Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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war nicht zu erwarten. Das Unsichtbare rächte sich für diese Verleugnung durch furchtbare Visionen, die die Verbrecherin gespensterhaft bei Nacht und Tage ängstigten. Sie gibt selbst darüber in ihren schriftlichen Mitteilungen die genauesten Nachrichten. So sieht sie, während der Polizeikommissar bei ihr ist, als sie aus dem Fenster blickt, einen großen schönen Saal mit einem schönen Schreibpult und einem Tisch mit Kaffeeservice; die beiden Söhne des ermordeten Kleine gehen im Saale auf und nieder, und deren Schwester will mit einer langen Nase auf die Verbrecherin zu. Sie ruft den Kommissar herbei, der natürlich nichts sieht. Ein andermal sitzt der alte Kleine in einer Wolke auf dem Kirchturm und droht ihr. Am häufigsten erblickte sie den blinden achtzigjährigen Herrn Meyerholtz, dem sie seine einzige Stütze und Ernährerin, seine Tochter, geraubt hatte, ohne die Barmherzigkeit geübt zu haben, auch ihn zu vergiften, und ein andermal den armen Küfer Schmidt und sein Kind, die traurig auf einer Wiese sitzen; denn sie hat ihnen ihr Liebstes und das Einzige gemordet, was für sie Wert auf Erden hatte. Das Totenantlitz des alten Herrn Kleine in Hannover verließ sie fast nirgends; die Söhne rannten ihr nach, und der eine schleuderte sie bei den Haaren auf den Schinderkarren. Zuweilen werden die Visionen poetisch; so ist sie einmal in der Kirche, aber als sie sich niedersetzen will, stehen alle Leute auf und gehen weg. Einmal sieht sie Zimmermann, ihren verlobten Bräutigam, in einem schönen Laden totenblaß stehen. Als sie eintritt, reicht er ihr ein ganz schmutziges Gesangbuch mit den Worten: »Suche hierin deinen Trost, mein Gesangbuch ist verloren.« In der Regel offenbart sich aber nichts Geistiges und Sinniges in den Erscheinungen, es sind nur Larven, um sie zu erschrecken.

      Diese Visionen wurden oft so arg, daß sie nachts aufsprang und himmelhoch bat, daß man Wächter in ihrer Zelle lasse. Auch mußte die Frau des Gefangenenwärters ihr Gardinen vor das Fenster machen, weil die Gespenster immer von außen zu ihr kämen! Die Angst nach solchen Erscheinungen bewog sie auch zu Geständnissen, gegen welche sie sich früher gesträubt hatte. Sie hatte die scheußliche Frechheit gehabt, ihren seligen Vater zu verleumden, daß er es gewesen sei, der sie zum Vergiften angeleitet und ihr den Auftrag gegeben hätte, Miltenberg zu ermorden; ja er habe seinem eigenen kleinen Kinde mit den Fingern die Hirnschale eingedrückt und noch viele andre Greueltaten verübt. Die Geister, die ihr erschienen, zwangen sie hier, wie in anderen Fällen, die Wahrheit zu bekennen. Aber auch in diesen Visionen spielte ihre Eitelkeit und Verkehrtheit mit. So erscheint ihr ihr vergifteter erster Mann, der Wüstling Miltenberg, als ein anderer Heiland an der Hand Doktor Dräsekes, reicht ihr die Hand und spricht: »Ich will dich erretten und seligmachen, und du sollst mich preisen.«

      Wir mögen fragen: Bedarf es noch einer Charakteristik dieses Weibes? Ihr Verteidiger hat sich durch die Lebensgeschichte der Gottfried ein großes Verdienst erworben, vielleicht auch bei denen, um deren Dank es ihm nicht zu tun ist; er hat aus der Erscheinung der Verbrecherin alles Spukhafte entfernt und das Menschliche der Verbrecherin ans Licht gestellt. Aber in welcher Verzerrung erscheint dabei das Menschliche dieser Frau! Gegen ihre Vorgängerinnen gehalten, ist die Gottfried allerdings ein Spuk. Jene sind warmblütige Wesen, von großen, furchtbaren Leidenschaften getrieben; der Teufel fand Grund und Boden, um seine Saaten auszustreuen. In dieser fand er nur eine Negation. Selbstsucht und Eitelkeit haben alles Göttliche und Menschliche aufgezehrt, und es steht nichts vor uns als ein hohles Scheinbild, dem man alle Lumpen umhängen kann, weiße und schwarze. Das Diabolische ist ihr nicht angeboren; kaum mögen wir in ihrem späteren Tun ihre Tatkraft eine diabolische nennen. Nichts von Affekt, nichts von Leidenschaft, kein Hohn, kein Haß, keine Rache. Nicht die kalte, selbstische Berechnung, welche gerade die Nächsten und Liebsten hinopfert, um zu einem Zwecke zu kommen. Ein einziger hat sie vielleicht gekränkt, beleidigt, ihr erster Mann: sie hat keinen Groll gegen ihn. Gift befreite ihn von einem kläglichen Dasein; eine Mörderin konnte sich der Selbsttäuschung hingeben, daß sie ihm eine Wohltat erzeigte. Auch daran hatte sie nie im Ernste gedacht. Nur und allein, um durch seinen Tod zu gewinnen, vergiftete sie ihn wie die anderen. Sie kennt keine Bande der Liebe und des Hasses, und dieselbe Gleisnerei, die von keinem Unglück hören kann, ohne Tränen zu vergießen, die die Leidenden aufsucht, die Kranken pflegt, kann ohne die geringste Regung die fürchterlichsten Qualen ihrer Opfer ansehen, ohne Mitgefühl zu empfinden. Sie, die vor dem geringsten körperlichen Schmerze zittert, kann kaltblütig diese Qualen noch durch neue Giftdosen erhöhen. Und sehen wir, wie sie an fünfzehn Opfern dieses Wesen treibt, wie alle ihre Gifttränke den beabsichtigten Erfolg haben und sie doch vor der Welt dasteht als eine tugendhafte Frau, als ein liebliches, gefeiertes Wesen, als eine christliche Dulderin, so hätte allerdings ein früheres Zeitalter an einen seelenlosen Kobold, an ein Dunstbild habe denken können, das ein boshafter Zauberer ins Leben setzte mit der Kraft, alles zu scheinen und nichts von allem zu sein. Aber sie ist kein Werkzeug einer dämonischen Macht: sie ist eine Spekulantin im Dienste ihres Egoismus. Alles an ihr ist Berechnung. Das Dämonische liegt nur darin, wie alle ihre mit dem äußersten Leichtsinn unternommenen Handlungen glücken, ohne entdeckt zu werden; wie sie Leichenberge um sich häufen kann, und kein Auge sieht durch die Nacht; mit den allergewöhnlichsten Verstellungskünsten täuscht sie den Argwohn der Kläger und der Menge. Und nun, als die erste Entdeckung erfolgt ist, ist damit alles entdeckt. Sie hat nicht mehr die Kraft, die Lügen zu fassen, und die ganze Lügenerscheinung sinkt wie ein Dunstbild zusammen, das eben nur durch die Einbildungskraft und Täuschung den anderen groß und furchtbar war.

