DUNKLE ERNTE (Project 4). Alex Lukeman

DUNKLE ERNTE (Project 4) - Alex  Lukeman


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ist die Göttin der Fruchtbarkeit und der Ernte. Als sie herausfand, dass Hades ihre Tochter entführt hat, geriet sie in Raserei. Sie machte von ihrer dunklen Seite als Demeter Erinnys Gebrauch und sorgte dafür, dass sich nichts mehr fortpflanzen konnte. Die Ernten gingen ein. Es gab Hungersnöte und Krankheiten. Es wurden keine Kinder mehr geboren. Alle Tiere waren plötzlich steril. Nichts wuchs oder gedieh mehr, bis Persephone freigelassen wurde. Das ist so eine Sache, die fast alle griechischen Götter und Göttinnen gemeinsam haben: Man sollte ihnen besser nicht ans Bein pinkeln.«

      Eines der vielen Dinge, die Nick an Selena mochte, war ihre derbe Ausdrucksweise – etwas, das man angesichts ihrer Herkunft nicht erwarten würde.

      »Und das ist der Fluch?«

      »Ja. Sie schloss mit Zeus einen Handel ab. Als Gegenleistung für Persephones Freiheit brachte sie die Dinge wieder ins Lot und versprach, es nie wieder zu tun. Das Übliche eben. Aber in dieser Version hier ging sie auf Nummer sicher. Sie verbarg ihre Macht, alles Wachstum aufzuhalten, für den Fall der Fälle.«

      »Ich wette, ich weiß auch, wo«, warf Ronnie ein.

      Selena wartete.

      »In einer goldenen Urne.«

      »Das ist richtig.«

      Harker nahm den silbernen Füller auf, der einmal Roosevelt gehört hatte, und begann damit auf ihre Unterlage zu tippen. Währenddessen dachte sie nach.

      »Hin und wieder gibt es für diese Geschichten eine historische Grundlage, etwas Reales. Ich frage mich, ob das bei dieser Sache auch so ist.«

      »Campbell zumindest glaubte daran«, meinte Nick.

      »Campbell, Weinstein und McCullough hatten alle zwei Dinge gemeinsam. Sie kannten die Geschichte aus den Tafeln und sie waren Experten im selben Fachgebiet. Außerdem besaßen Campbell und Weinstein eine recht hohe Sicherheitsfreigabe.«

      »Wieso sollten sie diese brauchen?«, wunderte sich Selena.

      »Sie arbeiteten an einem Geheimprojekt für das Pentagon«, antwortete Elizabeth. »Es wäre nicht das erste Mal, dass das CDC an einem Biowaffen-Programm beteiligt wäre.«

      »Die Griechen setzten bereits biologische Kriegsführung ein. Sie warfen tote Pestopfer über die Mauern belagerter Städte oder katapultierten Giftschlangen auf feindliche Schiffe. Nicht selten vergifteten sie auch die Wasserversorgung durch tote Tiere.«

      »Scheint so, als wäre alles schon einmal da gewesen, nicht wahr?« Harker rollte ihren Füller auf dem Tisch hin und her. »Campbell hielt die Urne für wichtig. Aber wir wissen nicht, was aus ihr geworden ist.«

      »Wir wissen zumindest, dass Alexander sie Aetolikos anvertraut hat«, erklärte Selena. »Ich habe recherchiert. Wie sich herausstellte, war er ein Cousin Alexanders, einer seiner Feldherren. Also gehörte er zur Familie.«

      »Konnten Sie herausfinden, wohin er die Urne gebracht hat?«

      »Er transportierte die Schätze bis nach Pella und reiste dann nach Hause, nach Dion. Danach gibt es keine weiteren Aufzeichnungen mehr über ihn. Dion lag in Mazedonien, und dort gab es einen großen Tempel, der Demeter gewidmet war. Die Stadt wurde verwüstet, als die Perser einmarschierten. Xerxes könnte die Urne dort gefunden haben.«

      »Sie glauben also, Alexanders Cousin nahm die Urne nach Dion mit?«

      »Das würde zumindest Sinn ergeben. Für ihn wäre es nur logisch gewesen, etwas aus dem Besitz der Göttin wieder an seinen rechtmäßigen Platz zurückzubringen.«

      »Aber es scheint mir unwahrscheinlich sie heute noch aufzuspüren zu können«, sagte Nick.

      Selena zuckte mit den Achseln. »Die Stadt gibt es aber noch.«

      »Wir müssen versuchen, herauszufinden, was aus dieser Urne geworden ist.« Harker wandte sich an Selena. »Wie ist denn Ihr Griechisch?«

      Kapitel 8

      Das Hotelbett war extrem unbequem. Der Raum war stickig, die roten Vorhänge an den Fenstern dunkel und schwer. Der dichte Smog in Athen ließ ihre Augen tränen. Deshalb war sie froh, als ihr Flugzeug endlich abhob und sie die Stadt wieder hinter sich lassen konnte.

