DER ZAR. Ted Bell

DER ZAR - Ted  Bell


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Hawke und sah sich um, als erfreue er sich an dem schönen Tag. Der Motorradfahrer trug typische Inselkleidung: Jeans, Biker-Stiefel und ein zu großes Trikothemd mit dem aufgedruckten Gesicht des äthiopischen Regenten Haile Selassie. Er war schwer mit goldenen Halsketten behangen und trug eine klobige Armbanduhr, die relativ glaubwürdig nach Edelmetall aussah.

      Der Kerl machte einen recht jungen Eindruck – Hawke schätzte ihn auf 25 – und war gebaut wie ein veritabler Preisboxer, der auch nach langer Zeit noch regelmäßig an einem Sandsack oder im Ring trainierte. Entweder vertickte er Drogen oder arbeitete für jemanden, der viel Geld für gewalttätige Gefälligkeiten zahlte.

      »Ich sagte guten Morgen«, wiederholte Hawke und machte einen weiteren Schritt vorwärts.

      Der junge Mann antwortete nicht, sondern lehnte sich auf dem Sattel zurück und zog langsam seinen Helm aus, wobei er mit dem Kopf wackelte. Mit einem Mal rutschten Dreadlocks unter dem schwarzen Metall hervor auf seine Schultern. Dann lächelte er. Sein Gebiss bestand ohne Ausnahme aus Goldzähnen.

      »Du hast einen miesen Fahrer, Bruder. Das mein ich echt ernst, der ist voll gefährlich, ey.«

      »Wie heißen Sie?«

      »Wie ich heiße? Desmond. Versuch nicht noch mal, mich so abzuschütteln, Bruder. Das funzt nicht. Ich häng an dir wie 'ne Klette.«

      »Na, na, aus welchem Grund tust du das, Desmond?«, fragte Hawke weiter, packte den Lenker mit rechts und drehte das Vorderrad so, dass der Kerl nicht ohne Weiteres wegfahren konnte.

      »Flossen von meinem Bike, Bruder!«

      »Wer bezahlt dich dafür, dass du mich beschattest?«

      »Ich mach nur 'ne Spazierfahrt. Ist voll schön heute Morgen, siehst du ja selbst. Warum regst du dich so auf? Kommt doch nur darauf an, ein bisschen Spaß zu haben, oder? Wie gesagt, nimm deine Griffel von der Maschine, oder du verlierst sie.«

      »Wie das?«

      Daraufhin hob Desmond sein Trikot hoch, um Hawke eine Hippe zum Schneiden von Zuckerrohr zu zeigen, die in einem Futteral an seinem breiten Ledergürtel steckte. Die Klinge sah aus wie eine abgesägte Machete und war an beiden Seiten rasiermesserscharf.

      »Desmond, pass mal gut auf: Ich möchte, dass du wendest und dich dorthin verziehst, woher du gekommen bist. Sag deinem Auftraggeber, dass es eine sehr schlechte Idee ist, mir zu folgen. Ich halte große Stücke auf meine Privatsphäre und bin hier, um entspannt Urlaub zu machen. Sollte mir jemand diese Auszeit vermiesen, wird er es bereuen. Kapierst du das? Verstehen wir uns?«

      Der Jamaikaner spuckte in den Sand und schaute Hawke mit funkelnden, geröteten Augen an. Es war klar, dass er nach Strich und Faden bekifft war. Er schwieg allerdings, bleckte nur wieder seine Goldzähne und griff nach der Hippe.

      Was dann geschah, war so schnell vorbei, dass er es kaum realisierte. Hawke hatte eines seiner Handgelenke festgehalten und ihn somit handlungsunfähig gemacht, noch bevor er das Heft der Waffe berühren konnte.

      »Ich breche dir die Hand, Desmond, glaub mir«, drohte Hawke. »Momentan drücke ich genau aufs Kahnbein, den kleinen Handwurzelknochen unten am Daumenansatz. Der ist am empfindlichsten und schmerzt auch am heftigsten.«

      »Vergiss es, Bruder, das bringst du nie fertig.«

      »Ach nein? Wer gibt dir Geld dafür, mir hinterherzufahren?«

      »Du kannst mich mal, Bruder.«

      »Gleich hier?«

      Wieder spuckte der junge Mann aus und verfehlte knapp Hawkes linken Fuß.

      »Letzte Chance.«

      Er starrte weiterhin finster drein und schwieg, obwohl ihm der Druck auf seine Hand sichtlich zusetzte.

      »Die Spritztouren kannst du nun für längere Zeit vergessen, Desmond«, meinte Hawke, während er das Gelenk gekonnt brach. Ein gequältes Heulen war die Antwort.

