Gesammelte Werke. Джек Лондон
Das Glück war ihm hold. Immer wenn er am schlimmsten daran war, fand er Beute, auch wollte es der Zufall, daß er dann auf kein größeres Raubtier stieß. Einstmals kam ein Rudel hungriger Wölfe auf ihn losgestürzt, und sie verfolgten ihn lange und grausam; da er aber besser genährt war wie sie – denn er hatte in den Tagen vorher einen Luchs verzehrt –, so gewann er ihnen einen Vorsprung ab. Ja, mehr noch, als er in weitem Bogen um sie herumlief, überfiel er einen seiner erschöpften Verfolger. Darauf verließ er die Gegend und wanderte nach dem Tal, wo er geboren war. Hier traf er in der alten Höhle Kische, die wie er die ungastlichen Feuerstätten der Menschen verlassen hatte und in den alten Schlupfwinkel gekommen war, um für ihre Jungen Schutz zu suchen. Allein nur eines davon war am Leben geblieben, und auch dieses hatte bei der Hungersnot wenig Aussicht leben zu bleiben.
Kisches Begrüßung des nun erwachsenen Sohnes war durchaus nicht liebevoll. Aber Wolfsblut machte sich nichts daraus; er bedurfte der Mutter nicht mehr. Also kehrte er ihr bedächtig den Rücken und trabte das Flüßchen hinauf. An der Gabelung schlug er den Weg zur Linken ein und kam an das Lager der Luchsin, mit der die Mutter und er einst auf Leben und Tod gekämpft hatten. Hier an verlassener Stätte ließ er sich nieder und ruhte einen Tag aus.
Am Anfang des Sommers, als die Not zu Ende ging, traf er auf Liplip, der ebenfalls in die Wälder geflohen war und ein elendes Dasein geführt hatte. Es geschah ganz unerwartet. Sie kamen in entgegengesetzter Richtung um den Fuß eines steilen Bergabhanges getrabt, und als sie um eine Felsenecke bogen, standen sie sich plötzlich Angesicht zu Angesicht gegenüber. Einen Augenblick hielten sie erschrocken inne und blickten sich mißtrauisch an. Wolfsbluts Jagd war in den letzten acht Tagen sehr erfolgreich gewesen, und er war wohlgenährt. Sobald er jedoch Liplip erblickte, richtete sich unwillkürlich sein Haar am Rücken empor. Das war der körperliche Ausdruck des geistigen Zustands, in den in früheren Tagen ihn Liplips Rauflust und Verfolgungssucht versetzt hatte. Der andere versuchte auszuweichen, doch Wolfsblut stieß ihn so kräftig mit der Schulter, daß jener das Gleichgewicht verlor und auf den Rücken rollte. Ein Biß in den mageren Hals und Liplip rang mit dem Tode, während Wolfsblut mit steifen Beinen und gespanntem Blick rund um den Feind herum ging. Darauf setzte er seine Wanderung fort, indem er den Bergabhang entlang weiter trabte.
Einige Tage später kam er an den Rand des Waldes, wo ein schmaler Streifen freien Landes sich nach dem Mackenzie hinabzog. Früher war es dort kahl gewesen, jetzt stand ein Dorf da. Unter den Bäumen verborgen blieb er stehen und überschaute die Gegend. Der Anblick, die Töne, die Gerüche waren ihm wohlbekannt. Es war sein altes Dorf, nur an einem anderen Platze. Doch war jetzt alles anders als damals, als er daraus geflohen war. Es gab kein Jammern, kein Wehklagen mehr. Töne behaglicher Zufriedenheit begrüßten sein Ohr. Zwar vernahm er die scheltende Stimme einer Frau, allein dieser Ärger kam aus einem vollen Magen, das wußte er. Auch roch es in der Luft nach Fischen. Es war also wieder Speise da, die Not war vorüber. Wolfsblut kam dreist aus dem Walde heraus und trabte ins Lager gerade auf den Wigwam des Grauen Biber los. Dieser war nicht da, aber Klukutsch begrüßte ihn mit einem Freudengeschrei und gab ihm einen ganzen Fisch, und er legte sich nieder, um die Rückkehr des Herrn zu erwarten.
Vierter Teil
1. Kapitel. Der Feind seiner Gattung
Hätte in Wolfsbluts Natur die entfernteste Möglichkeit gelegen, mit den Genossen freundlich zu verkehren, so wäre diese für immer dadurch zerstört worden, daß er Leithund des Gespannes wurde. Von nun an haßten ihn die Hunde noch mehr, haßten ihn wegen des Fleisches, das Mitsah ihm besonders zuteilte, haßten ihn wegen der wirklichen und eingebildeten Begünstigungen, die er erhielt, am meisten aber, weil er mit wehendem Schwanze und fliehenden Hinterbeinen immer und ewig vor ihren Augen hinlief und sie dadurch bis zum Wahnwitz reizte. Und diesen Haß vergalt er ihnen mit Zinsen. Leithund zu sein war durchaus nicht angenehm. Er war dadurch gezwungen, vor dem kläffenden Haufen herzulaufen, vor diesen Hunden, die er drei Jahre lang beherrscht hatte, und das war fast mehr als er ertragen konnte. Aber es mußte sein, sonst wäre es sein Tod gewesen, und danach trug er kein Verlangen. In dem Augenblick, da Mitsah das Signal zur Abfahrt gab, sprang das ganze Gespann mit wildem Gekläff hinter ihm drein.