      Dion lag weit im Norden von Athen, am Fuße des Olymps. Der nächste Flughafen befand sich in Thessaloniki. Dort mietete sich Selena ein Auto und legte damit die restlichen siebzig Kilometer bis zu ihrem nächsten Hotel zurück. Die Rezeptionistin war überaus zuvorkommend. Gäste gab es jedoch nur wenige, selbst in diesem Fünf-Sterne-Resort. Der traumhafte Strand direkt vor ihrem Hotelfenster war beinahe menschenleer. Ein junger Mann führte dort gerade seinen Hund spazieren. Ein junges Paar schmiegte sich unter einer Decke aneinander, um sich gegen die beständige Brise zu schützen, die aus der Ägäis heranwehte.

      Ihr erster Solo-Auftrag. Du bist nicht mehr in Kansas, dachte sie. Jetzt bist du auf dich allein gestellt. Es fühlte sich gut an, aber auch ein wenig unheimlich, so ganz ohne ihr Team zu sein.

      Sie war nicht bewaffnet. Dies war schließlich nur eine Forschungsreise, die sich nicht von anderen Reisen in ihrer Vergangenheit unterschied, um gewisse Sprachen oder Kulturen zu studieren. Sie rechnete zwar nicht mit Schwierigkeiten, aber ihr hallten dennoch Nicks Worte durch den Kopf.

       Begehe nie den Fehler, dich vom ersten Anschein leiten zu lassen. Halte immer nach dem trügerischen Wort, dem versteckten Messer oder der Pistole Ausschau. Vertraue niemandem.

       Vertraue niemandem!

      Dieser Gedanke war für sie nicht neu. Sie hatte lange gebraucht, wieder Vertrauen fassen zu können, nachdem ihre Eltern und ihr Bruder gestorben waren. Damals war sie erst zehn Jahre alt gewesen. Danach war sie zu einer attraktiven Frau herangewachsen und hatte gelernt, den Männern nicht zu vertrauen. Den meisten traute sie noch immer nicht. Nick bildete da eine seltene Ausnahme. Ihm hätte sie sogar ihr Leben anvertraut, das wäre kein Problem gewesen. Ihm ihr Herz zu schenken war hingegen eine ganz andere Sache. Er hatte ihr gesagt, dass er sie liebte. Sie wusste, dass er es ernst meinte, auf seine Art, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie ihn auch für vertrauenswürdig hielt. Es gab eine Menge unterschiedlicher Ebenen des Vertrauens. Sie schob ihre verwirrenden Gedanken nun beiseite und dachte stattdessen über ihre Mission nach.

      Aetolikos war vor langer Zeit nach Hause zurückgekehrt. Er war mit Alexander verwandt gewesen und von hohem Rang. Womöglich hatten Ausgrabungen in dieser Gegend etwas über ihn zutage befördert. Das archäologische Museum von Dion war daher wahrscheinlich der beste Ort, um mit ihren Nachforschungen zu beginnen. Wenn das erfolglos blieb, würde sie sich mal in dem Dorf umhören. Vielleicht gab es ja Geschichten, die mündlich überliefert worden waren.

      Das Hotelrestaurant duftete nach dem Meer. Es war groß und beinahe leer. Sie bestellte sich gefüllte Weinblätter, einen Salat, eine Flasche Mineralwasser und etwas Brot und Öl. Ein Mann mittleren Alters an einem Ecktisch trank Kaffee und blätterte in der Tageszeitung. Vier ältere Paare, die sich wahrscheinlich auf einer Rundreise befanden, saßen an den Fenstern, wirkten aber gelangweilt.

      Zwei Männer in gerade geschnittenen dunklen Anzügen kamen jetzt herein und setzten sich. Sie blickten kurz in ihre Richtung, ignorierten sie dann aber. In gestelztem Englisch bestellen sie sich etwas zu Mittag, zusammen mit einer Flasche Retsina, einem starken griechischem Getränk, das ihrer Meinung nach wie Terpentin schmeckte. Dann begannen sie, geschäftliche Dinge zu bereden. Es dauerte einen Moment, bis sie die Sprache als Georgisch erkannte. Selena konnte sich darin zwar nicht verständigen, verstand aber die Grundlagen. Den Wortfetzen, die sie aufschnappen konnte, entnahm sie, dass sich die Männer über den Import von Oliven unterhielten. Vielleicht wollten sie diese aber auch verkaufen, da war sie sich nicht hundertprozentig sicher.

      Selena blendete sie aus, aß langsam ihre Mahlzeit und dachte dabei an Nick und daran, wie es sich wohl anfühlen würde, mit ihm zusammenzuleben. Vielleicht war es ja doch besser, die Dinge so zu belassen, wie sie waren. Dann beendete sie ihr Mittagessen, unterschrieb die Rechnung und lief an dem Tisch mit den beiden Männern


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