Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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ganzen Salon übersehen können. Und diese verschiebbaren kleinen Platten liefen geräuschlos in sorgfältig eingeölten Rinnen und zeugten so unwiderleglich vom allerjüngsten Gebrauche. Die Polstertür aber, von einem dicken, unverwüstlichen Leder überspannt, hatte zu allen Zeiten jeden Schall zwischen den zwei Häusern aufgefangen, und zum Überfluß zeigte sich auch noch das Innere der Wand mit den geschnitzten Heiligen drüben in der Amtsstube durch Polsterwerk verkleidet.

      Während dieser Besichtigung trat plötzlich der Bediente Robert in den Salon. »Die gnädige Frau Baronin!« meldete er, und seitwärts tretend, schlug er den Torflügel zurück.

      Die Baronin erschien auf der Schwelle. Sie war in grauer Seide, hatte das große Goldkreuz auf der Brust, und über dem blonden Scheitel lag eine weiße Barbe, die unter dem Kinn lose geschlungen war – das Gesicht erschien dadurch noch schmäler und länger.

      Ihre Augen überflogen forschend das Zimmer; sie hatte jedenfalls vorausgesetzt, Donna Mercedes vorzufinden. Auf ihren Wangen lag ein schwaches Rot; es belebte die Erscheinung wie das fieberische Funkeln ihres Blickes – die bleichgrauen Augensterne waren in diesem Augenblick entschieden stahlfarben ... Man sah, sie wollte imponieren; sie hielt den Oberkörper stolz und steif, als sei sie ihrer Rückenschwäche für immer ledig.

      »Ah, da bist du ja, mein Freund!« sagte sie sehr unbefangen. Sie erwiderte den ehrerbietigen Gruß der Handwerker mit einem kaum merklichen Kopfnicken und hielt ihrem Mann mit nachlässiger Grazie die Fingerspitzen hin. Sie schien gar nicht daran zu denken, daß sie ihn seit dem stürmischen Auseinandergehen im Atelier nicht wieder gesprochen.

      Baron Schilling war bei Roberts Meldung rasch aus der Mauertiefe getreten. Unwillkürlich fuhr sein erster Blick durch die offene Tür; aber der unvermeidliche Schatten der »Gnädigen«, die Stiftsdame, war nicht sichtbar. Ihre Pflegebefohlene war entweder heimlich entwischt, oder sie hatte sich losgemacht.

      Bei dieser Wahrnehmung milderte sich der Ausdruck der Erbitterung auf seinem Gesicht, dafür erstarrte seine Gestalt förmlich in eisiger Zurückhaltung. Er berührte die hingestreckten langen Finger kaum mit seiner schönen, kräftigen Rechten.

      Gereizt zog sie die Hand zurück und nahm das langnachschleifende Kleid auf, um dem Flügel näherzutreten. »Sieh da, der Missetäter, der mir gleich am ersten Tag nach meiner Ankunft die heftigsten Nervenkrämpfe verursacht hat!« bemerkte sie mit jenem halben, häßlichen Lächeln, das nur gemacht schien, die langen, weißen Zähne zu entblößen, ohne die flachen Mundwinkel reizvoll zu vertiefen und die Wangen zu runden. »Solch ein Klimperkasten, nimmt er sich nicht wunderlich aus, gerade in meinem Zimmer, Arnold? – Er ist ein ausgesprochener Hohn auf mein ganzes Sein und Wesen! ... Hast du gewußt, daß man dergleichen – Überfracht mitbringen würde?«

      »Es wäre sehr überflüssig gewesen, mir das anzuzeigen,« versetzte er kurz, mit einem forschenden Blick nach der leicht klaffenden Tür des Nebenzimmers. »Im übrigen möchte ich dir zu bedenken geben, daß dieses prachtvolle Instrument kein Klimperkasten ist, so wenig wie es in deinem eigenen Zimmer steht – du bewohnst den ersten Stock.«

      »O, bitte recht sehr, mein Freund! Ich danke Gott, daß mit dem Vermauern dieses Spitzbubenweges der unheimliche Lärm verschwinden wird –«

      »Es ist nicht Adams arme Seele gewesen, wie du in deiner Unfehlbarkeit festgestellt hattest, und den ›Spitzbubenweg‹ haben Klosterbrüder angelegt, Klementine –«

      »Verschwinden wird,« wiederholte sie mit eintöniger, gleichmütiger Stimme, seine boshafte Bemerkung völlig unbeachtet lassend. »Diese Räume habe ich in der ersten Zeit unserer Ehe bewohnt, und du weißt, daß ich an meinen Rechten festhalte ... Im ersten Stock ist die Beleuchtung für meine empfindlichen Augen zu grell; ich muß meist hinter herabgelassenen Vorhängen ohne frischen Luftzug halb ersticken. Hier dämpft der Säulengang wohltätig das Licht. Aus dem Grunde hatte ich dich auch wiederholt gebeten, dich wegen Beschleunigung der Ausbesserung mit mir zu verständigen – du wirst mir zugeben, daß ich auch ein Wort dreinzureden habe, wie und wann dieselben in Angriff genommen werden sollen – und deshalb bin ich jetzt gekommen ... Ich brenne darauf, mich hier unten wieder einzurichten.«

      Er lachte hart auf und wandte ihr den Rücken, um die Handwerker zu entlassen, die ihre Untersuchung inzwischen beendet hatten. Ihnen auf den Fersen folgend, schien er mit den Leuten zugleich hinausgehen zu wollen.

