Butler Parker 142 – Kriminalroman. Günter Dönges
oder?«
»Hier in London ganz sicher nicht«, gab der Anwalt zurück, »meiner Schätzung nach wird man die Beute von der Insel schmuggeln und drüben auf dem Kontinent zu Geld machen.«
Er sah kurz zur Seite, als ein Kellner erschien und sich verbeugte. Er reichte dazu einen Brief an den Anwalt weiter.
»Für mich?« fragte Mike Rander.
»Für Sie, Sir«, bestätigte der Mann, »eine Dame drüben an der Bar hat ihn mir gegeben.«
Mike Rander nahm den Brief entgegen und wandte sich um. Er beobachtete die Bar weit hinten im Raum, konnte jedoch nichts feststellen, was hätte Verdacht erregt. Vor dem langen Bartresen saßen und standen etliche Damen und Herren, die von dort aus die Bühnenshow verfolgten.
»Wahrscheinlich eine Warnung, Mike«, sagte Kathy Porter, als Rander den Brief in der Hand wog.
»Werden wir gleich wissen, Kathy.« Er öffnete den nur oberflächlich verschlossenen Umschlag und zog einen Bogen hervor. Er überflog die wenigen Zeilen und reichte das Blatt dann an Kathy Porter weiter.
»Hoffentlich kommen Sie gesund nach Hause«, las sie halblaut, »Kugeln sind schnell und tödlich.«
»Stimmt auf der ganzen Linie«, sagte Mike Rander, »ich denke, wir sollten verdammt auf der Hut sein, Kathy.«
*
Parker wußte seit einigen Minuten, daß sein hochbeiniges Monstrum verfolgt wurde.
Er saß am Steuer seines Privatwagens, einem ehemaligen Londoner Taxi, das sich durch hohe und eckige Formen auszeichnete. Der Wagen war nach Parkers Vorstellungen gründlich überarbeitet worden, was gewisse technische Dinge betraf, er war eigentlich zu einer Trickkiste auf Rädern geworden, wie Eingeweihte und Betroffene inzwischen wußten. Und immer wieder nahm Josuah Parker Korrekturen an der Ausstattung vor, um von der Technik seiner Gegner nicht überholt zu werden.
Er war nicht allein im Wagen. Im Fond saß seine Herrin, die sich an diesem nächtlichen Ausflug unbedingt beteiligen wollte. Sie hatte von Parker inzwischen erfahren, daß ihnen ein Morris folgte, in dem offenbar zwei Frauen saßen. Die ältere Dame machte daher einen recht animierten Eindruck. Sie hoffte, daß die Verfolgerinnen, die keine Damen waren, versuchen würden, sich mit ihr anzulegen. Immer wieder warf sie einen prüfenden Blick durch das Rückfenster des Wagens.
»Ich werde bald zuschlagen können, Mr. Parker«, sagte sie optimistisch, »sorgen Sie gefälligst dafür, daß die beiden Frauen nicht abgehängt werden.«
»Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, antwortete der Butler höflich, »darf ich übrigens darauf verweisen, daß diese Beschattung ungewöhnlich dilettantisch vorgenommen wird?«
»Ich habe nichts dagegen«, meinte die Detektivin und prüfte die Einsatzbereitschaft ihres Pompadours. In diesem perlenbestickten Handbeutel, wie ihn die Damen der Jahrhundertwende trugen, befand sich der sogenannte ›Glücksbringer‹ der Lady. Er bestand aus einem Pferdehufeisen, das nur oberflächlich in Schaumstoff gehüllt war. In der nervigen Hand Agatha Simpsons, die gern und schlecht Golf spielte, war dieser Pompadour eine beachtliche Waffe, zumal sie es verstand, diesen Handbeutel auch über mittlere Entfernungen hinweg auf ein Ziel zu schleudern.
Parker sah in den Außenspiegel. Der Morris hatte sich wieder genähert und bemühte sich gerade, einen Wagen zu überholen. Dies geschah in einer gefährlichen Mischung aus Zögern und unnötiger Entschlossenheit. Der Butler konnte sich kaum vorstellen, daß die Insassen des verfolgenden Wagens glaubten, nicht entdeckt zu werden. Ja, legten sie es vielleicht sogar aus bestimmten Gründen darauf an, gesehen zu werden?
»Wann kann ich mir diese beiden Dämchen endlich kaufen, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Simpson ungeduldig.
