Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Rudolf Virchow

Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre - Rudolf Virchow


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das Bindegewebe vielmehr an allen Orten eine homogene, jedoch mit grosser Neigung zur Faltenbildung versehene Masse darstelle.

      Schwann hatte die Bildung des Bindegewebes so dargestellt, dass ursprünglich zellige Elemente von spindelförmiger Gestalt vorhanden wären, die nachher so berühmt gewordenen geschwänzten Körperchen, Spindel- oder Faserzellen (fibroplastischen Körper Lebert's, Fig. 4, b), und dass aus solchen Zellen unmittelbar Fascikel von Bindegewebe in der Weise hervorgingen, dass der Körper der Zelle in einzelne Fibrillen sich zerspalte, während der Kern als solcher liegen bliebe (Fig. 20, B). Jede Spindelzelle würde also für sich oder in Verbindung mit anderen, an sie anstossenden und mit ihr verschmelzenden Spindelzellen ein Bündel von Fasern liefern. Henle dagegen glaubte aus der Entwickelungsgeschichte schliessen zu müssen, dass ursprünglich gar keine Zellen vorhanden seien, sondern nur einfaches Blastem, in welchem Kerne in gewissen Abständen sich bildeten; die späteren Fasern sollten durch eine directe Zerklüftung des Blastems entstehen. Während so die Zwischenmasse sich differenzire zu Fasern, sollten die Kerne sich allmählich verlängern und endlich zusammenwachsen, so dass daraus eigenthümliche feine Längsfasern entständen, die sogenannten Kernfasern (Fig. 20, C, b). Reichert hat gegenüber diesen Ansichten einen ausserordentlich wichtigen Schritt gethan. Er bewies nehmlich, dass ursprünglich nur Zellen in grosser Masse vorhanden sind, zwischen welche erst später homogene Intercellularmasse abgelagert wird. Zu einer gewissen Zeit verschmölzen dann, wie er glaubte, die Membranen der Zellen mit der Intercellularsubstanz, und es komme nun ein Stadium, dem von Henle beschriebenen analog, wo keine Grenze zwischen den alten Zellen und der Zwischenmasse mehr existire. Endlich sollten auch die Kerne in einigen Formen gänzlich verschwinden, während sie in anderen sich erhielten. Dagegen leugnete Reichert entschieden, dass die spindelförmigen Elemente von Schwann überhaupt vorkämen. Alle spindelförmigen, geschwänzten oder gezackten Elemente wären Kunstproducte, gleich wie die Fasern, welche man in der Zwischenmasse sähe und welche nur scheinbar etwas für sich Existirendes darstellten, da sie in Wahrheit eine falsche Deutung des optischen Bildes, der Ausdruck blosser Falten und Streifungen einer an sich durchaus gleichmässigen Substanz seien.

      Fig. 21. Bindegewebe vom Schweinsembryo nach längerem Kochen. Grosse zum Theil isolierte, zum Theil noch in der Grundsubstanz eingeschlossene und anastomisirende Spindelzellen (Bindegewebskörperchen). Grosse Kerne mit abgelöster Membran; zum Theil geschrumpfter Zelleninhalt. Vergr. 350.

      Fig. 22. Schema der Bindegewebs-Entwickelung nach meinen Untersuchungen. A. Jüngstes Stadium. Hyaline Grundsubstanz (Intercellularsubstanz) mit grösseren Zellen (Bindegewebskörperchen); letztere in regelmässigen Abständen, reihenweise gestellt, Anfangs getrennt, spindelförmig und einfach, späterhin anastomosirend und verästelt. B. Aelteres Stadium: bei a. streifig gewordene (fibrilläre) Grundsubstanz, durch die reihenweise Einlagerung von Zellen fasciculär erscheinend; die Zellen schmäler und feiner werdend; bei b. nach Einwirkung von Essigsäure ist das streifige Aussehen der Grundsubstanz wieder verschwunden, und man sieht die noch kernhaltigen, feinen und langen anastomosirenden Faserzellen (Bindegewebskörperchen).

