Karin Bucha Staffel 3 – Liebesroman. Karin Bucha
griff sie nach seiner Hand, schmiegte ihre Wange daran.
»Ich danke dir, Vater! Du bist so gut zu mir.« Plötzlich brach sie in heftiges Weinen aus. »Wie grausam ist doch das Schicksal mit mir. Mein Glück wurde mir zerschlagen – und nun kämpft mein Kind, das Liebste, was mir geblieben ist, mit dem Tod. Womit habe ich das verdient?«
Freiers Lippen waren wie versiegelt. Er fand keine Trostworte. Aber er segnete die Tränen, die hemmungslos über Brigittes schmales Gesicht flossen und seine Hände netzten. Tränen lösten, Tränen brachten Erleichterung.
Arme, liebe Brigitte!
*
Die erste Nacht nach dem gräßlichen Unglück verbrachte Brigitte schlaflos in einem Sessel. Jeden Augenblick war sie bereit, auf ein Klingelzeichen sofort aufzuspringen.
Aber die Nacht verging, ohne daß sich etwas ereignete. Schon drang der erste Dämmerschein in das Zimmer, als sie endlich von Erschöpfung übermannt, einschlief.
Sie wurde erst wieder wach, als die Sonne hell ins Zimmer schien.
»Ursula!«
Beide Hände preßte Brigitte auf ihr Herz. Gottlob, man hatte sie nicht gerufen. Dann war die Nacht im Krankenhaus gut verlaufen – sie durfte hoffen.
Sie ging ins Bad, erfrischte sich, wechselte die Kleidung und machte sich auf den Weg ins Krankenhaus.
Sie mußte lange warten, ehe Schwester Irmgard erschien.
»Wie geht es meinem Kind?« fragte sie voll Ungeduld und doch in banger Sorge, wie die Antwort lauten würde.
Schwester Irmgard ergriff die eiskalte Hand der jungen Frau und fuhr begütigend darüberhin.
»Die Nacht war über alle Erwartung gut. Sie dürfen Ihr Kind ein paar Minuten sehen, aber es ist immer noch bewußtlos.«
Und wieder bedachte Brigitte das stille bleiche Kindergesicht mit einem langen, innigen Blick. Aber heute war sie stark. Sie weinte nicht, sie jammerte nicht, doch die Lippen bewegte sie mechanisch, und ihre Seele bewegte ein einziges, heißes Gebet: Herrgott, erhalte mir mein Kind!
Nun wanderte Brigitte täglich nach Hellerau, nur, um einen einzigen Blick in das regungslose Gesicht ihres Kindes werfen zu können. Sie dachte nicht an sich, aß wenig und verbrachte ruhelose Nächte.
Die Sorge um die Zukunft war wie weggewischt. Ursula nahm all ihr Denken in Anspruch.
Kalt und leer kam ihr die Wohnung vor, seit Ursulas herziges Lachen verstummt war, seit sie Ursula nicht mehr durch die Zimmer huschen sah.
Aber sie klammerte sich mit der ganzen Kraft ihres Mutterherzens an die Hoffnung: Ursula wird wieder gesund werden! Ein gütiger Gott würde ihr das Kind lassen.
Brigitte magerte immer mehr ab. Die Augen, die einst so strahlend, glücklich in die Welt geblickt hatten, waren trübe und glanzlos geworden vom vielen Weinen. Etwas Gehetztes lag über der jungen Frau.
Die Tage vergingen in dieser nervenzehrenden Unruhe.
Einmal war das schwache Lebenslicht des Kindes am Verlöschen, dann flackerte es wieder auf. Brigitte erlebte dieses ständige Auf und Nieder unter tausend Qualen. Jeder Wehlaut, der sich über die rissigen, fieberhaften Lippen der kleinen Ursula stahl, traf sie ins Herz.
Dann eines Tages, als sie ihre körperliche Schwäche besonders empfindlich spürte, empfing die Schwester sie mit einem freundlichen Lächeln.
»Heute dürfen Sie fünf Minuten bei Ihrem Kind bleiben. Es ist bei Bewußtsein.«
Haltsuchend klammerte sich Brigitte an die Schwester. Diese Mitteilung war beinahe zuviel des Glücks für ihre Nerven.
»Ich darf wirklich mein Kind sprechen?« stammelte sie ungläubig.
»Kommen Sie!« bat die Schwester.
Brigitte ging den Weg, den sie täglich gegangen war, den sie im Schlaf hundertmal ging und den sie mit verbundenen Augen gefunden hätte, wie im Traum.
