet!«

      »Du sollst jetzt nicht zitieren. Es steht dir schlecht zu Gesicht, in solcher Stunde zu fachsimpeln.«

      »Das stinkt hier ordinär nach Leim. Geh mal zum Vorhangzieher, ob er eine Zigarette hat. Jetzt ist schon alles egal.«

      »Wir kriegen Gage. Die Zentralstelle hat Tagesinkasso.«

      »Schwärmer!«

      »Wir kriegen bestimmt Gage, Hurrle.«

      »Du bist und bleibst ein Kind. Ich will gehen und dir einen Sandhaufen suchen.«

      Er schlurft in seiner Vagabundenmaske im Kreis herum. Dann bleibt er vor mir stehen, schlenkert mit den Armen und setzt seine melancholische Fratze auf.

      »Das sind wir. Hier, bitte! Vagabunden. Jawohl, Vagabunden. Und obendrein haben wir noch einen zweifelhaften Charakter. Das Theater verdirbt jeden. Mir steht's manchmal bis da!«

      Mit der flachen Hand macht er eine Bewegung quer über den Hals.

      Die alte Posse steigt. Nur Mut, Freunde! Habt alle Mut!

      Beim ersten Auftritt zittre ich. Nie habe ich so gezittert. Vor mir die schwarze Höhle, der furchtbare Rachen, in dem es leise und untergründig brodelt. Mir tun die Lampen in der Fußrampe weh. Hoppla, die Menschen lachen; der große, gähnende Rachen, der Brei im Rachen kichert und kollert. Mitten im Spiel denke ich an die strohgelbe Dame. Irgendwo sitzt sie in dieser wahnsinnigen Höhle. Vielleicht lacht auch sie. Jetzt bin ich nur noch eine gezogene und gezerrte Marionette.

      Da kommt Hurrle; oh, wie ausgekocht er ist, wie abgestumpft! In allen Sätteln gerecht. Da kommt er in die Szene gestolpert und wirkt wie eine Bombe. Es dröhnt im dunkeln Raum draußen. Und im großen Dialog mit mir, während er alle Register seines burlesk komischen Könnens zieht, sagt er zwischendurch leise zu mir: »Bruder in Apoll, das ganze Haus duftet aus allen Löchern nach Pleite.«

      Und spielt weiter. Gibt mir ein falsches Stichwort und ich schmeiße um ein Haar die große Szene. Aber er, der routinierte Hund, der durchtriebene Rampenrutscher, er rettet spielend, mit einem satt überlegenen Behagen die Szene und redet mir zwischendurch wieder ins Konzept.

      »Bei jedem Satz schlägt mir der Magen gegen's Zwerchfell. In Alaska haben wir Renntieraugen gefressen. Gib mir ein einziges Renntierauge!«

      Es gibt viel Beifall nach dem ersten Akt.

      »Macht Vorhänge!« ruft jemand von hinten. »Schindet Vorhänge! Fetzen rauf! Runter! Rauf!«

      Wenn der Jammerfetzen hochgeht, sehe ich jedesmal die junge Dame in der vorderen Parkettreihe. Sie sitzt fröhlich im Sessel und klatscht in die lieben Hände.

      Ich taumle in meine Garderobe und stelle mich vor den Spiegel. Wenn du dich abschminkst, denke ich, bist du ein ausgeschlupfter Landstreicher. An dir ist wahrhaftig nichts Unechtes. Mit diesen Lumpen am Leib, mit diesen Schuhen, mit diesem speckigen Hut könntest du ohne weiters fechten gehen.

      Jetzt kommt Hurrle.

      »Du,« sage ich und bin frohen Mutes, »es schlägt ein.«

      »Was schlägt ein? Der Blitz?«

      »Der Mist, den wir spielen.«

      »Findest du?«

      »Na, wenn die Zuschauer heute auf den Händen sitzen, sind wir verloren.«

      »Teile nur bitte vorher kein Gemüse aus.«

      Kaum hat er das gesagt, stürzt unser Ohrenbläser in die Garderobe. Er ist hell entsetzt und jammert uns eine Schauernachricht in die Ohren.

      »Kinder, Dalles! Der Talentpächter ist mit der Abendkasse auf und davon.«

      »Wie bitte?« meint Hurrle und feixt niederträchtig.

      »Der Direktor ist durch die Lappen. Ab mit Rückenwind.«

      Gleichzeitig geht draußen ein großer Rummel los. Ein bedenklicher Wind fegt zwischen die Kulissen. Wir gehen hinaus und sehen, daß sie wie die Mäuse umherrennen. Ein kleiner Aufstand ist ausgebrochen; die Leute wollen nicht mehr weiterspielen, zeigen hingegen alle Lust, den Herrn Direktor zu verfolgen, ihn zu jagen wie einen Hasen, um ihm die Silberlinge abzunehmen.

      Wohin soll das führen! Szenenwechsel zu Ende. Keine Pause vorgesehen. Schon wird es draußen unruhig.

      »Wir müssen unter allen Umständen den Schmarren zu Ende spielen!« rufe ich in das Chaos. Da rennen sie durcheinander. Die Naive ist fassungslos und heult nur so drauflos. Der junge, liebliche Busen wackelt unterm Mieder.

      »Alles habe ich geopfert für die Kunst,« wehklagt sie. »Das darf nicht sein; das ist unmöglich. Es geschehen Wunder. Denkt doch – –«

      »– – an den auferweckten Lazarus,« fällt Hurrle ein und nimmt das kleine, unglückliche Geschöpf in die Arme. »Komm und hör auf zu weinen. Dir läuft die Schminke ins Korsett.«

      Der Tumult vor und hinterm Vorhang wird stärker und gefahrdrohender. Feuerwehrleute gehen in eine gewisse Bereitschaftsstellung. Schutzmänner tauchen auf. Draußen scharren sie mit den Füßen.

      An ein Weiterspielen ist nicht zu denken. Da geht Hurrle vor den Vorhang und erklärt, durch den Eingriff höherer Macht in die Kassenverhältnisse


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