Perry Rhodan Neo 1: Sternenstaub. Frank Borsch

Perry Rhodan Neo 1: Sternenstaub - Frank Borsch


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Bis auf eine: 3,5 Milliarden Dollar. So hoch waren die geschätzten Kosten für den Flug der STARDUST. Knapp 200 Millionen Dollar pro Leben, das ihre Mission im besten Falle retten würde.

      Wie viele Leben hätte man auf der Erde mit dieser Summe retten können?

      Der Shelter, den Marshall begründet hatte, gab einunddreißig Kindern eine Heimat. Für mehr reichten die Dividenden der Stiftung nicht, die er von seinen Boni als Investmentbanker gegründet hatte. Einunddreißig von mehreren Tausend, die sich elternlos auf den Straßen von Greater Houston durchschlugen. Überließ man die Straßenkinder sich selbst, war ihre Existenz kurz und hässlich.

      Half man den Kindern, gab man ihnen nur die faire Chance, die jeder Mensch verdiente, konnten sie Wunder wirken. Marshall glaubte fest daran.

      Die Astronauten erreichten den Startturm. Stählerne Greifer wuchsen in regelmäßigen Abständen aus dem Gerüst, stützten die Rakete, in deren Spitze Rhodan und seine Kameraden in den Himmel reiten wollten. Die Rakete war eine NOVA. Sid hatte ihm alles darüber erzählt. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, das auf Konzepten aus den Sechzigern des letzten Jahrhunderts beruhte. Einer Ära, in der die Reise zu den Planeten des Sonnensystems nur eine Frage der Zeit erschienen war. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass die NOVA das Budget der NASA auffraß und in sieben von zehn Fällen explodierte, bevor sie den Weltraum erreichte.

      Marshall mutete sie wie ein rauchendes, fauchendes Monstrum aus ferner Vergangenheit an.

      Die Astronauten bestiegen den Lift des Startturms. Langsam kroch die Kabine den Turm hinauf.

      »John, gleich geht es los! Sieh nur, es geht los! Gleich ist der Start!«

      Sid hüpfte vor Aufregung. Die Sonne spielte auf den Chromstreifen, die der Junge an seiner Jacke befestigt hatte, damit sie mehr nach Astronaut aussah. Ein Notbehelf. Sid hatte sich im Shelter einen kompletten Raumanzug geschneidert und hatte ihn mit nach Nevada Fields nehmen wollen. Marshall hatte es ihm verboten. Die ganze Angelegenheit war lächerlich genug ohne Raumanzugkostüm.

      Die Sonne funkelte auf den Chromstreifen und ...

      ... und neben Sid. Als stieben Funken aus ihm heraus.

      Marshall ruckte herum, musterte den Jungen. Sid bemerkte es nicht, seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Lift. Da waren keine Funken. Unsinn!, sagte er sich. Pure Einbildung! Du bist müde und überreizt und am letzten Ort, wo du es aushältst: unter Tausenden von Menschen!

      »Spark« nannten die anderen Kinder Sid: »Funke«. Um ihn aufzuziehen, weil er so dick und langsam und ungeschickt, so anders war, hatte Marshall lange geglaubt. Bis ihm Sue eines Tages gesagt hatte, was wirklich hinter dem Spitznamen steckte: Sid schlug Funken, hatte Sue behauptet, nur manchmal, nur einen Moment lang. Man musste ihn richtig ärgern, ihn richtig wütend machen, dann geschah es.

      Marshall hatte es abgetan, auch wenn es von Sue gekommen war, die in ihren Einschätzungen selten danebenlag. Aber Funken? Die Kinder im Shelter waren traumatisiert, ohne Ausnahme. Ihr Verhältnis zur Wahrheit war – nach herkömmlichen Begriffen – entspannt.

      »Der Startturm ist so weit weg!«, sagte Sid, zum ersten Mal seit Tagen leicht verstimmt. »Man kann ja kaum etwas erkennen!«

      »Dafür ist das Display da. Ist es dir nicht groß genug?«

      »Schon. Aber es ist nicht ... echt!«

      »Das ist auch gut so. Die Triebwerke verursachen eine glühend heiße Druckwelle. Das hast du mir selbst gesagt.«

      »Aber nicht in alle Richtungen! Und die Tribüne ist viel weiter weg als nötig!«

      »Tut mir leid, das kann ich nicht ändern«, entgegnete Marshall und ärgerte sich über sich selbst. Wieso musste er sich immer für alles verantwortlich fühlen? Wieso konnte er es so schwer aushalten, wenn andere Menschen litten? »Die Hauptsache ist doch, dass wir hier sind.«

      »Ja, klar. Das ist die Hauptsache«, stimmte der Junge zu. Aber er sagte es in einem Tonfall, der seine Enttäuschung verriet.

