Dr. Norden Jubiläumsbox 7 – Arztroman. Patricia Vandenberg
paar andere Ärzte scheinen ihm ein neues gegeben zu haben.«
Fee sah ihn skeptisch an. »Ist er glaubwürdig?«
»Durchaus, aber ich kann ja Röttgen jederzeit anrufen und mich mit ihm absprechen. Es muß eine sehr dramatische Geschichte sein, und Röttgen scheint zu denken, daß ich dem Mann helfen kann, mehr über sich in Erfahrung zu bringen.«
»Er hat immer schon große Stücke auf dich gehalten und das mit Recht, mein Schatz. Schließlich haben wir auch schon mit einigen sehr schwierigen Fällen zu tun gehabt, wo wir auch helfen konnten. Was hast du also mit ihm vor?«
Das war typisch Fee, die sich nicht lange mit Vermutungen aufhielt, sondern den Dingen gleich auf den Grund ging.
»Er kommt morgen nachmittag zu mir, da nehme ich mir Zeit. Vorerst befasse ich mich mit seinen Laborbefunden.«
»Kann ich da auch hineinschauen?«
»Ich habe mir schon gedacht, daß du neugierig sein wirst, aber viel kann ich dir noch nicht sagen, Feelein. Du mußt ihn dir als einen Mann ohne Vergangenheit vorstellen mit einem Gesicht, das ihm fremd ist, auf der Suche nach seinem früheren Leben. Dabei ist er voller Zweifel, vielleicht auch Angst, wie er in diesem früheren Leben gewesen sein könnte.«
»Von wem wurde er so zugerichtet?« überlegte Fee.
»Wenn er das wüßte, wäre er schon einen großen Schritt weiter.«
»Also eine ganz geheimnisvolle Geschichte.«
»Das kann man sagen, und ich fürchte, daß ich auch nicht viel helfen kann. Wo soll man überhaupt ansetzen?«
»Wie gut spricht er deutsch?«
»Sehr gut, ich nehme an, daß er Deutscher ist.«
»Einen Dialekt? Spricht er bayerisch?«
»Nein, hochdeutsch.«
»Wie gut kennt er München oder andere deutsche Städte. Da mußt du ansetzen.«
»Ich glaube, du könntest das besser machen als ich.«
»Nein, das geht nicht, vielleicht ist eine Frau an seinem Unglück schuld, dann würde er sofort auf Abwehr schalten.«
»An was du schon alles denkst. Du kannst mir sehr helfen.«
»Du machst das schon. Betrachte es als Frage- und Antwortspiel. Du siehst dann, wie er reagiert, ob er die Antwort sucht, oder ob er solche Fragen vermeiden will. Röttgen wird schon gewußt haben, warum er ihn zu dir schickte. Er ist doch mehr ein Pragmatiker. Ihm fehlt sicher die Intuition.«
»Er ist Chirurg und Neurologe und sieht doch einen Fall rein wissenschaftlich, aber er scheint ein Meisterstück vollbracht zu haben mit der Wiederherstellung dieses Mannes.«
»Du mußt unbedingt mit Röttgen sprechen und ihn auch fragen, in welchem Zustand der Patient war, als man ihn fand.«
»Eicken hat einen ausführlichen Bericht mitgebracht, aber Röttgen möchte, daß ich mir selbst ein Bild mache, ohne durch seine Diagnose beeinflußt zu werden. Er hat recht. Man neigt dazu, manches zu übersehen und zu überhören, wenn man sich aus einem Bericht von einem kompetenten Arzt eine Vorstellung gemacht hat. So erging es mir jedenfalls bei Esther Tomaso. In ihrem Fall komme ich zu ganz neuen Erkenntnissen.«
»Wieso, worum geht es da?« fragte Fee interessiert.
