Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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ihre Stellung nicht – sie war sorgfältig frisiert und sehr gut gekleidet, wenn auch der schöne Fuß im festen Lederstiefel steckte, und eine breite blauleinene Küchenschürze augenblicklich das elegant sitzende Kleid umhüllte.

      »Da iß, Kind,« sagte sie und reichte dem kleinen Mädchen des Dieners ein Stück Kuchen aus dem Fliegenschranke.

      Die Kleine wandte mit finsteren Augen den Kopf weg und wehrte die Gabe ab.

      »Die nimmt nichts, Frau Majorin,« sagte ihr Vater weich. »Sie hat heute noch keinen Bissen gegessen – sie kann's nicht sehen, wenn die Leute nicht gut mit mir sind, und heute hat ja das Quälen und Zanken den ganzen Tag nicht aufgehört ... Herr Lucian, ich habe viel ertragen in der letzten Zeit. Der gnädige Herr bleibt dabei, die Sache sei nicht mit rechten Dingen zugegangen, er habe irgend einen ›falschen Christen‹ in seinem Hause, der gehorcht und geklatscht hätte, und weil ich, wie die Herren beisammen saßen, ein paarmal mit Wein ab- und zugegangen bin, da fällt nun auf mich armen Kerl der Verdacht ... Das ewige Sticheln Hab' ich geduldig verbissen, ich wollte ja mein Brot nicht verlieren, Hannchens wegen« – er strich mit der Linken zärtlich über die dicken Haarflechten des Kindes – »aber seit gestern, wo die Leute von nichts anderem sprechen als von dem großen Glück, das der Herr Rat mit seinem Unternehmen hat – es sollen ja Kohlen sein, so gut wie die besten englischen – da kennt sich der gnädige Herr nicht mehr vor Wut und Ärger. Ich wollte nun den Herrn Rat noch einmal ganz gehorsamst bitten, daß er's meinem Herrn begreiflich macht –«

      »Das geht nicht, Adam – so viel sollten Sie sich selbst sagen,« unterbrach ihn die Majorin kurz. »Mein Bruder wird sich schwerlich herbeilassen, den Leuten auch noch gütlich zuzusprechen, die ihn heimlich anstünden, weil er ebenso gescheit gewesen ist, wie sie ... Das schlagen Sie sich aus dem Sinn – sehen Sie zu, wie Sie sich selbst heraushelfen.«

      Der Mann biß die Zähne zusammen –er kämpfte schwer mit seiner Erbitterung. »Hätt' es freilich wissen sollen,« sagte er achselzuckend mit einem tiefen Seufzer; »zwischen zwei großen Herren fällt so eine armselige Bedientenehre allemal auf den Boden. Da bleibt einem armen Teufel, wie mir, ja wirklich nichts anderes mehr übrig, als – ins Wasser zu gehen!« fuhr es ihm verzweiflungsvoll heraus.

      »Ach nein, das tust du nicht, Vater! Gelt, das tust du nicht?« schrie das kleine Mädchen auf.

      »Reden Sie doch nicht so gotteslästerlich, Mann!« schalt die Majorin streng und entrüstet.

      Felix aber nahm den Kopf des Kindes, das in ein unaufhaltsames Weinen ausbrach, sanft zwischen seine Hände: »Sei still, Herzchen,« beruhigte er, »das tut dein Vater nicht, dazu ist er viel zu brav. Ich will in den Schillingshof gehen und mit dem alten Herrn sprechen, wenn Sie es wünschen, Adam.«

      »Ach nein, ich danke Ihnen, Herr Referendar!« versetzte der Mann – »ich weiß, Sie meinen es gut mit mir; aber das macht Ihnen nur Ungelegenheiten, und mir hilft es doch nichts.« Er grüßte, schlang den Arm um sein kleines Mädchen und führte es nach der Haustüre. »Komm her, wir gehen zu deiner Großmutter.«

      »Ja, Vater,« sagte das Kind, augenblicklich sein Schluchzen niederkämpfend: »aber du bleibst auch dort, gelt? Du gehst nicht fort in der Nacht, Vater?«

      »Nein, mein gutes Hannchen.«

      Sie gingen durch den Hof, und der Puter lief wieder auf das Rotröckchen zu; aber die Kleine beachtete ihn nicht; ihre Füßchen suchten Schritt mit dem Vater zu halten, wobei sie weit vorgebogen ihm beweglich unter das Gesicht sah – sie traute seiner mechanisch gesprochenen Versicherung nicht. »Ich schlafe die ganze Nacht nicht, paß auf!« drohte sie mit ihrem angstbebenden Stimmchen.– »Ich sehe es, wenn du fortgehst!« – Und als die Hoftüre längst hinter ihnen zugefallen war, da hörte man noch über die Mauer her die unsäglich angstvolle, kindliche Drohung: »Ich schlafe nicht–ich laufe dir nach, wenn du fortgehst, Vater!«

      3.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Majorin kehrte mit einem Achselzucken an den Küchentisch zurück. »Mit dieser Art von Leuten ist nicht viel anzufangen – sie sind gleich außer Rand und Band,« sagte sie gelassen wie immer.

