Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Rudolf Virchow
sich, dass an einzelnen zelligen Elementen eine Theilung eintritt und sich eine quere Scheidewand bildet; die Hälften wachsen als selbständige Elemente fort und vergrössern sich nach und nach. Nicht selten treten auch Längstheilungen ein, wodurch das ganze Gebilde dicker wird (Fig. 13, c). Jeder Zapfen, jedes Pflanzenhaar ist also ursprünglich eine einzige Zelle; indem sie sich quertheilt und immer wieder quertheilt (Fig. 13, a, b), schiebt sie ihre Glieder vorwärts und breitet sich dann bei Gelegenheit auch seitlich durch Längstheilung aus. In dieser Weise wachsen die Haare hervor, und dies ist im Allgemeinen der Modus des Wachsthums nicht nur in der Pflanze, sondern auch in den physiologischen und pathologischen Bildungen des thierischen Leibes.
Nimmt man ein Stück Rippenknorpel im Stadium des pathologischen Wachsthums, so erscheinen schon für das blosse Auge Veränderungen: man sieht kleine Buckel der Oberfläche des Knorpels. Dem entsprechend zeigt das Mikroskop Wucherungen der Knorpelzellen. Hier finden sich dieselben Formen wie bei den Pflanzenzellen: grössere Gruppen von zelligen Elementen, welche je aus einer früheren Zelle hervorgegangen sind, in mehrfachen Reihen angeordnet, mit dem einzigen Unterschiede von den wuchernden Pflanzenzellen, dass zwischen den einzelnen Gruppen Intercellularsubstanz vorhanden ist. An den Zellen unterscheidet man wieder die äussere Kapsel, die sogar an einzelnen Zellen mehrfach geschichtet ist, in zwei-, drei- und mehrfacher Lage, und darin erst kommt die eigentliche Zelle mit Körper, Kern und Kernkörperchen. Nirgends gibt es hier eine andere Art der Neubildung, als die fissipare; ein Element nach dem andern theilt sich: Generation geht aus Generation hervor.
Fußnoten:
[1] Ernährungseinheiten und Krankheitsheerde. Archiv für pathol. Anatomie, Phys. u. klin. Med. Bd. IV. S. 375.
[2] Archiv f. path. Anat. u. Physiol. 1853. Bd. V. S. 419, Note.
[3] Archiv 1847. Bd. I. S. 218.
[4] Lange, nachdem dieses geschrieben war, haben die Untersuchungen von Heidenhain für die Knorpel, von Auerbach und Eberth für die Capillaren auch die physiologische Realität der Zellenterritorien erwiesen.
[5] Der neueste Versuch von Pouchet, die Lehre von der Urzeugung wenigstens für Pilze und Infusorien wieder einzusetzen, darf wohl durch die vortrefflichen Experimente von Pasteur als zurückgeschlagen angesehen werden. Trotzdem wird das theoretische Bedürfniss, eine natürliche Schöpfungsgeschichte zu construiren, begreiflicherweise immer von Neuem zu der Annahme einer Urzeugung führen, wenn man sie auch allmählich auf die allerkleinsten Micrococci oder auf gestaltlose Protisten beschränkt. Das Bedürfniss erkenne ich an, aber die Thatsachen streiten dagegen, und am allerwenigsten gestatten sie für die Pathologie eine Ausnahme.
Zweites Capitel.
Die physiologischen Gewebe.
Anatomische Classification der Gewebe. Die drei allgemein-histologischen Kategorien. Die speciellen Gewebe. Die Organe und Systeme oder Apparate.
Die Epithelialgewebe. Platten-, Cylinder- und Uebergangsepithel. Epidermis und Rete Malpighii. Nagel und Nagelkrankheiten. Haare. Linse. Pigment. Drüsenzellen.
Die Gewebe der Bindesubstanz. Das Binde- oder Zellgewebe. Die Theorien von Schwann, Henle und Reichert. Meine Theorie. Die Bindegewebskörperchen. Die Fibrillen des Bindegewebes als Intercellularsubstanz. Secretion derselben. Der Knorpel (hyaliner, Faser- und Netzknorpel). Incapsulirte und freie Knorpelkörperchen (Knochenknorpel). Schleimgewebe. Pigmentirtes Bindegewebe. Fettgewebe. Anastomose der Elemente: saftführendes Röhren- oder Kanalsystem.
Die höheren Thiergewebe: Muskeln, Nerven, Gefässe, Blut, Lymphdrüsen. Vorkommen dieser Gewebe in Verbindung mit Interstitialgewebe. Muskeln. Quergestreifte. Faserzellen. Herzmuskulatur. Muskelkörperchen. Fibrillen. Disdiaklasten. Glatte Muskelfasern. Muskelatrophie. Die contractile Substanz (Syntonin) und die Contractilität überhaupt. Cutis anserina und Arrectores pilorum. Gefässe. Capillaren. Contractile Gefässe.