      Marshalls Finger kribbelten. Als hätte er bei einem seiner langen Winterspaziergänge in Houston die Handschuhe vergessen und wäre zurück in der ungewohnten Wärme des Shelters. Aber das hier war die Wüste Nevadas, mitten im Juni.

      Es war nicht die Kälte, die seine Finger kribbeln ließ, die ihn mit einer Unruhe erfüllte, die es ihm schwer machte stillzustehen.

      Es waren die Menschen. Die Tribüne war – Gott sei Dank! – nur zur Hälfte gefüllt. Dennoch waren mehrere Tausend Menschen zusammengekommen. Weltraumverrückte wie Sid, für die der Start der STARDUST einen erhabenen Moment darstellte. Die dem Start entgegenfieberten, deren Aufregung jetzt, wenige Sekunden vor dem Ende des Countdowns, auf den Höhepunkt zuging.

      Ihre Erregung riss Marshall mit. Es war, als stülpten die Menschen ihm ihren Willen über. Mit einer Macht, der er nichts entgegenzusetzen hatte.

      Es ist gleich vorbei!, ermahnte er sich in Gedanken, während seine Finger sich in die Maschen des Zauns einhakten, sich um die Drähte mit einer Kraft schlossen, dass es ihm das Blut abschnitt, ihn der Schmerz um ein Haar hätte stöhnen lassen. In ein paar Minuten ist die STARDUST gestartet. Im Bus kannst du versuchen zu schlafen und ...

      Die Menge, Sid, Marshall selbst schrie auf, als der Lift die oberste Plattform des Startturms erreichte und die Astronauten zum Vorschein kamen. Einer von ihnen, Bull, winkte leutselig in die Kamera, dann verschwanden sie in der STARDUST.

      Die Emotionen der Menge rissen Marshall mit. Aber da war noch mehr. Eine verborgene, unterseeische Strömung in dem Meer der überkochenden Gefühle.

      Sorge. Ja Furcht. Aber nicht wegen des Flugs an der Spitze der zweifelhaften Rakete, nicht wegen des Schicksals der Mondstation. Nein, da war etwas anderes. Größeres. Wichtigeres.

      Er versuchte, die Furcht zu greifen. Die Emotion entwand sich ihm. Es war, als sehe man zum Nachthimmel hinauf, konzentrierte sich auf einen Stern, einen verwaschenen Lichtfleck unter Tausenden. Je mehr man sich mühte, desto geschickter entwand sich der Punkt dem Auge.

      Die Triebwerke der NOVA zündeten. Glühende Gase rasten aus den riesigen Trichtern. Um einen Augenblick verspätet erreichte der Schall die Tribüne, überzog ohrenbetäubendes Donnern das weite Tal. Der Boden erbebte.

      Unmöglich langsam hob die Rakete ab, reckte sich Zentimeter um Zentimeter den Sternen entgegen.

      »Sie hebt ab!«, brüllte Sid. »John, sie startet!«

      Marshall sah zu dem Jungen – und sah Funken. Gleißendes Licht hüllte Sid ein. Ein Schwall heißer Luft traf Marshall.

      »Sid!«, rief er. »Was ist los? Was ...«

      Marshall brach ab, als sein Ruf ins Leere ging. Sid war fort. Die Stelle, an der der Junge eben noch gestanden hatte, war verlassen. Als hätte sich Marshall seinen Begleiter nur eingebildet.

      »Sid! Du ...«

      Der Schlag, der Marshall traf, war unsichtbar. Die verborgene Strömung der Furcht trat mit der Wucht eines explodierenden Geysirs zutage.

      Die Tribüne, die startende Rakete, Nevada Fields – alles verschwand. Unversehens fand Marshall sich am Rand einer Schlucht wieder. Felsen und Staub. Eine Sonne, die ihn blendete. Sie ließ den Fels bleich wie Knochen erscheinen. Kein Mensch, kein Tier, kein Strauch, kein Grashalm. Nur toter Fels. Und am Grund der Schlucht eine glitzernde Kugel. Zu groß, zu regelmäßig, zu anders, um natürlichen Ursprungs zu sein.

      Marshall stockte der Atem. Er beugte sich vor, um Einzelheiten zu erkennen. Um sich sagen zu können, dass er einer irrsinnigen Täuschung aufsaß. Einer Täuschung ohne Bedeutung.

      Und dann stürzte John Marshall in die Täuschung.

      3.

      Der Start verlief reibungslos.

      Das Fluchen der Techniker im Kontrollzentrum über den Knallkörper, den sie nicht mehr Knallkörper nennen durften – die NOVA,


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