Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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der Vetter starb, dem sie Hab und Gut verpfändet hatten. Und das war die Rettung des sinkenden Geschlechtes – der einzige Sohn des Freiherrn heiratete die einzige Tochter des Verstorbenen und mit ihr kamen alle Güter an das Schillingsche Haus zurück. Das geschah im Jahre 1860.

      In dieses rettende Jahr fiel aber auch ein Ereignis, das im Nachbarhaus« mit einem wahren Jubel begrüßt wurde. Durch mehrere Generationen hindurch hatte die Familie Wolfram immer nur auf zwei Augen gestanden; seit fünfzig Jahren aber war kein männlicher Erbe auf dem Klostergut geboren worden. Der Letzte des Stammes, der Rat und Oberbürgermeister der Stadt, Franz Wolfram, hatte sich infolgedessen zum finsteren wortkargen Eheherrn umgewandelt, dem der Groll sichtlich am Herzen nagte. Fünf Töchterlein hatten nacheinander das Licht der Welt erblickt, alle so »unausstehlich« flachshaarig wie die Mutter, alle mit der Neigung im kleinen, bangen Kerzen, sich vor dem gestrengen Vater in dunkle Winkel zu verkriechen, bis sie nach kurzem Dasein die hellockigen Köpfchen erlöst und friedfertig auf das weiße Kissen des Totenschreins betten durften... Die Frau Rätin waltete befangen und schweigend, wie eine Schuldbewußte, neben dem verbitterten Eheherrn; nur sein näherkommender Schritt jagte ihr stets die Flamme heftigen Erschreckens über das blasse Gesicht, sonst glich sie einem wandelnden Steinbild mit ihrem stillen, freud- und klaglosen Wesen.

      Und nun, sieben Jahre nach dem Tode ihres letzten Töchterleins, lag sie wieder droben in der Hinterstube, unter dem schneeweißen Betthimmel; draußen zogen schwere, dunkle Wolken vorüber, aber ein einzelner Sonnenblitz durchzuckte sie und spielte über der Stirne der blassen Dulderin.

      »Ein Sohn!« sagte feierlich die alte Wartfrau.

      »Ein Wolfram!« brach es wie ein Jubelschrei von den Lippen des Rates. Er warf zwei Goldstücke in das Bad, das die braunen Glieder des Kindes benetzte, dann trat er an das Bett und küßte zum erstenmal nach zwanzigjähriger Ehe die Hand der Frau, die seinem Sohne das Leben gegeben.

      Dann kam ein Tag, wie ihn das Klostergut wohl noch nicht gesehen hatte.

      Es war nicht die Art der Wolframs, mit Hab und Gut zu prunken; sie entzogen im Gegenteil ihre Silber- und Leinenschätze, das Familiengeschmeide, die alten, kostbaren Weine in ihren Kellern sorgfältig der Öffentlichkeit – ihnen genügte es, sich im Besitze zu wissen; in den Nachmittags- und Abendstunden jenes Tages indessen breitete sich in der sogenannten großen Stube, dem ehemaligen Refektorium der Mönche, der öffentlich verleugnete Glanz des Hauses in seinem ganzen Umfang aus. Auf der mächtigen, damastgedeckten Speisetafel funkelte das Jahrhunderte hindurch aufgespeicherte Silbergerät, die Schalen und Schüsseln, Kannen und schlanken Becher, die riesigen Salzfässer und rings an den braunen, holzgeschnitzten Wänden vielarmige Leuchter, alles gediegen, in herrlich getriebener Arbeit. Und in der kleineren Stube nebenan stand der Tauftisch. Die Wolframs waren keine Blumenfreunde; nie hatte sich ein Blumentopf auf den Fenstersimsen breitmachen dürfen, und im Obst- und Gemüsegarten hinter den Wirtschaftsgebäuden blühten kaum einige wilde Rosensträucher, die sich freiwillig angesiedelt, in den Ecken, – heute aber umstand eine duftende, den Treibhäusern der Stadt entliehene Orangerie den weißbehangenen Tisch mit dem Taufgerät; den Täufling umrauschte das alte Familienerbstück, eine Taufschleppe von dickem, apfelgrünem Atlas, und auf dem dunkelhaarigen Köpfchen saß die dazu gehörige altfränkische Mütze mit einer kaffeegelben Mechelner Spitzengarnitur und Stickereien von indischen Staubperlen.

      Die alte Wartfrau saß derweil droben in der Wochenstube am Bett und erzählte der Frau Rätin von der Pracht drunten, von der stolzen Gevatterschaft in Samt und Seide, von dem Weine, den man wie Gewürz durchs ganze Haus röche, und daß das »Ratssöhnchen« wie ein Prinz unter Rosen- und Myrtenbäumen getauft worden sei.

