Im Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
verstehst mich, Kleine.«
»Geh doch schon voraus, Sabine«, meinte Anschi. »Bambi wartet sonst. Du hast bestimmt Spaß mit ihr. Sie ist ein goldiges Kind.«
Sabine senkte den Kopf. Ein Zucken lief über ihr Gesichtchen.
Anschi griff ihr in den Nacken.
»Du bist auch ein goldiges Kind«, sagte sie zärtlich.
Ungestüm schlang Sabine die Arme um Anschis Hals.
»Du bist so sehr lieb«, flüsterte sie. Dann lief sie hinaus.
»Sie versteht es ja mächtig gut mit dir«, bemerkte Stefan eifersüchtig.
»Sie ist vollkommen natürlich. Und sehr liebeshungrig«, äußerte Anschi nachdenklich. »Bedenke doch, Stefan, das Kind ist nur herumgestoßen worden.«
»Bleiben wir doch auf dem Boden der Tatsachen, Anschi! Man kann uns doch nicht die Verantwortung für ein völlig fremdes Kind aufhalsen.«
»Aufhalsen nicht, aber man könnte sie ja freiwillig und gern übernehmen«, erklärte Anschi ruhig.
»Nun gut, wenn du dein Seelenheil darin siehst, werde ich mit mir reden lassen, wenn wir ihren Vater nicht finden oder er ein schäbiger Kerl ist.«
»Dann wünsche ich mir das eine oder das andere«, sagte Anschi.
»Aber mit deinen Eltern kommst du dann klar«, murmelte er.
Sie fiel ihm um den Hals.
»Dessen darfst du gewiss sein, Stefan.«
*
»Du kommst ja allein«, sagte Bambi, ohne allzu sehr enttäuscht zu sein.
Sabine nickte. »Stefan ist gekommen. Er muss essen.«
»Das ist wichtig«, stellte Bambi fest. »Männer werden grantig, wenn sie hungrig sind. Das kenne ich. Mein Opi geht mit uns. Komm, wir holen ihn ab.«
Magnus von Roth war schon bereit. Freundlich lächelnd nahm er Sabines Hand.
»Da haben wir ja wieder mal eine kleine Neue«, bemerkte er herzlich. »Hoffentlich gefällt es dir auch in Erlenried.«
»Sehr gut«, erwiderte Sabine. »Es ist der schönste Platz der Welt.«
Nachdenklich sah er sie an.
»Na, dann teilst du ja unsere Meinung. Das denken wir auch, nicht wahr, Bambi?«
»Freilich. Manche Leute sagen aber: Neapel sehen und sterben.«
Magnus von Roth verkniff sich ein Lachen, aber Sabine blieb ernst.
»Ich kenne Neapel nicht. Ich kenne bloß Verona. Manche Leute finden es da auch sehr schön.«
»Du aber nicht?«, fragte Magnus von Roth.
»Hier ist es viel schöner«, erwiderte Sabine nach einer kleinen Pause, aber ihr Tonfall verriet, dass sie sich nicht näher darüber auslassen wollte.
Sie schlugen den Weg zur Felsenburg ein, die trutzig zwischen den hohen Fichten emporragte. Dem grauen Wagen, der unten die Straße entlangfuhr, schenkten sie keine Beachtung.
*
»Hübsch ist es hier«, stellte Herbert Kerst fest. »Hier lässt es sich leben. Wir hätten schon längst mal herfahren sollen.«
»Du wolltest ja nicht«, entgegnete seine Frau vorwurfsvoll. »Du hast doch immer gesagt, dass die Kinder jetzt erst mal allein sein müssen.«
Er ging nicht darauf ein.
»Da sieht man wieder mal, wie gut das Siedlungsproblem gelöst werden kann«, fuhr er fort. »Der Architekt, der das geschaffen hat, versteht was davon.«
»Schau lieber, dass du die Frühlingsstraße nicht verpasst«, meinte Norma.
Aber als sie das Haus endlich gefunden hatten, war niemand da. Vor ein paar Minuten waren auch Anschi und Stefan zur Felsenburg aufgebrochen.