Die normalen Gewebe lassen sich ohne Zwang in drei Kategorien eintheilen: Entweder man hat Gewebe, welche einzig und allein aus Zellen bestehen, in welchen Zelle an Zelle liegt, also in dem modernen Sinne Zellengewebe. Oder es sind Gewebe, in welchen regelmässig eine Zelle von der andern getrennt ist durch eine gewisse Zwischenmasse (Intercellularsubstanz), in welchen also eine Art von Bindemittel existirt, das die einzelnen Elemente in sichtbarer Weise aneinander, aber auch auseinander hält. Hierher gehören die Gewebe, welche man heut zu Tage gewöhnlich unter dem Namen der Gewebe der Bindesubstanz zusammenfasst, und in welche als Hauptmasse dasjenige eintritt, was man früherhin allgemein Zellgewebe nannte. Endlich gibt es eine dritte Gruppe von Geweben, in welchen specifische Ausbildungen der Zellen Statt gefunden haben, vermöge deren sie eine ganz eigenthümliche Einrichtung erlangt haben, zum Theil so eigenthümlich, wie sie einzig und allein der thierischen Oekonomie zukommt. Diese Gewebe höherer Ordnung sind es, welche eigentlich den Character des Thieres ausmachen, wenngleich einzelne unter ihnen Uebergänge zu Pflanzenformen darbieten. Hierher gehören die Nerven- und Muskelapparate, die Gefässe und das Blut. Damit ist die Reihe der Gewebe abgeschlossen.
Eine solche Gruppirung der histologischen Erfahrungen unterscheidet sich sehr wesentlich von derjenigen, welche nach dem Vorgange von Bichat so lange die allgemeine Anatomie beherrscht hat. Die Gewebe der älteren Schule stellten zu einem grossen Theile nicht so sehr dasjenige dar, was wir heute als die Gegenstände der allgemeinen Histologie betrachten, sondern vielmehr das, was wir als den Inhalt der speciellen Histologie bezeichnen müssen. Wenn man die Sehnen, die Knochen, die Fascien als besondere Gewebe nimmt, so giebt dies eine ausserordentliche Mannichfaltigkeit von Kategorien (Bichat hatte deren 21), aber es entsprechen ihnen nicht eben so viele einfache Gewebsformen.
In unserem Sinne lässt das ganze anatomische Gebiet sich zunächst zerlegen nach allgemein-histologischen Kategorien (eigentliche Gewebe). Die specielle Histologie beschäftigt sich sodann mit dem Falle, wo eine Zusammenfügung von zum Theil sehr verschiedenartigen Geweben zu einem einzigen Ganzen (Organ) Statt findet. Wir sprechen z. B. mit Recht von Knochengewebe, allein dieses Gewebe, die Tela ossea im allgemein-histologischen Sinne, bildet für sich keinen Knochen, denn kein Knochen besteht durch und durch, einzig und allein aus Tela ossea, sondern es gehören dazu mit einer gewissen Nothwendigkeit mindestens Periost und Gefässe. Ja, von dieser einfachen Vorstellung eines Knochens unterscheidet sich die jedes grösseren, z. B. eines Röhrenknochens: dies ist ein wirkliches Organ, in dem wir wenigstens vier verschiedene Gewebe unterscheiden. Wir haben da die eigentliche Tela ossea, die Knorpellage am Gelenk, die Bindegewebsschicht des Periosts, das eigenthümliche Mark. Jeder dieser einzelnen Theile kann wieder eine innere Verschiedenartigkeit der zusammensetzenden Bestandtheile darbieten; es gehen z. B. Gefässe und Nerven mit in die Zusammensetzung des Markes, der Beinhaut u. s. f. ein. Alles dies zusammengenommen, giebt erst den vollen Organismus eines Knochens. Bevor man also zu den eigentlichen Systemen oder Apparaten, dem speciellen Vorwurfe der descriptiven Anatomie kommt, hat man eine ganze Stufenfolge zu durchlaufen. Man muss sich daher bei Diskussionen mit Anderen immer erst klar werden, was in Frage ist. Wenn man Knochen und Knochengewebe zusammenwirft, so gibt dies eine eben so grosse Verwirrung, als wenn man Nerven- und Gehirnmasse einfach identificiren wollte. Das Gehirn enthält viele Dinge, die nicht nervös sind, und seine physiologischen und pathologischen Zustände lassen sich nicht begreifen, wenn man sie auf eine Zusammenordnung rein nervöser Theile bezieht, wenn man nicht neben den Nerven auf die Häute, das Zwischengewebe, die Gefässe Rücksicht nimmt.