      Gleichwohl läßt sich der Trieb zum Vergiften nicht wegleugnen. Nur war er kein ursprünglicher, angeborener. Erst im Verlauf ihrer Verbrecherschicksale wuchs er und wurde so stark, bis er sie überwältigte. Sie ist schuld daran; nicht finstere Mächte, böse Dämonen, sie selbst impfte sich ihn ein. Sie kommt dafür und für seine Wirkungen auf; auch wenn er sie später in einer Art fortriß und zu Taten bewog, daß wir bei uns sprechen müssen, es ist unmöglich, daß sie dies bei gesunder Vernunft tat. Der Durst, der Kitzel, die Befriedigung suchten, schweiften ins Gebiet des Unbegreiflichen; aber es ist uns sehr begreiflich gemacht, wie dieser Durst und Kitzel entstanden sind. Sie fühlte sich unruhig und ängstlich, wenn sie eine Weile keinen Arsenikvorrat besaß, und ihr ward erst wieder wohl, wenn die Kruke Mäusebutter in ihrem Schranke stand. Ihre letzte Kruke nahm sie mit in den Kerker!

      Aber diese Egoistin verschwendete nicht die köstliche Gabe zu spielerischen Zwecken; es war fast bei allen ihren Gaben eine bestimmte Absicht da. Selten geschah es aus zornigen oder rachsüchtigen Gefühlen. Nur zuletzt, als nach so vielem Glück und Greuel doch kein sichtliches, greifbares Resultat für sie da war, als Sorge und Not ihr drohten, als sie einsam dastand, von furchtbaren Gespenstern geneckt und umgeben, da schweifte auch ihr Sinn in der Irre umher, und wie eine Trunkene oder am Leben Verzweifelnde vergiftete sie darauf los, wen und wie es traf, nur um Beschäftigung zu haben und in der Beschäftigung Vergessenheit ihrer selbst zu finden.

      Am 17. September 1830, im dritten Jahre ihrer Verhaftung und der Berge von Akten auftürmenden Untersuchung, erfolgte die Verurteilung der Gottfried durch das Bremer Obergericht zum Tode mittels des Schwertes.

      Ihre Gesundheit, geschwächt durch die stete Furcht vor einem plötzlichen, gewaltsamen Tode, hatte sich in der letzten Zeit wieder gebessert. Völlig unvorbereitet ward sie am 18. September zur Entgegennahme des Urteils abgeholt. Aber beim Eintreten in den Saal fiel ihr falkenartig umherspähendes Auge auf ein Gefäß, dessen Inhalt sie sogleich richtig erriet. Es war Essig zum augenblicklichen Schutze gegen eine Ohnmacht. Sie wußte nun, ehe ein Wort gesprochen war, was ihr bevorstand. Sie bekam, nach ihrem Bekenntnis, keinen wirklichen Schreck, aber ein heftiges Beben und innerlicher Frost überfielen sie. Sie erklärte, daß sie dieses Urteil und noch weit mehr verdient habe, weshalb sie es mit Dank annehme.

      Dennoch appellierte sie und bemühte sich in Briefen und Gesprächen, ihren Verteidiger von ihrer guten Gesinnung zu überzeugen; das heißt, sie wünschte alle ihre Missetaten ins schönste Licht gesetzt zu sehen und den Beweis ihrer Unzurechnungsfähigkeit weitergeführt. Aber dieser bemerkt, daß ihr Schmerz nach wie vor selbstischer Natur geblieben sei. Es zeigte sich keine Spur von einem Gefühl geistiger Hilfsbedürftigkeit. Im Gegenteil bemerkte er eine gewisse Sattheit und Selbstzufriedenheit, die in frömmelnden Redensarten ihre Blößen verbarg.

      Das Gericht besorgte einen Selbstmord, und deshalb ward sie von nun an unter steter Bewachung von fünf Frauen, die sich abwechselten, gehalten. Diesen Frauen gegenüber sprach sie sich ungezwungener, charakteristischer aus als gegen Geistliche, Richter und Verteidiger. Vergebens hatte


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