Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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bewirkte nur bei der in bedrängten Verhältnissen und von ihrer Hände Arbeit Lebenden eine Lähmung der Hände und Füße. Im übrigen siegte ihre starke Leibesbeschaffenheit über das Gift, und sie blieb am Leben.

      Auch Zimmermanns starke Gesundheit widerstand länger den Angriffen. Nach acht Tagen konnte er sich schon wieder aufrichten und die Verlobte durch einen Besuch überraschen. Da mußte sie ihn ernsthafter anfassen. Er erhielt ein gebratenes Küchlein mit Pflaumen: die neue Vergiftung ließ ihn nicht wieder aufkommen. »Willst du Erbin meines Vermögens sein?« fragte der Todkranke die Gottfried nach ihrer eigenen Angabe Sie erinnerte ihn an seinen Bruder. Er antwortete nun: »So sollst du, was ich dir gegeben habe, als Geschenk annehmen; aber versprich mir, daß du gleich nach Hannover reisen willst zu deinem Cousin. Denn wenn ich tot bin, was wollen die Leute mit dir machen?« Diese Warnung scheint wirklich aus liebender Besorgnis erfolgt zu sein. Zimmermann kannte die ungünstigen Gerüchte, die unter einigen über seine Braut umgingen, und war doch zauberartig von ihren Blicken und Worten gefesselt.

      Am 1. Juni 1823 gab Zimmermann unter entsetzlichen Beängstigungen seinen Geist auf. Der Schmerz seiner Braut erschien natürlich grenzenlos, und jetzt war es, wo sie, um ihn ertragen zu können, »denjenigen Prediger ihres Kirchspiels, welcher die meisten Zuhörer hatte«, um eine öffentliche Fürbitte für sie ersuchte, Man erfuhr erst später, daß diese Fürbitte von ihr angeregt worden war, damals erregte die Sache wirklich nur Mitleid, aber nicht den geringsten Argwohn.

      Zweihundert und dann sechzig Taler und das allgemeine Mitleid waren der bare Ertrag dieser Vergiftung. Zudem besorgte die Gottfried den Ausverkauf des Zimmermannschen Modewarenlagers, angeblich zur Zerstreuung und auf Wunsch der Erben und Verwandten. Außer daß die treuherzigen Erben ihr willig noch mehr gezahlt hatten, als das mündliche Vermächtnis des Bräutigams bestimmt hatte, machte sie noch bei diesem Ausverkauf für sich Geschäfte. Die schöne, reizende, von so wunderbarem Unglück verfolgte Witwe, die am Ladentisch als Ausverkäuferin stand, muß aller Wahrscheinlichkeit nach noch einen bedeutenden Zulauf von Käufern und Käuferinnen veranlaßt haben, und sie schlug dabei eine nicht unbedeutende Summe für sich heraus.

      Mit der gewonnenen Beute ging sie auf eine Zerstreuungsreise nach Hannover, wo die liebenswürdige Witwe, von einem väterlichen Verwandten empfangen, abermals in Kreise geriet, die, weit über ihre Sphäre in Bremen, ihrer Eitelkeit aufs äußerste schmeichelten. Verwandte und Freunde suchten alles hervor, ihr den Aufenthalt angenehm zu machen, und das sanfte, geschmeidige, gemütliche Wesen der Verbrecherin, verbunden mit ihrer glänzenden Toilette aus Zimmermanns Lager, verschaffte ihr überall Zuneigung und das Ansehen einer Dame von Stand. Sie war unerschöpflich in solchen Erfindungen, Erzählungen und Liebesbeweisen, welche die Zuneigung zu ihrer Person vermehren mußten; aber in ihren Briefen nach Hause erfand sie über das wirklich Erfahrene noch manches hinzu, um auch in Bremen dadurch ihren Kredit zu erhöhen.

      Ihr Cousin Temme, im Hause des Herzogs von Cambridge, mußte bei dessen Rückkehr aus dem Palais von Monplaisir, welches er interimistisch bewohnt hatte, in seine Stadtwohnung ziehen. Da diese zu klein war, schätzte es ein Freund desselben, Herr Kleine, ein wohlhabender Beamter, für eine Ehre, die kindlich-naive, heitere, lustige, lebensfrohe, sanfte, gefühlvolle Frau, die ihre nach solchen Schicksalen so natürliche Schwermut der Gesellschaft wegen auf so liebenswürdige Weise zu bewältigen wußte, vornehm, freigebig und immer die Liebe und Güte selbst war, in seine größere Wohnung aufzunehmen. Man freute sich, wie die Musik die Leidende erweichen konnte. Als ein junger Mann die Arie sang:

      Eingehüllt in Dunkel sind die Wege,

       Gott, die du uns führst!

      war sie von der tiefsten Wehmut ergriffen, und wollte kein tröstlicheres Lied gehört haben, keines, das so auf ihr Schicksal paßte; sie bat um eine Abschrift, die man ihr später nach Bremen nachschickte.

