Dr. Daniel Staffel 3 – Arztroman. Marie Francoise
Und…«, er senkte den Kopf, »ich wollte Ihnen schon lange sagen, daß mir das… worüber wir vorhin gesprochen haben… die Tracht Prügel, die Sie als Junge von mir bekommen haben, und auch die bösen Worte, die ich Ihnen an den Kopf geworfen habe… Das alles tut mir sehr leid.«
»Schon in Ordnung, Herr Huber«, meinte Rainer lächelnd, dann wurde er wieder ernst. »Ich wünsche mir von Ihnen im Moment nur eines: Finden Sie den Mistkerl, der das getan hat.«
*
»Jackl! Telefon für dich!« rief der Tankwart der einzigen Steinhausener Tankstelle mit angrenzender Werkstatt seinem Mechaniker zu.
Jakob Wiedl wischte sich die schmutzigen Hände am Arbeitsanzug ab, dann griff er nach dem Telefonhörer.
»Was ist?« fragte er knapp. Er wurde nur ungern mitten in der Arbeit gestört.
»Bergmann«, gab sich der Anrufer zu erkennen. »Kommen Sie heute abend zu mir. Ich habe einen kleinen Auftrag für Sie.«
Dann legte er einfach auf, während Jakob Wiedl mit dem Hörer in der Hand stehenblieb und einen Augenblick lang gar nicht sehr intelligent dreinblickte.
»Was ist los?« fragte der Tankwart. »Hat dir deine Herzallerliebste den Laufpaß gegeben?«
Jakob schüttelte den Kopf. »Das war der alte Bergmann. Ich soll heute abend zu ihm kommen.«
Der Tankwart zog die Augenbrauen hoch. »Ah, da schau her. Sollst für den noblen Herrn wohl eine Inspektion unter der Hand machen.« Dann winkte er ab. »Dir kann’s doch egal sein, Jackl. Verdienst dir eben ein kleines Taschengeld dazu.«
Jakob nickte, trotzdem hatte er ein ungutes Gefühl, als er sich am Abend auf den Weg zur Bergmann-Villa machte. Martin Bergmann erwartete ihn dann auch schon vor dem Portal.
»Hören Sie, Wiedl, ich habe da eine blöde Geschichte am Hals«, kam er gleich zur Sache. »Vor ein paar Tagen hab’ ich ein Reh angefahren und…« Er zuckte die Schultern. »Sie wissen ja, daß man so was dem Förster melden muß, aber… auch ich mag ab und zu gern einen Rehbraten.«
Jakob verstand. »Jetzt können Sie den demolierten Wagen natürlich in keine Werkstatt bringen.«
Martin Bergmann nickte. »Genauso ist es. Also, Wiedl, wie schaut’s aus? Bleibt das unter uns? Ihr Schaden soll’s nicht sein.«
Jakob zögerte. Er war ein grundanständiger Mensch, und ein solches Geschäft war ihm eigentlich zuwider. Andererseits – es ging ja schließlich um ein Reh. Sicher, der alte Bergmann hatte so viel Geld, daß er sich jeden Tag einen Rehbraten hätte leisten können, aber wer hätte an seiner Stelle wohl nicht zugegriffen?
»Einverstanden«, stimmte Jakob zu. »Ich nehme den Wagen gleich mit.« Er sah auf die Uhr. »Die Reparatur kann ich heute noch anfangen. Morgen ist Samstag, da bleibt die Werkstatt geschlossen. Wenn ich es heute nacht also nicht schaffe, dann kann ich morgen weitermachen. Das fällt keinem auf. Ich richte meinen eigenen Wagen auch ab und zu am Wochenende.«
Martin Bergmann nickte. »Natürlich können Sie den Wagen gleich mitnehmen. Und allzuviel fehlt auch nicht. Ich bin sicher, daß Sie das in ein paar Stunden geschafft haben. Das mit der Bezahlung regeln wir dann, wenn Sie mir den Wagen wiederbringen.«
»Einverstanden«, stimmte Jakob zu, dann ließ er sich von Martin Bergmann in die Garage begleiten, nahm den Schlüssel entgegen und fuhr zur Werkstatt hinunter.
Doch schon bei der ersten Durchsicht wurde er stutzig. Sicher, es klebten ein paar Blutreste an der Stoßstange. Die hatte der alte Bergmann wohl übersehen, denn der übrige Wagen war so blankgeputzt als käme er frisch aus der Waschanlage. Aber die Dellen auf der Küh-lerhaube waren einfach zu unscheinbar, als daß ein Reh sie verursacht haben konnte.
»Vielleicht hat er es ja nur gestreift«, murmelte sich Jakob zu. »Aber dann wäre es sicher weitergelaufen.« Der alte Bergmann hatte aber von einem Rehbraten gesprochen. Das bedeutete, daß das Reh tot gewesen sein mußte.