Auf Zehenspitzen näherte sie sich dem Bett. Sie mußte alle Kraft zusammenreißen, um nicht laut aufzuschreien.
War dieses magere, wächserne Etwas noch das liebliche Gesichtchens Ursulas? War das nicht ein alter Mensch, dem unsagbares Leid seinen Stempel aufgedrückt hatte?
»Ursula!« rief sie leise.
Die bläulichen Lider hoben sich, und da traf sie aus des Kindes Augen ein Blick, so strahlend, daß Brigitte vor Glück zu lachen begann.
»Ursula, mein Liebling!«
»Mami!« Es war zwar nur ein Hauch, aber es lag so viel Freude darin, so viel Glückseligkeit. »Mami – nun bleib ich immer bei dir!«
Die Lider schlossen sich müde. Ursula war wieder eingeschlafen.
Brigitte nahm die kraftlose, zarte Kinderhand in die ihre und hielt sie fest umschlossen. Sie rührte sich nicht. Jeden Zug dieses Gesichtchens nahm sie in sich auf. Jedes Zucken des zarten Mundes empfand sie schmerzhaft mit.
Die Augen, diese klaren grauen Kinderaugen, hatten sie erkannt! Ursula hatte sie gerufen! Welch unaussprechliches Glück bedeutete das für sie.
Nicht fünf Minuten, nein, eine Viertelstunde durfte sie bei ihrem Kind sitzen. Sie wünschte nichts sehnlicher, als daß Ursula noch einmal die Augen aufschlagen möge. Doch vergebens.
»Bitte, gehen Sie jetzt!« mahnte die Schwester.
Gehorsam erhob sich Brigitte, drückte einen langen Kuß auf die zarte Hand und legte sie sanft auf die Decke zurück.
»Auf Wiedersehen, Ursula – mein Liebling!«
Draußen lehnte sie, um Fassung ringend, an der Wand. Schwester Irmgard stand geduldig wartend neben ihr, bis sie sich wiedergefunden hatte.
»Sie müssen sich mehr schonen, Frau Markhoff«, riet die Schwester eindringlich und gütig. »Diese schrecklichen Tage sind nicht spurlos an Ihnen vorübergegangen. Denken Sie an Ihr Kind. Ursula wird leben! Der Arzt hat heute festgestellt, daß keine Lebensgefahr mehr besteht.«
Heiße Dankbarkeit leuchtete aus Brigittes Augen.
»Wirklich, meine Ursula wird leben?«
Wie eine Traumwandlerin verließ sie heute das Krankenhaus und fuhr unverzüglich zu ihren Eltern.
Ihr war, als wäre auch ihr das Leben neu geschenkt, als sie noch in der Tür stammelte: »Ursula ist gerettet!«
*
Wochen waren vergangen, und noch immer wanderte Brigitte täglich hinaus in das Krankenhaus. Sie schonte sich nicht mehr als vorher, hatte die Mahnung der Schwester längst vergessen. Aber sie fühlte sich bedeutend wohler, seitdem Ursula sie mit einem Lächeln und sehnsüchtigen Augen empfing.
Nach und nach waren einige von Ursulas Spielsachen mit in die Klinik gewandert. So saß zum Beispiel Moritz, Ursulas geliebter Teddy, treu und brav neben dem Bett auf dem Stuhl, oder die Schwester mußte ihn zu ihr legen. Dann hielt Ursula Zwiesprache mit ihrem Moritz und erzählte ihm von der großen Sehnsucht, die sie immer nach Mami habe.
Fred Markhoff hatte den Weg zu seinem kranken Kind nicht wieder gefunden. Aber Gerda war mehrmals dagewesen und hatte sich schnell mit Ursula angefreundet.
Nie kam das junge Mädchen mit leeren Händen. Immer brachte es eine Kleinigkeit mit. Mal eine schöne Blume, mal eine Näscherei, dann eine kleine Puppe mit beweglichen Armen und Beinen.
Von Gerda erfuhr Brigitte auch, daß Markhoff eine längere Urlaubsreise angetreten habe.
Bitterkeit wallte in ihr auf. Natürlich, etwas anderes war von Markhoff auch nicht zu erwarten gewesen. Immer dachte er nur an sich. Das war früher schon so gewesen, und das würde sich auch in Zukunft nicht ändern.
Aber sie wollte ihm deshalb nicht böse sein, wollte im Gegenteil ihrem Herrgott danken, wenn er sich nie mehr um Ursula kümmere. Dann gehörte