Das Dekameron. Giovanni Boccaccio
hinauswarfen. Nachdem sie das vollbracht und gewiss waren, dass weder die schlafende Dame noch sonst jemand sie bemerkt hatte, nahm der Herzog ein Licht in die Hand, trat an das Bett und weidete seine Blicke an der ruhig schlafenden Schönen, die, wenn sie ihm bekleidet gefallen hatte, jetzt unbekleidet seine Sinne noch unendlich mehr bezauberte. Das eben begangene Verbrechen hielt ihn nicht ab, mit Händen, die noch von dem Blute des Fürsten rauchten, sich ihr zu nähern und seinen Platz neben ihr einzunehmen, die im Halbschlaf, in der Meinung, dass es der Fürst sei, ihm ihre Umarmung nicht versagte. Doch verweilte er nicht lange, sondern stand auf, und etliche der Seinigen mussten sich ihrer auf solche Art bemächtigen, dass sie kein Geräusch machen konnte, worauf er sie durch eben den geheimen Gang, durch den er hereingekommen war, entführen und auf ein Pferd setzen ließ und sich mit seiner Kavalkade in möglichster Stille auf den Weg nach Athen begab. Weil er aber eine Gemahlin hatte, so getraute er sich nicht, sie in die Stadt zu bringen, sondern führte die bekümmerte Schöne nach einem Lustschloss am Ufer des Meeres, wo er sie heimlich unterhielt und mit allem Nötigen standesgemäß bedienen ließ.
Am folgenden Tage warteten die Hofleute des Fürsten bis Mittag, dass er aufstehen solle. Da er aber nichts von sich hören ließ, öffneten sie die Tür seines Gemachs, die nur angelehnt war, und als sie auch hier niemanden fanden, glaubten sie, er wäre vielleicht auf einige Tage heimlich verreist, um sich mit seiner Dame zu belustigen, und machten sich seinetwegen weiter keine Sorgen. Unterdessen begab es sich am folgenden Tage, dass ein Wahnsinniger zwischen den Trümmern herumirrte, wo die Leichen des Fürsten und des Ciuriaci lagen, und dass er den Leichnam des Letzteren bei dem Strange herausschleppte und damit herumlief. Dieses ward von vielen mit Erstaunen gesehen und sie bewegten den Verrückten durch gute Worte, sie dahin zu führen, wo er den Leichnam gefunden hatte. Hier fanden sie zu ihrem Schmerz und Entsetzen die Leiche des Fürsten und bestatteten sie mit traurigem Gepränge. Als man nun nach den Tätern forschte, die diesen grausamen Mord begangen hatten, und der Herzog von Athen nirgends zu finden war, sondern sich verstohlenerweise davongemacht hatte, so zweifelten sie nicht (wie es sich auch wirklich verhielt), dass er den Mord verübt und die Dame entführt hätte. Sie erwählten demnach den Bruder des Fürsten zu seinem Nachfolger und trieben ihn an, den Tod seines Bruders zu rächen. Da dieser sich nun aus manchen anderen Umständen überzeugte, dass die Sache sich wirklich so verhielt, wie man glaubte, berief er alle seine Freunde, Verwandten und Vasallen zusammen, brachte in Kurzem ein ansehnliches Heer auf die Beine und rüstete sich zum Kriege gegen den Herzog. Sobald dieser Nachricht davon bekam, bot er gleichfalls alle seine Kräfte auf, um Anstalt zur Gegenwehr zu machen. Auch kamen ihm viele Herren zu Hilfe, und unter anderen sandte ihm der griechische Kaiser seinen Sohn Constantius und seinen Neffen Emanuel mit einem gut ausgerüsteten und zahlreichen Heer, und der Herzog empfing sie mit großen Ehrenbezeigungen, und die Herzogin noch mehr, weil sie ihre Schwester und Nichte war. Als die Sachen von Tag zu Tag ein kriegerisches Ansehen gewannen, nahm die Herzogin einst eine Gelegenheit wahr, ihren Bruder und ihren Vetter zu sich in ihr Zimmer zu berufen, und erzählte ihnen mit vielen Tränen umständlich die ganze Geschichte, wodurch dieser Krieg veranlasst würde, und beklagte sich über den Verdruss, den ihr der Herzog angetan hätte, dass er heimlich eine Mätresse unterhielte. Indem sie sich darüber aufs Höchste beschwerte, bat sie die beiden Prinzen, die Ehre des Herzogs und ihre Ruhe durch solche Mittel wiederherzustellen, welche sie für die wirksamsten erachteten. Die jungen Herren wussten selbst, wie die Sache sich verhielt; ohne demnach die Herzogin mit vielen Fragen zu behelligen, trösteten sie sie, so gut sie konnten, machten ihr die beste Hoffnung und entfernten sich, nachdem sie von ihr erfahren hatten, wo sich die Dame befinde. Da sie nun schon oft von ihrer Schönheit gehört hatten, so waren sie neugierig, sie zu sehen, und baten den Herzog, sie ihnen zu zeigen. Dieser schien zu vergessen, wie es dem Fürsten gegangen war, der sie ihn hatte sehen lassen, und versprach ihnen, ihr Begehren zu erfüllen. Er ließ deswegen in einem herrlichen Landhause, welches die Dame bewohnte, eine köstliche Mahlzeit anrichten und führte die beiden Prinzen nebst einigen wenigen anderen Herren am folgenden Tage dahin zum Mahl. Constantius, der neben Alatiel saß, fing an, sie voll Verwunderung zu betrachten, und gestand sich, dass er nie etwas so Schönes in seinem Leben gesehen hätte, und dass man den Herzog oder irgendeinen anderen entschuldigen müsste, wenn er, um ein so schönes Geschöpf zu besitzen, sich des Verrats oder einer anderen unziemlichen Tat schuldig gemacht hätte. Als er fortfuhr, sie immer wieder zu betrachten, um jedes Mal neue Reize an ihr zu entdecken, ging es ihm am Ende nicht besser, als es dem Herzog ergangen war.
