Die Geschichte der Dampfmaschine bis James Watt. Geitel Max
Abbildung 7.
Der Äolsball, Äolipile. (Nach Heron von Alexandrien.)
Die Äolipile.
„Über einem geheizten Kessel soll eine Kugel sich um einen Zapfen bewegen.
Es sei AB ein mit Wasser gefüllter geheizter Kessel. Seine Mündung sei mit dem Deckel CD verschlossen; durch diesen sei eine gebogene Röhre EFG getrieben, deren Ende G luftdicht in eine Hohlkugel eingepaßt sei. Dem Ende G liege ein auf dem Deckel CD feststehender Zapfen LM diametral gegenüber. Die Kugel sei mit zwei gebogenen, einander diametral gegenüberstehenden Röhrchen H und K versehen, die in sie münden und nach entgegengesetzten Richtungen gebogen sind. Wird nun der Kessel geheizt, so ist die Folge, daß der Dampf durch EFG in die Kugel dringt, durch die umgebogenen Röhren nach dem Deckel hin ausströmt und die Kugel in Drehung versetzt, ähnlich so, wie dies bei den tanzenden Figuren der Abb. 5 der Fall ist.“
Die Heronischen Bücher, die allerdings nicht erkennen lassen, inwieweit es sich um Erfindungen Herons oder um zu damaliger Zeit bereits bekannte Vorrichtungen handelt, haben von ihrem ersten Erscheinen an das weitestgehende Interesse gefunden. Eine größere Anzahl von Übersetzungen derselben sind im Laufe der Jahrhunderte erschienen. Diese nahmen allmählich derart zu, daß man um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts mit Recht von einer „Heron-Renaissance“ sprechen konnte.
Der erste, der Herons Dampfkünste, insbesondere die Äolipile, weiteren Kreisen, und zwar den Technikern, offenbarte, war der römische Architekt und Schriftsteller Vitruvius Pollio, der zur Zeit des Cäsar und des Augustus als Kriegsingenieur tätig war. In seinem dem Augustus gewidmeten, zehn Bücher umfassenden Werke „De architectura“[6] widmet er im sechsten Kapitel des ersten Buches den Äolipilen folgende Ausführungen[7]:
„Der Wind ist eine strömende Luftwelle mit unbestimmt überflutender Bewegung; er entsteht, wenn die Hitze auf die Feuchtigkeit trifft und der Andrang der Erwärmung einen gewaltig wehenden Hauch herauspreßt. Daß dies aber wahr sei, kann man aus den ehernen Äolipilen (Luftgefäßen) ersehen und hinsichtlich der verborgenen Gesetze des Himmels durch künstlich erfundene Dinge die göttliche Wahrheit erzwingen. Man macht nämlich eherne hohle Äolipilen, diese haben eine möglichst enge Öffnung, durch welche sie mit Wasser gefüllt werden, dann stellt man sie ans Feuer, und bevor sie warm werden, zeigt sich keinerlei Hauch, sobald sie aber sich zu erhitzen anfangen, bewirken sie am Feuer ein heftiges Gebläse. So kann man aus dem kleinen und sehr kurzen Schauspiel Kenntnis und Urteil über die großen und unermeßlichen Naturgesetze des Himmels und der Winde schöpfen.“
Vitruvius versteht hier unter Äolipilen nicht den Äolsball (Abb. 7), sondern das mit Wasser gefüllte, von außen beheizte Hohlgefäß, Abb. 6. Von einer eigenartigen in den germanischen Wäldern etwa zu derselben Zeit erfolgten Ausnutzung der Dampfkraft berichtet Arago[8] wie folgt:
„Die natürlichen wie die künstlichen Kräfte sind fast stets, bevor sie den Menschen von tatsächlichem Nutzen waren, in den Dienst des Aberglaubens gestellt. Die Geschichtsbücher berichten, daß an den Ufern der Weser der Gott der alten Teutonen diesen hin und wieder sein Mißfallen durch eine Art von Donnerschlag zum Ausdruck brachte, dem dann unmittelbar darauf eine Wolke folgte, die den heiligen Hain erfüllte. Das Erzbild dieses Gottes „Püsterich“, das Ausgrabungen zutage gefördert haben, zeigt deutlich, in welcher Weise sich jenes Wunder vollzog. Das Götterbild bestand aus Metall. Der Kopf war hohl und enthielt ein mit Wasser gefülltes Gefäß. Holzpfropfen verschlossen den Mund des Gottes und ein oberhalb der Stirn angebrachtes Loch. Glühende an geeigneter Stelle der Kopfhöhlung gelagerte Kohlen erwärmten allmählich das Wasser. Alsbald trieb der erzeugte Dampf mit lautem Krachen die Pfropfen heraus, ergoß sich in zwei Strahlen nach außen und bildete zwischen dem Götterbild und den erschrockenen Andächtigen einen dichten Nebel.“