Verteidigen konnte er sich nicht, denn kehrte er sich um, so traf ihn ein schmerzender Peitschenhieb von Mitsah ins Gesicht. Es blieb ihm nichts übrig als zu laufen. Er konnte mit Schwanz und Hinterbeinen der heulenden Horde nichts anhaben, das wären gegen die vielen unbarmherzigen Zähne kaum die richtigen Waffen gewesen. Also rannte er weiter, indem er bei jedem Satz, den er machte, den ganzen Tag lang seiner Natur und seinem Stolz Gewalt antat.
Allein man kann den Trieben seiner Seele nicht Gewalt antun, ohne daß man sich nicht dagegen auflehnt. Das ist wie ein Haar, das aus dem Körper herauswachsen sollte, aber unnatürlicherweise sich umdreht und hineinwächst und eiternd schmerzt. So erging es auch Wolfsblut. Jeder Trieb seines Wesens drängte ihn, auf die Hunde, die ihm an den Fersen kläfften, loszuspringen, aber der Wille seiner Götter, sowie die Peitsche mit der dreißig Fuß langen Leine aus Renntierdarm dahinter, ordneten es anders. Daher konnte er sich nur in Bitterkeit verzehren und einen Haß und Groll nähren, der ebenso groß war wie die Wildheit und Unzähmbarkeit seiner Natur.
Wenn je ein Geschöpf der Feind seiner Gattung wurde, so war es Wolfsblut. Er gab keinen Pardon und verlangte auch keinen. Er trug von den Zähnen der andern fortwährend Wunden und Narben davon und vergalt Gleiches mit Gleichem. Ungleich den meisten Leithunden, die, wenn das Gespann abends abgeschirrt wurde, sich an die Menschen um Schutz drängten, verschmähte er denselben. Er schritt dreist im Lager umher und teilte nachts für das, was er am Tage erdulden mußte, Strafe aus. Vorher hatten die andern ihm ausweichen müssen; das war nun anders geworden. Durch die Verfolgung, die die Hunde den ganzen Tag über mit ihm anstellten, erregt, durch den fortwährenden Anblick seiner Flucht vor ihnen unwillkürlich gereizt, durch das Gefühl der Übermacht, das sie tagsüber erfüllte, angestachelt, konnten sie nicht dahin gebracht werden, ihm aus dem Wege zu gehen. Wenn er unter ihnen erschien, so gab es immer Streit. Knurren, Beißen und Grollen folgten seinen Schritten; selbst die Luft, die er atmete, war mit Haß und Groll erfüllt, und dies diente nur dazu, ihn noch mehr zu erbittern.
Wenn Mitsah dem Gespann Halt gebot, so gehorchte Wolfsblut zuerst. Das verursachte anfangs große Aufregung unter den Hunden. Alle wollten auf den verhaßten Leithund losspringen; aber das Blättchen wendete sich, denn hinter ihnen stand Mitsah, und die große Peitsche pfiff in seiner Hand. So lernten die Hunde verstehen, daß sie, wenn das Gespann auf Befehl anhielt, Wolfsblut zufrieden lassen mußten. Aber wenn er nicht auf Befehl stehen blieb, dann durften sie auf ihn losstürzen, um ihm den Garaus zu machen, wenn sie es konnten. Nach mehreren solchen Erfahrungen blieb Wolfsblut nie mehr ohne Befehl stehen. Er lernte schnell, denn es lag in der Natur der Dinge, daß er es mußte, sollte er unter den ungewöhnlich schweren Lebensbedingungen, die ihm geworden waren, am Leben bleiben.
Allein die Hunde lernten es nie, ihn im Lager zufrieden zu lassen. An jedem Tage, wenn sie ihn wütend angriffen und verfolgten, war die Lektion des vorhergehenden vergessen und wurde von neuem gelernt, um sogleich wieder vergessen zu werden. Auch waren für ihre Abneigung gegen ihn noch tiefere Gründe vorhanden. Sie witterten in ihm eine Verschiedenartigkeit, was an und für sich schon ein hinreichender Grund zur Feindschaft ist. Wie er, waren sie gezähmte Wölfe, aber sie waren das schon seit vielen Generationen gewesen. Vieles, was aus der Wildnis stammte, hatte sich bei ihnen verloren, so daß die Wildnis für sie das Unbekannte und Schreckliche, das Drohende und Feindselige war.
Aber an ihm klebte das noch in der Erscheinung und in seinem Tun und Treiben. Er war die Verkörperung der Wildnis, so daß, wenn sie ihm die Zähne wiesen, sie sich gegen die Mächte der Zerstörung verteidigten, die im Schatten der Wälder und hinter den Lagerfeuern im Dunkel lauerten. Eines aber lernten die Hunde bald, nämlich, daß sie zusammenhalten müßten. Für den einzelnen war Wolfsblut ein zu schrecklicher