»Ich muss wissen, was los ist«, sagte Norma Kerst. »Herr Münster wohnt doch auch hier. Wir fahren hin! Ich bin mit den Nerven am Ende, Herbert.«
Und während Anschi und Stefan sich mit dem gescheiten Magnus von Roth anfreundeten und Bambi Sabine die Geschichte der Felsenburg erklärte, fuhren Herbert und Norma Kerst zum Sonnenhügel.
»Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen, gnädige Frau«, erklärte Felix Münster beruhigend. »Herr Behrend hat heute frei, und da wird er mit Ihrer Tochter den schönen Nachmittag nutzen und einen Ausflug machen.«
»Ich glaube, sie sind zur Felsenburg gegangen«, mischte sich Sandra Münster ein.
Norma fand das Ehepaar außerordentlich beeindruckend. Und die Kinder waren entzückend! So etwas Süßes wie die Zwillinge Alexandra und Felix hatte sie noch nie gesehen, und gleich bekam sie großmütterliche Gefühle.
»Das wird ja eine freudige Überraschung für Ihre Tochter sein«, sagte Sandra. »Ich hoffe, dass wir Sie alle bald bei uns sehen, wenn Sie ein paar Tage bleiben. Übermorgen vielleicht?«
Da war Norma Kerst gleich noch mehr angetan. Es war so ungemein beruhigend für sie, dass Felix Münster sich anerkennend über ihren Schwiegersohn äußerte und so verbindlich war. Er kehrte so gar nicht den Chef heraus.
Sie war in friedlicher Stimmung, als sie dann zur Frühlingsstraße zurückfuhren. Doch ihr Lächeln erlosch, als Stefan und Anschi daherkamen und zwischen ihnen Sabine.
»Mutti! Paps!«, rief Anschi.
Aber Norma Kerst fragte zuerst: »Wer ist denn das?«
Sabine schien zusammenzuschrumpfen. Aber da war Stefans Hand, die sich fest und beruhigend um ihre Schulter legte.
»Das ist Sabine«, sagte er.
*
Norma Kerst hatte hochrote Wangen, aber auch Herbert Kerst fand sich mit der gegebenen Situation nicht so schnell ab.
»Das sind meine Eltern, Sabine«, hatte Anschi gesagt, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, dass es da plötzlich ein schon recht großes Mädchen im Leben der Behrends gab.
»Wir werden noch darüber sprechen«, erklärte Stefan. »Warum habt ihr euch nicht angemeldet?«
»Wir waren so in Sorge, weil wir dauernd vergeblich anriefen«, entgegnete Herbert Kerst anstelle seiner fassungslosen Frau.
»Darf ich jetzt hinaufgehen, Anschi?«, fragte Sabine. »Oder kann ich dir etwas helfen?«
»Nein, mein Kleines, wir gehen nachher essen«, erwiderte Anschi.
Das Taktgefühl des Kindes beeindruckte Stefan sehr.
»Die Sache ist so«, begann er, als Sabine in ihrem Zimmer verschwunden war.
»Das ist meine Sache, Stefan«, unterbrach ihn Anschi.
»Wieso deine Sache?«, fragte ihre Mutter verwirrt.
»Reg dich bitte nicht auf, Mutti, aber Sabine ist uns als Stefans Tochter vor die Tür gestellt worden«, erklärte Anschi mutig.
»Nein!«, schrie Norma Kerst auf.
»Lass doch das Kind mal ausreden«, mischte sich ihr Mann ein. »Das ist ja höchst interessant.«
»Das kann man wohl sagen«, murmelte Stefan, »aber sie ist nicht meine Tochter.«
»Der reinste Krimi«, bemerkte Herbert Kerst. »Gebt mir mal einen Schnaps, Kinder.«
Es verging eine gute halbe Stunde, bis Anschi ihren Eltern den Sachverhalt erklärt hatte, ohne jedoch davon überzeugt zu sein, dass sie es auch wirklich begriffen hatten.
Herbert Kerst hatte bereits das dritte Glas Obstler in sich hineingeschüttet.
»Das arme Würmchen«, war seine erste Reaktion.
»Das