»Sie ist siebenundzwanzig Jahre, körperlich fit und organisch gesund, aber der Labortest sagt aus, daß eine Arthritis urica vorliegt. Äußerlich hat sie nicht die geringsten Anzeichen von Gicht, aber die nächtlichen, oft unerträglichen Schmerzen könnten dafür sprechen, weil sie in Schüben auftreten.«
»Rheumaanfälle? Sie ist doch Profi-Tennisspielerin, wie kommt sie mit solchen Schmerzen zurecht?«
»Tagsüber spürt sie angeblich nichts, aber da ist sie auch ständig beschäftigt. Nachts mag sie von Ängsten geplagt werden, daß ihre Karriere frühzeitig zu Ende ist. Wir wissen, welche Rolle die Psyche bei Gelenkerkrankungen spielt. Sie ist ein Energiebündel, hatte viele Verletzungen, besonders im rechten Arm. Sie braucht einen guten Orthopäden.«
Wenn du die richtige Diagnose stellst, kann ein Physiotherapeut und eine fachmännische Massage mehr ausrichten.«
Daniel schwieg nachdenklich. »Sie hat zuletzt in Kapstadt gespielt«, sagte er nachdenklich. »Das ist eigenartig.«
»Du meinst, daß es eine Beziehung zu Eicken geben könnte?«
»Es gibt schon seltsame Zufälle, aber Eickens Schicksal spukt mir im Kopf herum. Esther Tomaso ist viel in der Welt herumgekommen, vielleicht gibt es da eine Verbindung zu Eicken.«
»Du sagst doch, daß er ein neues Gesicht bekommen hat.«
»Aber wenn man einen Menschen sehr gut kannte, spielt oft das Gefühl eine Rolle. Was kann man an einem Menschen nicht verändern, Fee?«
Sie dachte angestrengt nach. »Die Augen«, erwiderte sie, »sonst kann man wohl alles verändern, aber die Augenfarbe bleibt.«
»Sofern nicht andersfarbene Linsen verwendet werden. Wie ist es mit dem Mund?«
»Da käme es darauf an, wie sich die Gesichtsverletzungen ausgewirkt haben.«
»Nach meinem ersten Eindruck ist die Mundpartie natürlich, das Gesicht selbst ist streng, wirkt aber nicht kalt. Es ist Röttgen gelungen, ihm ein sehr sympathisches Gesicht zu geben, aber ob er das früher auch schon war, steht in den Sternen.«
Es herrschte Schweigen zwischen ihnen, dann sagte Fee plötzlich: »Die Zähne, was weißt du über die Zähne?«
»Bisher nur, daß sie mir einwandfrei erschienen, aber Zähne lassen sich ja sehr gut korrigieren.«
»Der Kiefer in dem Alter aber nicht mehr. Wie alt ist er denn?«
»Ich würde ihn auf Mitte Dreißig schätzen, sein richtiges Alter weiß er auch nicht.«
»Und du meinst nicht, daß es ein Täuschungsmanöver sein könnte?«
»Dann wäre er der perfekteste Schauspieler, den man sich vorstellen kann, aber der Mensch, der Röttgen täuschen kann, muß erst geboren werden, und er hat ihn ja als todkrankes Bündel unter die Finger bekommen. Wenn ich ihn heute sehe, muß ich sagen, daß er eine Konstitution gehabt haben muß, die einmalig ist, bevor der Unfall geschah. Ich werde ihn mir morgen ganz genau anschauen.«
»Jetzt gib mir mal den Laborbericht.«
»Den kannst du dir doch morgen vormittag anschauen. Ich möchte es jetzt noch ein bißchen gemütlich haben und nicht über unlösbar scheinende Rätsel reden.«
Sie tranken einen guten Punsch, aber so ganz konnten sie sich nicht von den Gedanken an Lennert van Eicken befreien.
Fee fragte dann auch ganz plötzlich, wie sie denn ausgerechnet auf diesen Namen gekommen wären.
»Darüber werden wir auch noch reden«, erklärte Daniel. »Morgen vormittag kommt Esther Tomaso, nachmittags dann Eicken, das wird ein interessanter Tag.«
»Vergiß die Mahlzeiten nicht, mein Schatz, ich möchte einen gesunden Mann haben.«
»Ich bin gesund, aber diesen beiden muß dringend geholfen werden.«
Daniel nahm jeden Patienten ernst, aber problematische Fälle reizten den Mediziner schon deshalb besonders, weil er dadurch wieder dazulernen konnte. Er gehörte nicht zu denen, die sich für allwissend hielten.
Hoffentlich wird er Erfolg haben, dachte Fee, denn sie wußte, daß es ihm keine Ruhe ließ, wenn er einem Patienten nicht helfen konnte.
Sie beschäftigte sich am nächsten Tag mit den Laborberichten. Einer war gemacht worden, als sein Zustand sich stabilisierte. Da schlug es sich in den Werten nieder, wie geschwächt er war.
Was ein Mensch doch alles ertragen kann, dachte Fee, und mit welcher Akribie mußte Röttgen ihn zusammengeflickt