      Mit dem Nachweise von der Persistenz der Zellen im Bindegewebe gelangte ich zu einer gänzlich verschiedenen Betrachtungsweise der physiologischen und pathologischen Bedeutung der einzelnen Bestandtheile. Während bis dahin die Fasern als die eigentlich constituirenden Elemente des Bindegewebes angesehen waren, wie es Robin und die französische Schule noch heute thun, so rückten sie in meiner Vorstellung als Bestandtheile der Intercellularsubstanz in eine durchaus untergeordnete Stellung. Sie verhalten sich zu den Bindegewebszellen, oder, wie ich sie gewöhnlich nenne, den Bindegewebskörperchen, wie die Fasern des Fibrins in einem Blutgerinnsel zu den Blutkörperchen. Sie geben dem Gewebe Consistenz, Dehnbarkeit, Widerstandsfähigkeit, Ausdehnungsfähigkeit, Farbe und Aussehen, aber sie sind nicht die Sitze der Lebensthätigkeit, nicht die lebenden Mittelpunkte des Gewebes.

      Da die Substanz, welche sich zwischen den Bindegewebskörperchen befindet, ursprünglich homogen ist und erst später fibrillär wird, so muss man sich vorstellen, dass die Fibrillation in ähnlicher Weise vor sich geht, wie in dem Fibringerinnsel, welches zuerst auch homogen und gallertartig ist. Und da ferner die Substanz zwischen den Zellen später auftritt, als die Zellen, so kann man sie nicht im Sinne Henle's als Cytoblastem betrachten, sondern sie lässt sich nur als ein von den Zellen geliefertes Secret ansehen. In der letzten Zeit haben Manche mit Max Schultze Werth darauf gelegt, die Intercellularsubstanz nicht als ein Secret aufzufassen, sondern als die äussere, metamorphosirte Schicht der Zellen oder, um in der Schulsprache zu reden, als das veränderte Protoplasma selbst. Dieser Streit ist ein rein doctrinärer. Denn auch die Vorstellung von der Secretion der Intercellularsubstanz geht davon aus, dass das Secret einmal innerhalb der Zellen befindlich gewesen sei, und es versteht sich von selbst, dass eine Zelle nach geschehener Secretion der Intercellularsubstanz um so viel kleiner sein muss, als Secret aus ihr hervorgetreten ist (vorausgesetzt, dass sie nicht wieder neue Substanz von aussen her in sich aufgenommen hat). Dass aber wirklich die Corticalschicht der Bindegewebskörperchen in Intercellularsubstanz verwandelt werde, hat noch Niemand dargethan.

      Demnach ist das Bindegewebe aufzufassen als zusammengesetzt aus Zellenterritorien (S. 17), von denen jedes eine Zelle mit dem ihr zugehörigen Antheil von Intercellularsubstanz enthält, und deren Grenzen gänzlich verschmolzen sind. Man kann diess auch so ausdrücken, dass man sagt: das Bindegewebe besteht aus einer im Wesentlichen faserigen Intercellularsubstanz und Zellen, welche in regelmässigen Abständen in dieselbe eingeschlossen sind. Diese Formel gilt übrigens für sämmtliche Gewebe der Bindesubstanz, nur dass die Beschaffenheit der Intercellularsubstanz verschieden und keineswegs überall faserig ist. Im ausgebildeten Zustande besteht wenigstens scheinbar fast überall der grösste Theil des Gewebes aus Intercellularsubstanz, und deshalb ist diese letztere in hohem Maasse für die äussere Erscheinung des Gewebes bestimmend. Die Zellen sind der Masse nach meist unbedeutend und sie können die mannichfachsten Formen haben. Daher lassen die Gewebe sich nicht darnach unterscheiden, dass das eine nur runde, das andere dagegen geschwänzte oder sternförmige Zellen enthält; vielmehr können in allen Geweben der Bindesubstanz runde, lange, eckige oder verästelte Elemente vorkommen.

      Fig. 23. Senkrechter Durchschnitt durch den wachsenden Knorpel der Patella. a.


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