Wieder betrachtete Jakob die Schäden am Auto, dann schüttelte er den Kopf.
»Das war kein Reh!«
Seine eigene Stimme klang laut und fremd in der leeren Werkstatt, und unwillkürlich zuckte Jakob zusammen. In diesem Moment kam auch die Erinnerung an den Besuch der beiden Polizisten zurück. Das war doch erst eine knappe Woche her.
Jakob runzelte die Stirn. Hatten die nicht was gesagt von Unfall mit Fahrerflucht? Und daß er aufpassen sollte, falls ihm ein beschädigtes Fahrzeug unterkommen würde?
»Menschenskind«, murmelte Jakob und betrachtete nun beinahe ängstlich den beschädigten Wagen. »Wenn ich mithelfe, das zu vertuschen, dann kann ich selbst in Teufels Küche kommen.«
Andererseits – wenn es wirklich nur ein Reh gewesen war, und der alte Bergmann bekäme nun seinetwegen Schwierigkeiten mit der Polizei… es wäre nicht auszudenken! Der Mann war zu mächtig, als daß man sich leichtfertig mit ihm hätte anlegen mögen.
»Was mache ich denn bloß?« stöhnte Jakob und fuhr sich mit beiden Händen durch das dichte dunkle Haar. Dann bückte er sich und betrachtete die Blutflecken, die Martin Bergmann wohl übersehen hatte, als er das Auto gewaschen hatte. Konnte das menschliches Blut sein?
»Blut ist für mich Blut«, knurrte sich Jakob an. »Ich bin ja schließlich Automechaniker und kein Arzt.« Gewissenhaft suchte er den Wagen ab, ohne genau zu wissen, wonach er eigentlich suchte. Und er fand auch nichts, was ihm die Entscheidung erleichtert hätte. Was siegte, war schlicht und einfach seine Anständigkeit.
Er verließ die Werkstatt, schloß sorgfältig die Tür ab und ging auf direktem Weg zur Polizei.
*
Karl Huber war eben im Begriff, seinen Dienst zu beenden, als ihm Jakob Wiedl angemeldet wurde. Und dann stand der junge Mann auch schon vor ihm, war schrecklich verlegen und drehte voller Unsicherheit seine Mechanikermütze.
»Nun, Herr Wiedl, was führt Sie zu mir?« wollte Huber wissen.
»Na ja, es ist… ich weiß nicht, ob es wichtig ist, und… ich möchte nicht, daß der Mann Schwierigkeiten bekommt«, stammelte Jakob nervös. »Wenn es wirklich nur ein Reh war… ich meine… jeder hat doch mal das Recht, sich einen kleinen Braten zu genehmigen.«
Verständnislos runzelte Karl Huber die Stirn. »Wie bitte?«
»Na ja, es geht um das Auto«, begann Jakob noch einmal. »Vor einer Woche waren doch zwei Beamte bei mir in der Werkstatt und haben gesagt, ich solle aufpassen… wegen diesem Wagen, der da Fahrerflucht begangen hat… natürlich nicht der Wagen allein, sondern der Fahrer…« Er stockte, weil er merkte, wie er sich immer mehr verhedderte.
Doch der Polizeibeamte hatte aus seinem Gestotter schon in etwa herausbekommen, worum es eigentlich ging.
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie das Auto in die Werkstatt bekommen haben, das möglicherweise den Unfall mit der jungen schwangeren Frau verursacht hat?« vergewisserte er sich.
Jakob wand sich. »Na ja, so direkt möchte ich das nicht behaupten, aber…« Er atmete tief durch. Es half alles nichts; nun war er schon mal hier, also mußte er auch die ganze Geschichte erzählen. »Ich bin von einem Mann gebeten worden, sein Auto zu richten… schwarz sozusagen. Er hat angeblich ein Reh angefahren, und weil er es dem Förster nicht melden wollte, sondern lieber selber mal einen Rehbraten genießen…« Wieder drehte Jakob seine Mechanikermütze, die inzwischen eher einem zu fest ausgewrungenen Putzlappen glich. Dann zuckte er die Schultern. »Ich hatte schon Bedenken, aber… na ja, es ging nur um ein Reh, und da dachte ich…« Wieder zuckte er die Schultern, dann sah er den Beamten mit treuherzigem Blick an. »Ich bekomme doch jetzt hoffentlich keine Schwierigkeiten, oder?«
»Wenn Sie auf diese Weise vielleicht den Mann gefunden haben, der eine junge Frau niedergefahren hat und nachher einfach geflüchtet ist, dann bekommen Sie ganz bestimmt keine Schwierigkeiten, Herr Wiedl«, versicherte Karl Huber. »Außerdem haben Sie an dem Auto noch nichts gerichtet, sondern sind unverzüglich