Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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armer, müder Wanderer mit zerrissenen Schuhen und leerer Tasche vor dem alten Schloßthore erscheint und Einlaß begehrt?«

      »Freilich müßten wir aufmachen,« rief lächelnd der Vater, »wenn wir nicht die Rache aller guten Geister, die ein mutiges Herz beschützen, auf unser morsches Dach herabbeschwören wollten! … Uebrigens wirst du wohl an dem alten Schlosse vorüberziehen und an irgend eine einsame Bauernhütte im Walde anklopfen müssen, wenn du uns finden willst; denn in dem Trümmerhaufen wird sich schwerlich ein Asyl für uns einrichten lassen.«

      »Das fürchte ich auch,« meinte die Mutter. »Wir arbeiten uns mühsam durch Hecken und Gestrüpp, wie ehemals Dornröschens unglückliche Befreier, und finden endlich –«

      »Die Poesie!« rief Elisabeth. »Ach, dann wäre ja schon der erste Duft von unserem Waldleben abgestreift, wenn wir nicht im alten Schlosse wohnen könnten! Vier feste Mauern und eine guterhaltene Zimmerdecke werden doch wahrhaftig noch in einem Turme oder dergleichen zu finden sein, und das übrige läßt sich mit Nachdenken und willigen rüstigen Händen leicht beschaffen … Wir stopfen Moos in etwaige Mauerritzen, nageln Bretter über unbequeme Thürbogen, die keinen Flügel mehr haben, und tapezieren unsere vier Wände selbst. Auf den zerbröckelten Estrichfußboden legen wir eigenhändig geflochtene Strohmatten, erklären den kleinen vierfüßigen Leckermäulern in grauen Samtröckchen, die unsern Speiseschrank attackieren, ernstlich den Krieg und gehen mit dem Kehrbesen tapfer auf die großen Spinnen los, die über unsern Köpfen hängend, in aller Ruhe überlegen, ob sie sich nicht häuslich darauf niederlassen sollen.«

      Mit verklärten Augen, ganz versunken in ihre Träumereien von dem demnächstigen Leben im frischen, grünen Walde, trat sie dann ans Klavier und schlug den Deckel zurück. Es war ein altes, ausgespieltes Instrument, dessen schwache, heisere Töne vollkommen harmonierten mit dem herabgekommenen Aeußeren; allein das Mendelssohnsche Lied. »Durch den Wald, den dunkeln, geht u. s. w.« klang trotzdem hinreißend unter Elisabeths Fingern.

      Die Eltern saßen lauschend auf dem Sofa. Der kleine Ernst war eingeschlafen. Draußen hatte das Toben des Sturmes aufgehört; aber an unverhüllten Fenstern vorüber sank in wirbelnden Flocken massenhaft und lautlos der Schnee. Die gegenüberliegenden Schornsteine, die nicht mehr dampften, setzten langsam eine dicke, weiße Nachtmütze auf und blickten steif und kalt, wie das verdrießliche Alter, hinüber in die keine Mansardenstube, die mitten im Schneegestöber hellen Frühlingsjubel in sich schloß.

      3.

       Inhaltsverzeichnis

      Pfingsten! Ein Wort, das seinen Zauber auf das menschliche Gemüt üben wird, solange noch ein Baum blüht, eine Lerche schmetternd in die Lüste steigt, und ein klarer Frühlingshimmel über uns lacht. Ein Wort, dessen Klang selbst unter der härtesten Eiskruste des Egoismus, unter dem Schnee des Alters und in dem Herzen, das in Leid und Kummer erstarrt ist, noch ein Echo von Lenzeslust erwecken kann.

      Pfingsten ist vor der Thür. Ein weiches Lüftchen flattert über die Thüringer Berge und streift von ihrem Scheitel die letzten Schneereste. Sie wirbeln dampfend empor und verlassen als leuchtende Frühlingswölkchen die alte Lagerstätte, die es sich angelegen sein läßt, ihre gefurchte Stirn mit einem Geflechte von jungen Brombeerranken und rötlich blühendem Heidelbeerkraut zu schmücken. Drunten braust jauchzend der kühle Forellenbach aus dem Waldesdunkel quer über die buntgesprenkelten Thalwiesen. Die einsame Schneidemühle klappert wieder lustig, und auf ihr niedriges, graues, geflicktes Schindeldach streuen die Obstbäume ihre Blütenflocken.

      Vor den Hüttenfenstern der einsamen Holzhacker und der Dorfbewohner, im engen Käfig, singen die gelehrigen Gimpel, die während der Winterszeit in der heißen dunstigen Stube einen Lehrkursus der höheren Gesangskunst durchgemacht haben, ihre künstlerischen Weisen. Und die drüben im Walddickicht jubeln ungeschult, aber unendlich süßer und herzergreifender – sie baden ja die kleine Sängerbrust im goldenen Strome der Freiheit.

      Wo noch vor wenig Wochen die gewaltigen Schneewasser im selbstgeschaffenen Bette herabschäumten, da weben jetzt die Moose ungestört ihren buntgefleckten Teppich und legen ihn weich und schonend um die narbenvolle Brust des Berges, und hier und da von dem feinen, silbernen Geäder durchbrochen, das eine hervorsprudelnde Quelle hinabschickt.