Erst nach Verlauf von mehr als einem halben Jahrtausend begegnen wir wiederum einem Bericht über eine Verwendung der Kraft des Dampfes. Sie bewegte sich in derselben Richtung wie die von Arago berichtete. Der byzantinische Geschichtschreiber Agathias, mit dem Beinamen „Scholastikos“ (geb. um 536, gest. 582 n. Chr.), behandelt in seinem die Jahre 552 bis 558 umfassenden Werke[9] einen Streit, den der Baumeister Anthemius, der Wiedererbauer der durch ein Erdbeben zerstörten Sophienkirche in Konstantinopel, mit seinem Nachbar Zeno in eigenartiger Weise ausfocht. Anthemius, ein aus Trallas in Kleinasien gebürtiger Grieche, besaß ein Haus, das mit dem seines Nachbars Zeno in mehreren Teilen zusammenhing, und geriet über dieses Bauverhältnis mit Zeno in einen Rechtsstreit. Diesen verlor er aber, weil, wie ausdrücklich hervorgehoben wird, Zeno ein gewandterer Redner war. Anthemius stellte, um sich zu rächen, mehrere große Kessel auf, füllte diese mit Wasser an und umgab sie mit ledernen Schläuchen, die unten so weit waren, daß sie den ganzen Umfang der Kessel umschlossen. Mit diesen Schläuchen verband er lederne Röhren, die sich trompetenartig verengten. Die Enden dieser Röhren befestigte Anthemius dann so dicht und genau an den Balken des Zenoschen Hauses, daß der in den Röhren enthaltene Dampf zwar mit ungehinderter Kraft nach aufwärts steigen, aber nicht nach außen entweichen konnte. Nunmehr entfachte er unter den Kesseln ein starkes Feuer. Aus dem kochenden Wasser entwickelte sich alsbald Dampf, der nach oben emporstieg und, da er keinen Ausweg fand, in die Röhren hinübertrat. Da er auch hier keinen Austritt erhielt, strebte er mit erhöhtem Druck nach oben, hierbei unter Krachen das Gebälk des Hauses in zitternde Bewegung setzend. Auf das höchste bestürzt, entflohen die Hausgenossen des Zeno auf die Gasse.
Der Prokonsul Dr. Degen in Lüneburg hielt diese Anwendung der Spannkraft des Dampfes für so eigenartig und zielbewußt, daß er der Meinung war, Anthemius habe noch andere Anwendungsarten des Dampfes gekannt. Er äußert sich hierüber wie folgt[10]:
„Anthemius war, wie der Geschichtschreiber Agathias wiederholt bemerkt, ein ausgezeichneter Mathematiker und Verfertiger bewunderungswürdiger Maschinen. Welche Arten von Maschinen er verfertigte und zu welchen Zwecken, ist ebensowenig angegeben als ausdrücklich gesagt, daß er die Wasserdämpfe bei denselben in Anwendung gebracht hätte. Es scheint indessen aus folgenden Worten des Agathias: „er aber (Anthemius) vergalt ihm (dem Zeno) aus der ihm eigenen Kunst auf folgende Weise“ der Schluß gezogen werden zu dürfen, daß Anthemius bei seinen Maschinen auch die Wasserdämpfe gebraucht habe; denn wenn von der Dampfmaschine, welche er aus Rache über den verlorenen Prozeß gegen Zenos Haus richtete, namentlich angeführt wird, daß er sie aus der ihm eigenen Kunst eingerichtet und sich dabei der Dämpfe bedient habe, so möchte der Schluß oder, wenn man lieber will, die Vermutung, daß er die ihm völlig bekannte Dampfkraft auch auf andere zu seiner Zeit bewunderte Maschinen übertragen habe, nicht ganz grundlos erscheinen, zumal da auch das Wort τέχνη auf praktische Anwendung hindeutet.“
Die nunmehr zu erwähnende überkommene Nachricht von der Verwendung der Dampfkraft liegt auf dem Gebiete des christlichen Kultus: im Jahre 963 befand, wie William von Malmesbury berichtet[11], sich in einer Kirche zu Rheims eine Orgel, in welcher die Luft auf wunderbare Weise metallene Pfeifen zum Tönen brachte, indem sie durch die Kraft heißen Wassers aus den Pfeifen ausgetrieben wurde. Diese Orgel sollte eine Erfindung des Bischofs Gerbert von Reims, des späteren Papstes Silvesters II, sein[12].
Im Laufe der folgenden Jahrhunderte begegnen wir hin und wieder Beschreibungen des bereits erwähnten Götzenbildes des Püstrich, Peustrich oder Bustard. Dasselbe fand sich auch bei den Wenden in Gestalt eines mit dem rechten Fuß knienden dicken, bausbäckigen Jungen von 14 Zoll Höhe, dessen Bauchhöhle drei Quart Wasser enthielt. Dieses verwandelte sich, wenn die Gestalt durch Feuer erhitzt wurde, in Wasserdampf, der dann aus dem Munde des Püstrich mit lautem Gebrüll ausströmte.
Leone Battista Alberti, geb. 18. Februar 1404 zu Genua, gest. im April 1477 zu Rom, berichtet in seinem Werke De Architectura seu de re aedificatoria, Flor. 1485[13], daß die Kalkbrenner der damaligen Zeit große Furcht vor den Kalksteinen hatten, welche mit Luft gefüllte Höhlungen enthielten; wenn