»Myladys Einverständnis voraussetzend, könnte man es in der nächsten Seitenstraße zu einer Begegnung kommen lassen«, erwiderte Josuah Parker in seiner typischen Art der Formulierung, »darf man daran erinnern, daß die beiden angeblichen Mitglieder der Heilsarmee sofort schossen?«
»Ich will doch hoffen, daß Sie etwas dagegen unternehmen, Mr. Parker«, antwortete Lady Agatha grimmig, »McWarden wird sich schwarz ärgern, wenn ich ihm morgen die Schmuckräuber serviere.«
Den Hinweis auf etwaige Schüsse hatte Lady Agatha schon wieder vergessen. Für sie galt einzig und allein, den Chief-Superintendent ärgern zu können. Ihr Verhältnis zu ihm und umgekehrt war eine Art Haßliebe. Man brauchte sich gegenseitig, gestand es sich aber natürlich nicht ein.
Josuah Parker lenkte sein hochbeiniges Monstrum inzwischen in eine stille Seitenstraße und setzte noch in der Kurve eine kleine Dosis Gleitöl auf den Asphalt. Es handelte sich wirklich nur um eine geringe Menge, doch sie reichte seiner Erfahrung nach vollkommen aus, einen unvorbereiteten Fahrer aus dem Konzept zu bringen.
Er hatte sich wieder mal nicht getäuscht.
Der Morris, der schnell aufschließen wollte, geriet mit dem rechten Vorderrad auf das Gleitöl und ließ den Wagen ruckartig ausbrechen. Die Fahrerin bremste, fing den Wagen nur ungeschickt ab und schaffte es mit geradezu spielerischer Leichtigkeit, den Morris gegen den Mast einer Straßenbeleuchtung zu setzen. Glas splitterte und Blech wurde ächzend eingedrückt. Der Anprall war nicht besonders nachdrücklich, und die beiden Insassen konnten ohne weiteres ausasteigen und sich den Schaden betrachten.
»Die Damen haben Schwierigkeiten?« erkundigte sich Josuah Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. Er hatte seinen Wagen verlassen und näherte sich den beiden Insassen des Morris, die ihn entgeistert anschauten. Parker jedoch blieb auf der Hut. Er wußte schließlich, wie schnell und konsequent diese Sorte Damen zur Schußwaffe griff.
*
»Was soll das, Kathy?« fragte Mike Rander. Er hatte sich von Kathy dazu überreden lassen, hinter die Bühne zu gehen. Der Anwalt schaute sich irritiert um und sah sich umgeben von Künstlern, die entweder auf ihren Auftritt warteten oder ihn gerade beendet hatten. Das alles wirkte ziemlich chaotisch auf Rander, doch Kathy Porter schritt zielbewußt weiter und hielt seine Hand. Ob er wollte oder nicht, er mußte mitkommen und erreichte mit ihr einen langen Korridor, dessen Wände aus nackten Ziegeln bestanden.
»Ich möchte nicht, daß Ihnen was passiert, Mike«, beantwortete sie seine Frage und lächelte.
»Nett von Ihnen, Kathy. Aber falls man uns auflauert, dann auch auf der Rückseite des Theaters hier.«
»Ich weiß.« Die junge Dame nickte, blieb stehen und sah sich um. Dann schob sie Mike Rander in einen kleinen Raum, in dem die Bühnenarbeiter ihre Geräte aufbewahrten.
»Kennen Sie sich hier aus, Kathy?« fragte Rander.
»Natürlich nicht, Mike. Wollen Sie einen Moment warten?«
»Wollen schon, aber ich möchte wissen, was Sie da eigentlich vorhaben?«
»Sie werden’s gleich sehen.« Sie lachte plötzlich, wandte sich ab und drückte hinter sich die Tür an. Rander schüttelte den Kopf, lehnte sich gegen ein Regal, auf dem Werkzeuge lagen, und dachte an die Warnung, die sie eben erhalten hatten. Im Grund war sie eine einzige Drohung gewesen. Die Absicht lag auf der Hand. Man wollte Kathy und ihn verunsichern und einschüchtern. Vielleicht lag man jedoch auch wirklich auf der Lauer, um ein paar gezielte Schüsse abzufeuern.
Beifall rauschte auf, Künstler liefen an der spaltbreit geöffneten Tür vorüber, Stimmen waren zu hören, dann herrschte Stille, die vom schmetternden Einsatz einer Musiknummer abgelöst wurde. Rander fühlte eine gewisse Nervosität in sich aufsteigen. Er machte sich Vorwürfe, daß er Kathy allein gelassen hatte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was sie wollte.
Doch sie kam bereits wieder zurück und lächelte. Sie reichte ihm eine Art Skalp und drückte ihm einen gesteppten Nylonmantel in die Hand.
»Was ist das?« fragte er und betrachtete den Skalp.
»Eine Perücke«, erwiderte sie und gluckste vor Lachen.
»Hören Sie, wollen Sie aus mir Charleys