DUNKLE ERNTE (Project 4). Alex Lukeman
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Kapitel 1
Manchmal ist es besser, nicht zu finden, wonach man sucht.
In einem letzten verzweifelten Aufbäumen umklammerte der raue Winter Neuenglands den Campus des Dartmouth Colleges mit arktischer Kälte, doch in der Rauner Library war es warm und behaglich. Durch ein Vergrößerungsglas spähte James Campbell gerade auf seine jüngste Entdeckung hinab.
Neun rötlich-braune Tontafeln aus dem alten Persien, komplett mit Schriftzeichen bedeckt. Die Einkerbungen waren noch so klar und deutlich zu erkennen wie an jenem Tag, als man sie in den frischen Ton gepresst hatte, vor über 2400 Jahren. Campbell tippte eine letzte Notiz in seinen Laptop, dann klappte er den Computer zu.
Campbell war ein untersetzter Mann um die sechzig. Sein graues, lichter werdendes Haar zog sich in der Form von Geheimratsecken aus einem Gesicht zurück, das in all den Jahren, in denen es durch ein Mikroskop auf winzige Lebensformen gestarrt hatte, die von Tod und Zerstörung kündeten, faltig geworden war. In dieser Nacht fand sich jedoch nichts Lebendiges unter seinem Vergrößerungsglas. Nur die Tafeln, die er tief in den Archiven vergraben gefunden hatte. Sie enthielten den Hinweis auf die Erfüllung eines Traums … oder vielleicht auch eines Albtraums.
Das könnte der Schlüssel sein, dachte er bei sich.
Campbell fotografierte die Tafeln mit seinem Handy und verfasste zwei Nachrichten. Mit einem Fingerdruck auf das Display schickte er die E-Mails mit den Bildern auf die Reise. Dann packte er das Handy zusammen mit einer Kopie der Inschriften in die Tasche seines Laptops. Die Tafeln verschwanden wieder in ihren Schubladen im Archiv. Er warf sich seinen schweren Mantel über, nahm seinen Laptop und lief zum Ausgang. Es war schon spät, aber Campbells Position erlaubte es ihm, zu jeder Tages- und Nachtzeit Zutritt zum Gebäude zu haben. Ein müder Wachmann erhob sich von seinem Stuhl und entriegelte die Tür. Ein schwacher Hauch von Bourbon umwehte ihn. Campbell trat in die eisige Nacht hinaus.
Der Boden knirschte unter seinen Füßen. Der Himmel war ein Ozean aus zerbrechlich wirkenden Sternen. Wenn er einatmete, fühlte sich die Luft wie der Kuss einer Rasierklinge an, messerscharf und schmerzhaft. Er lief zu seinem Wagen, der allein auf einem verlassenen Parkplatz stand. Die Fensterscheiben waren beschlagen. Seltsam, dachte er, besonders bei dieser Kälte.
Der gemietete Volvo startete nur unter Protest. Campbell wartete, bis sich der Motor warmgelaufen hatte, und dachte währenddessen über die Tontafeln nach.
Dann wurde plötzlich etwas Scharfes gegen seine Kehle gepresst. Adrenalin durchflutete seinen Körper.
»Keine Bewegung.« Im Rückspiegel erblickte Campbell nun ein dunkles Gesicht. Der Schädel war schmal, die Augen tief in ihren Höhlen liegend und dunkel.
»Was …?«
»Sie reden nur dann, wenn ich es Ihnen erlaube. Verstanden?«
»Ja.«
»Sie forschen derzeit an etwas. Antworten Sie … ja oder nein?«
Campbell schluckte. Die Klinge erzeugte einen schmalen Streifen des Schmerzes an seinem Adamsapfel.
»Forschungen, ja.«
»Was haben Sie herausgefunden? Ich merke, wenn Sie mir nicht die Wahrheit sagen. Wenn Sie lügen, schneide ich Ihnen Ihr Ohr ab. Glauben Sie mir das?«
»Ja.«