      Auf der Chaussee, die durch einen reizenden Thalgrund des Thüringer Waldes führt, rollte in einer bepackten Postchaise die Familie Ferber ihrer neuen Heimat zu. Es war früh am Morgen, eben verkündete das dünne, scharfe Stimmchen einer kleinen Turmglocke in der Nähe die dritte Stunde. Deshalb hatten auch nur der alte verdrießliche Wegweiser an der Chaussee und ein Rudel stattlicher Hirsche, das am Saume des Waldes erschien, den köstlichen Anblick eines jungen, glücklich lächelnden Menschenangesichts.

      Elisabeth hatte sich weit aus dem dumpfen Wagen gebogen und sog mit tiefen Atemzügen die kräftige Waldluft ein, die, wie sie behauptete, auf der Stelle Lungen und Augen von dem Staube der verlassenen Hauptstadt reingewaschen habe. Ferber saß ihr sinnend gegenüber. Auch er erquickte sich an der Lieblichkeit und Anmut der Gegend; noch mehr aber bewegten ihn die leuchtenden Augen seines Kindes, das den Zauber einer schönen Natur so tief empfand, und das so unaussprechlich dankbar war für die neue Gestaltung der Verhältnisse … Wie hatte sie fleißig die kleinen Hände geführt, als endlich das heißersehnte Ernennungsdekret des Fürsten von L. erschienen war! Da gab es tüchtig zu schaffen. Alle Umzugssorgen der Eltern hatte sie treulich mit auf ihre Schultern genommen. Der Fürst hatte zwar dem neuen Diener ein anständiges Reisegeld bewilligt, und auch vom Försteronkel war eine Geldbeisteuer eingelaufen, allein das wollte trotz der ängstlichen Berechnung bei weitem nicht reichen, und deshalb beutete Elisabeth auch noch die wenigen Tagesstunden, die für ihre Erholung bestimmt waren, insofern aus, als sie Arbeiten für ein Weißwarengeschäft übernahm; ja manche Nacht, während die Eltern arglos schon daneben im Alkoven schliefen, durchwachte sie bei der Nadel.

      In all dies rege Streben und Schaffen war nur ein einziger bitterer Tropfen gefallen, der dem jungen Mädchen aber auch einige schwere Thränen entlockte: das war, als zwei Männer kamen und ihr liebes Klavier auf die Schultern luden, um es dem neuen Besitzer zu bringen. Es hatte für wenige Thaler verkauft werden müssen, weil es alt und gebrechlich war und voraussichtlich einen so weiten Transport nicht mehr aushalten konnte. Ach, das war ja immer ein so guter, alter Freund der Familie gewesen! Sein dünnes, zitterndes Stimmchen hatte Elisabeth so traut und lieb geklungen, wie die Stimme der Mutter! … Und nun fuhren vielleicht mutwillige Kinderhände gefühllos über die ehrwürdigen Tasten und quälten das alte Instrument, die schwache Stimme zu verstärken, bis es für immer schwieg … Doch der Schmerz war jetzt auch überwunden und lag hinter ihr, wie so manches, was sie schweigend entbehrt und geleistet hatte, und wie sie so dasaß, mit den fröhlich glänzenden Augen in die Morgendämmerung hineinblickend, als steige vor ihr aus dem grauen Schleier eine Prophezeiung voll künftigen Glückes, wer hätte da an der jugendlichen Gestalt voll Lebensfrische und Elastizität auch nur eine Spur der mühevollen letzten Wochen entdecken können?

      Noch ungefähr eine halbe Stunde fuhren die Reisenden die glatte, ebene Chaussee entlang, dann bogen sie seitwärts ab in den dunkeln Wald, durch den ein gutgehaltener Fahrweg lief. Die Sonne zeigte sich bereits in voller Pracht am Himmel und blickte verwundert lächelnd auf die Erde, die ohne Vorwissen ihrer hohen, leuchtenden Protektorin sich über Nacht einen prächtigen Brillantschmuck angeschafft hatte. Nach Mitternacht war ein starkes Gewitter über die Gegend gezogen; es hatte viel geregnet, noch hingen schwere Tropfen an Bäumen und Gesträuchen und fielen rauschend auf das Wagenverdeck, wenn der Postillon mit der Peitsche einen niederhängenden Ast berührte … Welch ein prächtiger Wald! Aus dichtem Unterholze stiegen die mächtigen Baumkolosse himmelan und verschlangen droben brüderlich ihre breiten, vollen Aeste, als gelte es, Licht und Luft wie zwei tödliche Feinde von der stillen, verschwiegenen Heimat abzuwehren. Nur manchmal schmuggelte sich ein feiner, grüngefärbter Sonnenstrahl von Ast zu Ast hinab auf die gefiederten Gräser und die kleinen Erdbeerblüten, die massenhaft, wie hingestreute Schneeflocken, den Boden bedeckten und ihre weißen Köpfchen vorwitzig an die Landstraße legten.

      Nach kurzer Fahrt lichteten


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