Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt
und Elisabeth hörte, wie eben der Onkel sagte. »Nun, wenn sich auf dem Berge kein Quartier für euch einrichten läßt, so bleibt ihr einstweilen droben in meiner Stube. Ich richte meinen Schreibtisch und meine sonstigen Habseligkeiten unten ein, und dann bombardiere ich die in der Stadt so lange, bis sie mir drüben auf den Seitenflügel ein neues Stockwerk setzen lassen.«
Elisabeth legte den Reisemantel ab und war der alten Sabine behilflich, den Kaffeetisch herzurichten. Auf die Glückseligkeit, die ihr ganzes Herz erfüllte, war soeben der erste Schatten gefallen. Mit Unfreundlichkeit war man ihr noch nie begegnet. Daß sie dies dem Liebreiz ihrer Gestalt, der Reinheit und Kindlichkeit ihres Wesens verdanke, deren Einflusse sich oft die rohesten Gemüter nicht zu entziehen vermögen, davon hatte sie keine Ahnung. Sie hatte das so hingenommen als eine Sache, die sich ganz von selbst verstehe, da sie es ja mit allen Menschen wohlmeine und nie sich eine Unhöflichkeit gestatte. Ihre Ueberraschung und Freude, ein junges Mädchen von gleichem Alter hier zu finden, waren zu groß gewesen, als daß ihr nun die Zurückweisung nicht doppelt weh thun sollte. Auch hatte das schöne Gesicht der Fremden ihr lebhaftes Interesse geweckt. Das Gemachte in der Erscheinung war ihr als solches durchaus nicht aufgefallen, da sie selbst das Verlangen gar nicht kannte, ihr Aeußeres durch besondere Hilfsmittel der Toilette zu heben. Die Eltern hatten ihr stets gesagt, sie möge ihren Geist bereichern, so viel sie könne, und sich bestreben immer besser zu werden, dann würde auch ihre äußere Erscheinung nie abstoßend sein, gleichviel welche Form die Natur verliehen habe.
Das Nachdenkliche in Elisabeths Zügen fiel der Mutter sogleich auf. Sie rief sie zu sich, und Elisabeth wollte ihr die Begegnung erzählen, aber schon nach den ersten Worten drehte sich der Oberförster nach ihr um. Eine tiefe Falte erschien zwischen den buschigen Augenbrauen und machte das Gesicht finster und grimmig.
»So,« sagte er, »hast du die schon gesehen? … Nun, dann will ich euch auch erzählen, wer und was sie ist. Ich habe sie vor mehreren Jahren in mein Haus genommen, um eine Stütze für Sabine im Hauswesen zu haben. Sie ist eine Verwandte meiner verstorbenen Frau und hat weder Eltern noch Geschwister. Ich wollte ein gutes Werk thun und habe mir damit eine Rute aufgebunden, die mich züchtigt, ohne daß ich gesündigt hätte … Schon in den ersten Wochen merkte ich, daß in dem Kopfe auch nicht ein gesunder Gedanke stecke … nichts als ein Wust von überspannten Ideen und ein unglaublicher Hochmut. Ich hatte nicht übel Lust, sie wieder dahin zu schicken, wo sie hergekommen, aber da lamentierte die Sabine und bat vor, obgleich sie am allerwenigsten Ursache dazu hatte; denn das junge Ding machte ihr schwer zu schaffen, war naseweis und kehrte bei jeder Gelegenheit die Verwandte des Herrn gegen die alte Dienerin heraus … Ich drückte ihr den Daumen aufs Auge, soviel ich konnte, und ließ sie tüchtig schaffen und arbeiten, um ihr den Hochmutsteufel auszutreiben, und da ging’s auch eine Zeitlang erträglich … Da lebt aber da drüben auf Lindhof – das ist die ehemals Gnadewitzsche Besitzung, die der Universalerbe an einen Herrn von Walde verkauft hat, – seit ungefähr einem Jahre eine Baronin Lessen. Der Besitzer selbst, der weder Frau noch Kinder hat, ist so eine Art Altertumsforscher, reist viel und läßt deshalb seine einzige unverheiratete Schwester durch die genannte Dame beschützen – Gott sei’s geklagt! denn seitdem ist alles dort auf den Kopf gestellt … Wenn mir früher gesagt wurde, das ist ein Frommer, da hatte ich Respekt und nahm meine Kappe ab; jetzt mache ich eine Faust und möchte am liebsten die Kappe über Augen und Ohren ziehen, denn die Welt hat sich verkehrt … Die Baronin Lessen gehört auch zu den Frommen, die vor lauter gottseligem Wandeln hart, grausam und engherzig werden, die denjenigen, der nicht immer die Augen heuchlerisch am Boden hat, sondern sie aufschlägt nach oben, wo er seinen Gott sucht, hartnäckiger verfolgen, als meine Meute das Wild … In dies Gehege ist denn nun meine vortreffliche Nichte auch geraten; ein besseres Feld für all das Unkraut in ihrem Kopfe konnte es nicht geben, und da haben wir denn nun auch die allerliebste Bescherung. Sie hatte mit einer Kammerjungfer da drüben Bekanntschaft gemacht und brachte ihre ganze freie Zeit dort zu. Anfangs hatte ich kein Arges, bis sie auf einmal mit Bekehrungsversuchen anfing … Da sollte die Sabine nicht fromm