      »Nun – soll ich allein hier bleiben?« rief sie empört, bewegte sich aber nicht von der Stelle; sie stützte vielmehr die Hand fester auf den Flügel, neben dem sie stand.

      »Hast du mir noch etwas zu sagen?« fragte er von der Schwelle aus zurück, nachdem die Leute das Zimmer verlassen hatten – er hielt das Türschloß in der Hand. »In dem Fall muß ich dich bitten, mich in den Garten zu begleiten. Ich finde es nicht sehr anständig, so unverfroren in Räumen zu verhandeln, die uns augenblicklich durchaus nicht zur Verfügung stehen.«

      »Mein Gott, wir haben ja doch nicht kontraktlich vermietet! Übrigens wird sich dein Gast der Einsicht gewiß nicht verschließen, daß die Erneuerung der zerstörten Wand an Ort und Stelle besprochen werden muß –«

      »Wärst du bei der Sache geblieben –«

      »Aber ich bitte dich, was habe ich denn anderes berührt? Meine spätere Übersiedelung in diese Wohnung ist ja eng damit verknüpft ... Übrigens wirft du mir zutrauen, daß ich diesen meinen Lieblingswunsch unterdrückt haben würde,« – sie sprach im Ton der ausgesuchtesten Höflichkeit – »wüßte ich nicht, daß die Mission im Schillingshofe zu Ende ist. Die Versöhnung ist erfolgt, offenkundig erfolgt, wie ich mich täglich überzeuge; die Majorin Lucian wird ihre Enkel voraussichtlich in der Kürze zu sich nehmen – dann steht die Wohnung hier leer, ehe man sich dessen versieht. Ich kann mir nicht denken, daß sich Frau von Valmaseda auch nur einen Tag länger, als unbedingt nötig ist, in unserem einfachen Hause genügen läßt. Die Dame hat ihrem verstorbenen Bruder der Opfer genug und übergenug gebracht, wie ich recht gut einsehe. Und du wirst ihr ebensowenig zumuten, zu bleiben –«

      »Ich?!« – Seine Hand ließ das Türschloß los, er trat in das Zimmer zurück. – »Wie möchte ich auch nur um eine Linie die Befugnisse überschreiten, mit denen Felix mich betraut hat! Darüber hinaus habe ich keine Macht – noch weit weniger aber auch den Willen, sie zu erlangen und auszuüben.«

      »Nun, dann wären wir ja im Einverständnis, mein Freund! Und Frau von Valmaseda wird ohne Zweifel entschuldigen –«

      In diesem Augenblick wurde die Tür des Nebenzimmers weiter geöffnet, und Donna Mercedes trat heraus. Sie hatte bis dahin wohl nicht die Absicht gehabt, sich sehen zu lassen, denn ihre gewaltige Haarflut, die sonst das Netz bändigte, war nur lose mit einem Kamm aufgenommen; er lief als breite, goldene Spange durch die blauschwarzen Strähne und ließ da und dort lockige Enden und Ringel nach dem Nacken, gegen die Stirn und Schläfen entschlüpfen. Ein lebhafter Trieb schien die junge Dame in das Zimmer zu drängen.

      »Ich habe nichts zu entschuldigen; Sie sind vollkommen in Ihrem Recht, Frau Baronin,« sagte sie, die Herrin des Schillingshofes mit einem verbindlichen Kopfneigen begrüßend. »Ich sehe auch ein, daß die Verunstaltung Ihres Salons so schnell wie möglich beseitigt werden muß, und doch bin ich gezwungen, Sie noch für einige Tage um Aufschub zu bitten, so schwer es mir auch wird. Mein kleiner Neffe ist noch nicht erstarkt genug, um den Lärm und die Unruhe des Hotellebens ohne Schaden zu ertragen – der Arzt ist augenblicklich entschieden gegen einen derartigen Wohnungswechsel.«

      Die Baronin ließ ihre Augen verstohlen, aber rastlos musternd an der auffallenden Erscheinung auf und nieder gleiten. Sie hatte sich eben noch der größten Höflichkeit, des sanftmütigen Tones beflissen; allein nichts war mehr geeignet, ihr die Stimmung zu vergiften, als eine schöne Frau. Und diese Amerikanerin da war, in der Nähe besehen, von einer wahrhaft erschreckenden Schönheit und dabei eine gewiegte Kokette in Entfaltung ihrer Reize. Gab es wohl einen herrlicheren Anblick als dieses flutende, auf dem Scheitel lässig zusammengefaßte Haar, wie es den feinen, stolzgetragenen Kopf umwogte, kaum das pikante, kleine, von den mächtigen Sonnenaugen gleichsam durchleuchtete Gesicht und einen schmalen Streifen des zarten Halses freilassend? – Das entschied.

      »Das


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