Er verließ sie, leidenschaftlich verliebt, und dachte von Stund an nicht mehr an den Krieg, er dachte an nichts, als wie er sie dem Herzog rauben könne; doch wusste er seine Liebe vor jedermann meisterhaft zu verheimlichen. Indem er in diesem Feuer glühte, kam die Zeit, dass man dem Fürsten entgegenrücken musste, der sich schon den Grenzen des Herzogs nahte. Der Herzog, Constantius und alle Übrigen brachen demnach von Athen auf, um die Stellung an der Grenze zu nehmen, wodurch man dem Fürsten das Eindringen verwehren konnte. Da sie nun in dieser Stellung einige Zeit blieben, die Sinne des Constantius beständig auf die Dame gerichtet waren und er glaubte, jetzt, während der Abwesenheit des Herzogs, am leichtesten zu seinem Ziel gelangen zu können, stellte er sich, um eine Gelegenheit zu haben, nach Athen zu kommen, sehr krank. Nachdem ihm der Herzog Urlaub gegeben hatte, übergab er den Befehl über seine Leute dem Prinzen Emanuel und ging nach Athen zu seiner Schwester. Nach einiger Zeit lenkte er das Gespräch auf den Verdruss, den sie über des Herzogs Vertraulichkeit mit der fremden Dame geäußert hätte, und sagte, wenn sie es zufrieden wäre, so wollte er dem bald abhelfen und die Dame entführen lassen. Die Herzogin, die sich einbildete, dass er das aus Liebe zu ihr und nicht zu der Dame täte, bezeigte sich sehr zufrieden damit; doch empfahl sie ihm, sich so zu benehmen, dass der Herzog nie erführe, dass sie darin eingewilligt hätte. Dieses sagte ihr Constantius heilig zu, und die Herzogin erlaubte ihm, sein Vorhaben nach seinem Gutdünken auszuführen. Constantius ließ also in der Stille ein kleines bewaffnetes Fahrzeug rüsten und an einem Abend, nahe bei dem Lustschlosse, das Alatiel bewohnte, vor Anker legen. Nachdem er der Mannschaft auf dem Schiffe die nötigen Verhaltungsmaßregeln gegeben hatte, ging er mit einigen anderen nach dem Palaste der Dame und ward von ihren Dienern und der Dame selbst freundlich empfangen. Sie trat mit ihm auf seine Bitte in Begleitung ihrer und seiner Leute in den Garten. Unter dem Vorwande, dass er ihr etwas im Namen des Herzogs zu sagen hätte, ging er allein mit ihr durch ein Pförtchen hinaus an das Ufer der See, wo er den Seinigen auf dem Schiffe ein Zeichen gab, worauf sie sich plötzlich der Dame bemächtigten und sie an Bord brachten. Er selbst rief ihren Leuten im Garten zu: „Keiner rühre sich oder mache Lärm, wenn er nicht sterben will, denn ich bin nicht willens, dem Herzog ein Weib zu rauben, sondern nur den Schimpf abzuwenden, den er meiner Schwester antut.“ Niemand wagte es, ihn anzutasten. Constantius schiffte sich mit den Seinigen ruhig ein, setzte sich neben die weinende Schöne und befahl, die Ruder zu lösen und davonzufahren. Sie schienen mehr durch die Wellen zu fliegen als zu rudern und kamen schon am folgenden Morgen, fast bei Tagesanbruch, nach Egina. Hier stiegen sie ans Land, und Constantius ruhte aus in den Armen der Dame, der nichts anderes übrig blieb, als ihre unglückselige Schönheit zu beseufzen und sich in Geduld zu schicken. Darauf schifften sie sich wieder ein und steuerten nach Chios, wo sie in wenigen Tagen ankamen. Hier beschloss Constantius, als an einem sichern Orte, zu bleiben, teils um den Vorwürfen seines Vaters auszuweichen, teils um nicht Gefahr zu laufen, seiner Geliebten beraubt zu werden, die hier noch manchen Tag ihr Unglück beweinte, endlich aber sich von Constantius wie schon vorher trösten und sich dasjenige gefallen ließ, was ihr das Schicksal beschieden hatte. Indem nun alles solchergestalt wieder in seinem Geleise ging, kam von ungefähr Osbek, der Sultan der Türken, welcher in beständiger Fehde mit dem griechischen Kaiser lebte, nach Smyrna und hörte, dass Constantius unbesorgt auf Chios weile und sich da mit einem geraubten Mädchen gütlich täte. Er rüstete demnach einige leichte Fahrzeuge aus, womit er in der Nacht nach Chios kam. Er landete in der Stille mit seiner Mannschaft und holte manchen aus seinem Bette, ehe er gewahr ward, dass Feinde im Lande waren. Einige, die zu den Waffen griffen, machte er nieder, raubte und plünderte, sengte und brannte und ging mit der Beute und den Gefangenen wieder an Bord und nach Smyrna. Hier fand Osbek, der noch ein junger Mann war, unter den Gefangenen die schöne Alatiel. Als er erfuhr, dass sie dieselbe wäre, die Constantius bei sich gehabt und die man ihm im Schlafe von der Seite gerissen hätte, so säumte er nicht, sie zu seiner Gemahlin zu erheben. Er feierte sogleich die Hochzeit und genoss mehrere Monate vergnügt mit ihr die