sein, weil sie nicht des Tages wenigstens zehnmal die dringende Arbeit stehen ließ, um zu beten … die arme Alte, die durch Wind und Wetter, oft schwer von Rheumatismus geplagt, jeden Sonntag nach Lindhof in die Kirche geht und ein arbeitsvolles, pflichtgetreues Leben hinter sich hat, ein Pfund, das eine lebenslängliche Knierutscherei bei Nichtsthun jedenfalls zehnmal aufwiegt … Auch an mich wagte sich die Moralpredigerin; aber da kam sie an den Rechten – sie hat es bei einem Versuche bewenden lassen. Ich verbot ihr nun den Umgang mit den Leuten auf Lindhof. Das hat mir freilich wenig geholfen; denn jeden unbewachten Moment hat sie benützt, um heimlicherweise hinüber zu schlüpfen … Von einer Dankbarkeit gegen mich, der ich für sie sorge, ist nicht die Rede, es fehlt jedes innere Band zwischen ihr und mir, und da ist es für mich doppelt schwer, sie zu hüten. Gott mag nun wissen, welche fixe Idee sie in ihrem Kopfe ausgebrütet hat, genug, seit ungefähr zwei Monaten ist sie vollständig stumm, aber nicht allein hier im Hause, sondern gegen alle Menschen. Seit der Zeit ist auch nicht ein Laut über ihre Lippen gekommen. Weder Strenge noch ruhiges Zureden richten etwas aus. Sie verrichtet ihre Geschäfte nach wie vor, ißt und trinkt wie jeder andere gesunde Mensch, und ist nicht um ein Jota weniger eitel als sonst. Weil sie aber ihre roten Backen verlor und blaß aussah, so befragte ich einen Arzt, der sie schon früher behandelt hatte. Der sagte mir, sie sei körperlich ganz gesund, scheine ihm aber eine höchst exaltierte Person zu sein, und da schon in ihrer Familie Fälle von Geistesstörungen vorgekommen seien, so möchten wir sie ruhig gewähren lassen. Sie würde mit der Zeit des Schweigens selbst überdrüssig werden und eines schönen Tages sprechen wie eine Elster … Nun meinetwegen, ich will’s drauf ankommen lassen; daß ich aber damit ein schweres Opfer bringe, das ist gewiß. Ich habe mein Lebtag keine sauertöpfische Miene um mich leiden mögen und will lieber Salz und Brot essen inmitten fröhlicher Gesichter, als die köstlichsten Leckerbissen bei Duckmäusern … Na, kleines Goldköpfchen,« wandte er sich an Elisabeth, indem er mit der Hand über die Stirn strich, als wolle er alle ärgerlichen Gedanken wegwischen, »schiebe dein Mütterlein fein säuberlich im Lehnstuhle hierher an den Tisch, binde dem kleinen Kerl da, der sich blind guckt an meinem Gewehrschranke, eine Serviette um den Hals, und nun wollen wir zusammen frühstücken. Dann mögt ihr Rast halten und die Glieder ein wenig ruhen lassen von der langen Reise. Nach Tische aber geht’s hinauf nach Schloß Gnadeck. Es wird gut thun, wenn ihr die Augen durch etwas Schlaf vorher stärkt, denn sie möchten Schaden leiden unter all dem Glanze, den wir da droben vorfinden werden.«
Nach dem Frühstücke, während Vater und Mutter schliefen, und der kleine Ernst in einem großen Bette von den Wunderdingen in der Forsthausstube träumte, packte Elisabeth das Nötigste in der Oberstube aus. Sie hätte um alles in der Welt nicht schlafen können. Immer wieder trat sie an das Fenster und blickte hinüber nach dem waldigen Berge, der hinter dem Forsthause emporstieg. Dort oben auf den Baumwipfeln erhob sich ein feiner schwarzer Strich und zeichnete sich scharf von dem tiefblauen Himmel ab. Das war, wie ihr die alte Sabine gesagt hatte, eine uralte Eisenstange auf dem Dache der Schlosses Gnadeck, von welcher in längst versunkenen Zeiten das stolze Banner der Gnadewitze geflattert hatte … Fand sich wohl hinter jenen Bäumen das seit Jahren heißersehnte Asyl, wo die Eltern ihre müden Füße ausruhen konnten vom mühsamen Wandern auf nicht heimischer Erde?
Auch in den Hof fielen ihre suchenden Blicke; aber das stumme Mädchen ließ sich nicht mehr sehen. Sie war auch nicht beim Frühstück erschienen und schien sich vorgenommen zu haben, jede Berührung mit den Gästen zu vermeiden. Das that Elisabeth leid. Die Schilderung des Onkels hatte zwar einer sehr unerquicklichen Eindruck auf sie gemacht, allein ein junges Gemüt gibt seine Illusionen nicht so leicht auf und läßt sich lieber durch das Zerspringen seiner bunten Seifenblasen enttäuschen, als durch die weisen Erfahrungen des Alters … Das schöne Mädchen, das sein Geheimnis so beharrlich hinter den Lippen verschloß, wurde ihr nun doppelt interessant, und sie erschöpfte sich in Vermutungen über den Grund dieses Schweigens.
4.
Nach dem Essen, das in heiterster Weise verflossen war, holte Sabine eine gestopfte Pfeife vom Eckbrette und brachte sie nebst einem brennenden Fidibus dem Oberförster. »Was fällt dir