      »Nun, den möchte ich doch sehen, der sein inneres Gleichgewicht behält, wenn er ungerecht beschuldigt wird und darüber auch noch sein Brot verliert!« rief ihr Sohn tief erregt. »Sei nicht böse, Mama – aber auf dem Klostergute werden seit Jahrhunderten nur reiche, kluge Leute geboren – kein warmblütiges Menschenherz!«

      »Wir backen ,seit Jahrhunderten' wöchentlich sechs Armenbrote, mag das Korn geraten oder nicht,« entgegnete sie, ohne auch nur eine Miene ihres ernsten Gesichtes zu verziehen. »Wir unterstützen auch vielfach auf andere Weise, wenn wir das auch nicht an die große Glocke schlagen. Aber wir sind bedächtiger Natur und rennen nicht mit jedem Kopf, der obenaus will ... Du bist allerdings nicht auf dem Klostergute geboren –« die gelassene, gleichmütige Stimme konnte sehr spitz werden – »du bist auch so ein neumodischer Brausekopf, der den einen in den Himmel hebt und dabei das gute Recht eines anderen zertritt ... Meinst du wirklich, der Onkel solle öffentlich erklären, daß er um ›das Geheimnis‹ des Herrn von Schilling nicht gewußt hat?«

      »Das durchaus nicht, aber –«

      »Es würde auch dem wunderlichen Menschen, dem Adam, nichts nützen, so wenig wie dem alten Mann im Schillingshofe zu helfen ist,« fiel sie ihm in das Wort. »Die ,brillante' Heirat hat die verpfändeten Güter nicht so unbedingt an die Familie wieder zurückgebracht. Der Vormund der jungen Frau, ein schlauer Fuchs, hat einen Ehekontrakt aufgestellt, der den Schillings sehr viel zu wünschen übrig lassen soll – daher die grimmige Laune, die der Alte drüben nun an der Dienerschaft ausläßt.«

      »Der arme, alte Papa Schilling!« rief Felix bedauernd. »Da mag er freilich tief erbittert sein und um den gescheiterten Plan doppelt grollen – der Kohlenfund hätte ihm jedenfalls wieder zu eigenem Vermögen verholfen. Er tut mir unsäglich leid – er büßt doch zumeist für die Sünden seiner Vorfahren.«

      Die Majorin räusperte sich vernehmlich – sie wußte es jedenfalls besser –, aber sie erwiderte kein Wort; sie widersprach nur, wenn sie im eigenen Interesse mußte, dann aber auch energisch. Während ihr Sohn einigemal mit raschen Schritten den Hausflur durchmaß, schälte sie eine frische Gurke zum Salat.

      »Wunderbar aber ist und bleibt es, daß zwei Köpfe fast zur selben Stunde den gleichen Gedanken hegen, einen Schatz zu heben, an dem alle Vorfahren und sie selbst so lange Zeit ahnungslos vorübergegangen sind!« sagte der junge Mann nach einem augenblicklichen Schweigen gespannt und trat wieder auf die Schwelle der Küchentüre.

      »Hm – ich frage den Onkel sehr selten und lege mir alle Vorkommnisse selbst zurecht,« entgegnete seine Mutter, ohne von ihrer Beschäftigung wegzusehen. »Der Onkel wird schon längst ebenso klug gewesen sein, wie der Herr Ingenieur; aber er hat wohl die Unruhe und das Risiko des Unternehmens gescheut ... Nun ist der kleine Veit nachgekommen – die Wolframs blühen wieder auf, und da wird jeder neue Erwerb zur Pflicht.«

      »Mein Gott, soll denn dieses fieberhafte Erwerben bis in Ewigkeit fortgehen, Mama? Ich sollte doch meinen, deine Familie hätte längst übergenug!«

      Die Majorin fuhr wie entsetzt herum, und ein langer, unwillig überraschter Blick maß strafend den Sohn – es glimmte doch auch nicht ein Funke des Wolframschen Familiengeistes in ihm! »Übergenug haben!« Den vermessenen Gedanken hatte man auf dem Klostergute noch nicht gedacht, geschweige denn laut werden lassen – wie den Schlafwandelnden, so schreckt ja ein unbesonnener Anruf das scheue Glück vom Wege und macht es stürzen. –

      »Über die Vermögensverhältnisse spricht man in unserer Familie nicht, das merke dir!« wies sie ihn scharf und schneidend zurecht. Sie drehte an einem Hahn über dem Spültisch und ließ sich das frische Brunnenwasser über die Hände laufen. »Dein spätes Mittagsbrot ist fertig – gehe in die Stube, ich komme gleich nach!« sagte sie kurz über die Schulter.

      Das war ein


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