      An ihre Freundin Marie schrieb sie die rührendsten Trostbriefe. Nichts könne ihr so oft die Freude ihres Aufenthaltes in Hannover verkümmern als die Nachricht, daß sie ihre Marie noch immer leidend wisse. Sie bat sie dringend, wenn das ihren Zustand lindern könne, noch mehr Bäder zu nehmen, die sie gern bezahlen wolle. – »Verzage doch nicht. – Dein religiöser Sinn ahnt gewiß die dunklen Wege der Vorsehung, die doch immer unser Bestes will; und wir Kurzsichtigen, sehen wir nicht auch oft ein, daß alles zu unserem Besten geschieht? Laß uns ihm glaubend vertrauen. Er ist unser bester Vater.« Zum Schluß, nachdem sie die liebste Freundin aufgefordert hat, ihr bei der Rückreise entgegenzukommen, heißt es noch: »Du bist überzeugt, ich meine es gut, und was ich sage, ist aufrichtig gemeint.« So konnte sie auch ihren Freundinnen nicht genug Stammbuchblätter mit frommen Versen zuschicken.

      Einst, als sie Kaffee tranken, kam ein Hausierer, der allerhand ausbot, auch Mäusebutter. Die Gottfried schien kaum zu wissen, was das sei, und bat dann, ihr eine Kruke zu kaufen; aber sie affektierte eine solche Angst vor dem Gift, daß sie es nicht in die Hände nahm, sondern den jungen Herrn Kleine bat, es für sie einzupacken.

      Im November (1823) kehrte sie nach Bremen zurück. Diesmal hatte sie in Hannover niemanden vergiftet, auch kein Verbrechen begangen. In Bremen dagegen erwarteten sie Ärger und Bedrängnisse ihrer Gläubiger. Da waren Schulden eingefordert, die sie durch den Akkord ihres Vaters für getilgt hielt. X drohte, und Kassow, der schon bei der Verlobung mit Zimmermann erkannt hatte, daß es ein leeres Versprechen der Gottfried gewesen war, seine Kinder zu Erben einzusetzen, forderte ungestüm seine Vorschüsse und hätte gern auch seine Geschenke zurückgenommen. Jener Magister, welcher die Ehe mit Miltenberg zustande gebracht hatte, mußte die undankbare Mühe übernehmen, für Kassow als Vermittler bei der Gottfried aufzutreten. Ihre Antwortsbriefe sind merkwürdige Belege dafür, mit welcher Gewandtheit und Hartnäckigkeit dieses Weib ihre Ansprüche zu verteidigen wußte, und wie sie die Federn ihrer Freunde (denn die meisten Briefe ließ sie sich konzipieren) zu gebrauchen wußte, um ihre Rolle fortzuspielen. Einzelne Stellen aus diesen Schreiben können wir uns nicht entheben, zu ihrer Charakteristik hier auszuziehen: »Gott wird mich jetzt stärken; auf alles bin ich gefaßt. Mit gutem Gewissen erscheine ich, wo Sie es wünschen; die Wahrheit soll und darf der Mensch reden.« – »Ich bin nicht reich – aber ehrlich und redlich durchs Leben gehen, ist mein Vorsatz.« – »O wie leicht irrt man in der Beurteilung des menschlichen Herzens! – Wie empfindlich der Schmerz ist, von anderen verkannt zu sein und sich bei dem besten Willen höhnisch beurteilt zu sehen, davon hat wohl keiner mehr Ursache zu reden als ich bei Ihren mir zugesandten Briefen.« – »O könnten Sie in mein Herz sehen! Sie haben mir eine Wunde geschlagen, die nie zu heilen ist.« – »So unedel, wie Sie mich schildern, bin ich nicht, bloß unglücklich. Wer hat mehr Tränen der Verzweiflung geweint als ich – und ich lebe dennoch! Glück gibt es nicht auf dieser Welt voll Mängel und Trübsal. Wer aber wahrhaft glaubt, wird und soll nicht untergehen.« – »Mit Beschämung wird gewiß mancher Verleumder bereuen, mir wehe getan zu haben. Die Reue bleibt nicht aus.« – »Eine unglückliche Ehe war mein Los, aber Vertrauen zu dem lieben Gott ließ mich alles ertragen.« – »Was nützt die Schale, wenn der Kern nichts taugt? – Dem Reinen ist alles rein. Gott ist Zeuge meiner unglücklichen Lage. Ach Herr (Magister), welch ein schönes Gefühl, nach der Eltern und des Mannes Tode so zu handeln, wie ich tat! – Da ich am Sonntag zum heiligen Abendmahle gehe, werden Sie die Kürze meines Briefes verzeihen, indem mein Geist mit der heiligen Handlung zu sehr beschäftigt ist. So gewiß ich dieses Mahl empfange, rede ich die Wahrheit.«

      So verteidigte sich die Giftmischerin, um der Abbezahlung von fünfhundert Talern zu entgehen! Welche Kräfte sie anwandte, um dem Verdachte des Mordes zu entweichen, mag man danach berechnen. Zum Belege ihrer Kraft in der Heuchelei mögen jene Auszüge genügen.

      Aber das Drehen und Wenden half ihr nichts. Gerichtlich hätte Kassow schwerlich die fünfhundert Taler einfordern können; das böse Gewissen der Schuldnerin half dem Gläubiger, und sie sah sich zur Unterzeichnung eines Schulddokumentes über fünfhundert Taler genötigt. Von jetzt ab war ihr Leben eine fortgesetzte Angst vor ihren Gläubigern und eine ununterbrochene Kette von Versuchen, um anderwärts Geld aufzunehmen, um die dringendsten Gläubiger zu beschwichtigen und Zeit zu gewinnen.

      Zur Einschränkung genötigt, verließ sie ihre elegante Wohnung in der Oberstraße und bezog wieder ihr Erbhaus. Der Lehrer S. und der fromme Kommissionär Mosees zogen gleichfalls zu ihr.


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