      Das vergrämte Gesicht der Wöchnerin lächelte in bitterer Wehmut; ihren kleinen Mädchen hatte die grüne Taufschleppe nicht gebührt – sie war von der Urahne nur für die männlichen Nachkommen gestiftet worden –, es hatten auch keine Rosen und Myrten um das Taufbecken gestanden, und der Silberschatz des Hauses war unter seinen schützenden Lederdecken verblieben... Auf den Wangen der blassen Frau begannen auch Rosen aufzublühen, dunkle Fieberrosen, und während drunten die Gläser klangen zum Wohl und Gedeihen des heißersehnten Stammhalters, teilten sich droben die weißen Bettvorhänge, und fünf Kinder schlüpften herein – sie waren alle da bei der Mutter, die kleinen Mädchen, und sie herzte sie heiß, inbrünstig und spielte mit ihnen Tag und Nacht in sel'ger Mutterlust, und die Ärzte standen ratlos um die unaufhörlich flüsternde Frau, bis sie mit müdem, seligem Lächeln den Kopf in das Kissen drückte und einschlief für immer. – – – –

      Ihr Heimgang hinterließ keine bemerkenswerte Lücke. Der kleine Veit hatte eine Amme, und wenige Stunden nach dem letzten Atemzuge der Hausfrau kam die Schwester des Rates, die schöne, bitterernste Frau, aus ihrem Wohngelaß im oberen Stockwerk herab, um die Schlüssel und mit ihnen die Leitung des verwaisten Hauswesens zu übernehmen.

      Sie war eine echte Wolfram in ihrem ganzen Tun und Wesen, wie in der äußeren Erscheinung, an der sechsundvierzig Lebensjahre fast spurlos vorübergeglitten waren. Nur einmal in ihrem Leben hatte sie die Leidenschaft über die anerzogenen strengen Grundsätze siegen lassen, und das war ihr »folgerichtig« zum Unheil ausgeschlagen. Sie war neben dem Rat die einzige Miterbin des Wolframschen Besitztums und dabei ein selten schönes Mädchen gewesen. Im Schillingshofe hatte man das Nachbarkind wie eine eigene Tochter gehätschelt, und dort hatte sie auch den Major Lucian aus Königsberg kennen gelernt, mit dem sie sich auch verheiratete, allen Ermahnungen des Bruders, ja, der eigenen inneren Warnstimme zum Trotz... Und sie hatten in der Tat zusammengepaßt wie Wasser und Feuer, die herbe, in ihre Familientraditionen verbissene Wolframsnatur und der elegante, leichtlebige Offizier. Sie hatte darauf bestanden, ihn in ihre Lebensgewohnheiten zu zwingen, und er war »dem Spießbürgertum« mit scharfem Spott entschlüpft, wo er nur konnte. Das hatte zu bösen Auseinandersetzungen geführt, und eines Abends war die Majorin, ihr fünfjähriges Söhnchen an der Hand, aus Königsberg zurückgekehrt – sie war heimlich abgereist, um fortan auf dem Klostergut zu bleiben...

      Der kleine Felix hatte den Kopf in ihren Reisemantel gedrückt, als sie ihn an jenem Abend durch ihr Vaterhaus geführt. Die Treppe, die in die verlassene Stille der oberen Stockwerke führte, mit ihrem fratzenhaft geschnitzten Geländer und ihren kreischenden Stufen voll ausgetretener Astknorren, die lagernde Dämmerung in den klaftertiefen Türbogen, und in den Schiebefenstern die bleigefaßten, glanzlosen Scheiben, an denen aufgescheuchte Nachtmotten lautlos taumelten, und durch die das Abendsonnenlicht gelb und träge wie Öl auf das zersprungene Estrich des Vorsaales floß – das war dem Knaben spukhaft erschienen, wie das Menschenfresserhaus im Walde ... Und das schlanke, feingliedrige Kind in seinem blauen Samtröckchen, seinem glänzenden, goldgelben Gelock war auch wie verirrt gekommen – sie bringe ihm einen buntscheckigen Kolibri in das alte Falkennest, hatte ihr Bruder, der Rat, finster und mit scheelem Blick gesagt.

      Fremden Blutes war und blieb der kleine Entführte auch. Die kühle Luft des Klostergutes blies ihm umsonst gegen die Idealgestalten in Kopf und Herzen – er war eine poetische, warmblütige Natur wie sein Vater ... Der verlassene Mann in Königsberg hatte übrigens alles aufgeboten, seinen Knaben wieder in die Hand zu bekommen; allein an der juristischen Meisterschaft des Herrn Rat Wolfram waren alle Versuche gescheitert – die geschiedene Frau war im Besitz des Kindes verblieben. Infolgedessen hatte Major Lucian seinen Abschied genommen; er war aus Königsberg verschwunden und nie hatte man erfahren, wohin er sich gewendet.

      Seitdem bewohnte die Majorin wieder, wie in ihren Mädchenjahren, das große, nach der Straße gelegene Giebelzimmer. Sie paßte mit Leib und Seele zwischen diese einfach gestrichenen Wände, vor deren tief eingelassenen Schränken breite, braungebeizte Flügeltüren lagen; sie saß wie vordem auf dem steiflehnigen Lederstuhl in der tiefen Fensterecke und schlief hinter dem dickfaltigen härenen Türvorhang der anstoßenden Kammer, zu welchem einst ihre Großmutter die groben Fäden eigenhändig gesponnen... Den Schillingshof aber hatte sie nie wieder betreten – sie floh jede Erinnerung an ihren geschiedenen Mann, wie einen mörderischen Feind. Der kleine Felix dagegen war sehr bald heimisch drüben geworden. Der einzige Sohn des Freiherrn Klafft von Schilling war sein Altersgenosse. Beide Knaben hatten sich vom ersten Augenblick an zärtlich geliebt, und die Majorin war mit diesem Verkehr einverstanden gewesen, jedoch nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ihr Kind


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