      Seine nächste Bewegung war wieder blitzschnell, und zwar zum Zündschalter auf dem Benzintank. Im Nu hatte er den Schlüssel herausgenommen und ihn in ein Gebüsch am Hang neben der Straße geworfen.

      »Was zum … Scheiße, Bruder, jetzt muss ich …«

      »Desmond, du hast nicht das Zeug hierzu. Jemanden zu überwachen erfordert äußerstes Geschick. Geh lieber wieder Gras verkaufen. Straßendealer haben eine erheblich höhere Lebenserwartung als Typen, die so leichtsinnig sind, sich mit mir anzulegen.«

      Damit wandte sich Hawke von ihm ab und überquerte die unbefestigte Fahrbahn. Er stieg wieder in den Wagen, woraufhin Stubbs wendete und zur South Road zurückkehrte. Desmond blieb auf der Maschine hocken, weil er sich nicht die Blöße geben wollte, vor dem Weißen nach seinem Schlüssel zu suchen.

      »Haben Sie seine Goldzähne gesehen, Sir?«, fragte der Chauffeur mit neuerlichem Blick in den Rückspiegel, während er darauf wartete, sich im Verkehr der Hauptstraße einzuordnen.

      »Die waren schwer zu übersehen.«

      »Judas Jünger. Das ist ihr Markenzeichen, sie lassen sich alle Zähne ziehen und Gold implantieren. Diese Rastafari-Sekte siedelte vor vielen Jahren aus den Blue Mountains von Jamaika über, um auf den hiesigen Bananenplantagen zu arbeiten. Die Mitglieder gerieten auf die schiefe Bahn: Rauschmittel, Sir. Kokain, Marihuana, Heroin … die Jünger liefern, was das Herz begehrt. Ihr Anführer heißt Samuel Coale und wird King Coale genannt. Er wurde vor einiger Zeit in die USA ausgewiesen. Wie man hört, verweilt er aber wieder auf der Insel. Der Junge, mit dem Sie gerade zu tun hatten …«

      »Ja?«

      »Nannte er seinen Namen?«

      »Desmond.«

      »Dachte ich mir doch, dass er es war. Er ist der Lieblingssohn, King Coales Zögling. Nennt sich selbst Prinz der Finsternis. Seine Graffiti sieht man überall in den Slums auf Saint David's Island.«

      »Er ist Kampfsportler, nicht wahr? Boxer?«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Man sieht ihm das an.«

      »Stimmt. In Jamaika trat er unter dem Namen Prince an. Er schlug sich bis zur Spitze durch und gewann das Golden-Gloves-Turnier der Karibik, wodurch er in die jamaikanische Olympia-Boxmannschaft gelangte. Bei den Spielen in Athen 2004 holte er Gold.«

      »Sieht so aus, als ob es danach steil bergab mit ihm ging.«

      »Er konnte nicht mit dem Erfolg umgehen, Sir. Der Ruhm stieg ihm in seinem jugendlichen Eifer zu Kopf, machte ihn überheblich.«

      »Wo finde ich seinen Vater, diesen King Coale?«

      »Schwer zu sagen, Sir. Diese Typen ziehen sehr oft um. Gerüchte besagen, dass sie ein Lager vor der Küste haben, und zwar auf Nonsuch Island nicht weit entfernt von Saint David's. Das ist illegal, weil es sich um ein Naturschutzgebiet für Wildtiere handelt. So erzählt man es sich aber.«

      »Wie weit ist es noch bis zum Naval Dockyard?«

      »Wir sind in 20 Minuten da, Sir.«

      »Schaffen Sie es auch in zehn?«

      »Ich werde es gerne versuchen, Sir.« Damit zog Stubbs ein rotes Blinklicht aus dem Handschuhfach und befestigte es auf dem Armaturenbrett.

      Hawke ließ sich in den Rücksitz sacken und schaute aus dem Fenster, wobei ihn seine Gedanken geradewegs zu Anastasia Korsakowa führten. Sie hatte ihn an jenem Morgen in aller Früh angerufen. Er war noch im Halbschlaf zur Hausbar gewankt und hatte blind nach dem Telefon getastet. Vage erinnerte er sich, ein Treffen für 17 Uhr in ihrem Haus verabredet zu haben. Nun spürte er zusehends, wie ihm die friedliche Ruhe abhandenkam. Die schönen Tage der Glückseligkeit schienen wegen Truloves Plänen und infolge des Auftritts der lieblichen Miss Korsakowa gezählt zu sein.

      »Heiliger Boden zu Ihrer Rechten, Sir«, sagte Stubbs Wooten zehn Minuten später, womit sich Hawkes Tagtraum verflüchtigte.

      Sie näherten sich


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