Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen. Sophus Ruge
aber die innere Wahrheit und Wahrscheinlichkeit für ihn.
Vasco da Gama.
Wie weit die Differenzen unter den einzelnen Berichten über Gama’s erste Fahrt gehen, erhellt schon daraus, daß sie nur in einem Tages-Datum, nämlich in der Ankunft am Flusse Dos Reis, am heiligen Dreikönigstage 1498 zusammen stimmen. Correa setzt die Abfahrt der Flotte von Lissabon auf den 25. März 1497, Barros auf den 8. Juli, Osorio auf den 9. Juli. Correa nennt die Schiffe S. Rafael (Capitän Vasco da Gama), S. Gabriel, (Paulo da Gama), S. Michael, (Nicol. Coelho). Barros versetzt den ersten Capitän auf den Gabriel, seinen Bruder Paulo auf den Rafael, und nennt das Schiff Coelho’s Berrio.
Bei der Benennung neuentdeckter Küstenpunkte mußte dem Hauptschiffe, auf welchem Vasco da Gama befehligte, naturgemäß der Vorrang eingeräumt werden. Mustern wir nun einige der bedeutendsten Weltkarten des 16. Jahrhunderts, die Karten Cabots und des Königs Heinrich II. von Frankreich (Jomard, Monuments de la géographie), so treffen wir die Namen Gabriel und Berrio gar nicht; Rafael erscheint auf Heinrichs II. Karte zweimal, ein Rio de S. Miguel bei Cabot. Ferner zeigt die Baseler Ausgabe des Ptolemäus, 1513, einen padrão de S. Rafael, und auch Ortelius (Theatrum mundi) bietet uns die Namen Rafaels und Michaels. Dadurch wird die Existenz dieser Schiffsnamen bestätigt, und wenn alle Autoren in der Angabe des Namens Gabriel übereinstimmen, muß wohl der Name „Berrio“, den Barros angibt, falsch sein. Stanley (l. c. p. V.) führt nach einem weiteren Beweis an, daß das Hauptschiff den Namen Rafael führte. Nach dem glänzenden Verlauf der ersten Reise wurde Vasco da Gama zum Grafen von Vidigueira in Alemtejo erhoben. Vor dieser kleinen Stadt befindet sich eine Capelle des heil. Rafael mit dem Bilde des Erzengels, dem das Schiff geweiht war.
Der Oberbefehlshaber erhielt Empfehlungsschreiben an den Priester Johannes, an den Beherrscher von Kalikut und an andere Fürsten Indiens. Die ganze Bemannung zählte nach Barros 170 Köpfe, während Correa sagt, in jedem Schiffe seien 80 Personen gewesen. Nach Osorio und Goes zogen 148 Mann aus und kehrten nur 55 wieder zurück. Ueber die Canarien gelangte das kleine Geschwader, nachdem es schon am Rio d’Ouro durch Sturm getrennt war, zu den Capverden und blieb einige Tage in St. Jago. Hier trennte sich Bartolomeu Dias, welcher sie bis dahin begleitet hatte, von ihnen und steuerte nach seinem Bestimmungsorte, nach La Mina an der Guineaküste. Gama richtete, das afrikanische Gestade verlassend, seinen Cours direct nach dem Caplande.
Der Wind war sehr heftig, erzählt Correa, so daß die See einen furchtbaren Anblick gewährte; unter den rastlosen Arbeiten während dieser Stürme litt das Volk sehr. Nachdem sie so einen Monat gesegelt waren, wandten sie sich wieder der Küste zu, in der Hoffnung, das Cap zu erreichen. Aber viel zu zeitig. Es sollten noch Monate vergehen, ehe sie das Südende des Continents umfahren konnten. Alle Historiker stimmen darin überein, daß die Fahrt mindestens 4 Monate währte, Correa setzt sogar volle 6 Monate an. So ging’s also wieder in die offene See hinaus, obwohl schon damals die Mannschaft lieber wieder umgekehrt wäre. Gama selbst theilte mit ihnen alle Arbeiten und Mühen und gönnte sich keinen Schlaf. Die Tage wurden immer kürzer, denn man fuhr in den südlichen Winter hinein. Es schien fast immer Nacht zu sein. Die Leute wurden krank vor Furcht und Mühsal, sie konnten nicht einmal ihr Essen bereiten. Sie begannen zu murren und wollten umkehren; aber Gama wies sie, als ein leidenschaftlicher Mann, mit scharfen Worten zur Ruhe, obwohl er sah, daß man in beständiger Lebensgefahr schwebte. Und wenn auch die Mannschaft unter den kalten Regenschauern fast erstarrte, so schwur doch der Capitän, es möge kommen, was Gott wolle, umkehren werde er nicht.
Erst in der Nähe des Landes wurde die See ruhiger. Um die Polhöhe am festen Lande zu bestimmen, ging das Geschwader in der St. Helenabai vor Anker. Da die Seeleute mit dem Gebrauche des Astrolabiums noch nicht lange vertraut waren, vermochten sie an Bord der kleinen Schiffe wegen der Schwankungen der Fahrzeuge noch keine sichern Bestimmungen zu machen. Das Beobachtungsinstrument hatte 3 Palmen im Durchmesser und ruhte auf einem dreifüßigen hölzernen Gestell. Wahrscheinlich war es hier, wo das begleitende (vierte) Proviantschiff entleert und in Brand gesteckt wurde, nachdem die Mannschaft auf die andern Schiffe vertheilt war.[85]
In einem mehrtägigen Sturme dublirten sie endlich das gefürchtete Cap, Stürme verfolgten sie auch auf der weiteren Fahrt. Sturzseen brachen von oben herein, das Wasser im Schiffsraume stieg immer höher. Sie hatten keine Ruhe, weder bei Tage noch bei Nacht, weder für die Seele noch für den Leib. Aber Gama schwur hoch und theuer, er werde keinen Fuß breit zurückgehen, bis er Indien erreicht. Bei dieser verzweifelten Lage wuchs die Mißstimmung unter der Bemannung immer mehr und gestaltete sich zu einer Verschwörung: man wolle sich nicht blindlings ins Verderben jagen lassen, Er sei nur Einer, sie aber seien Viele. Durch einen Schiffsjungen verrathen, wurde der Plan, den Capitän zu beseitigen, vereitelt. Gama brachte die Verschworenen mit List in seine Gewalt und ließ sie in Ketten werfen. Vor Wuth soll er sogar alle nautischen Bücher über Bord geworfen und erklärt haben: nun möchten sie versuchen, ohne Steuermann und Pilot den Rückweg zu finden. Denn die Capitäne und Steuerleute hielten alle treu zum Führer.
Erst im Anfang Januar 1498 näherten sie sich wieder dem Lande. Die Schiffe bedurften einer Reparatur, an Trinkwasser trat ein fühlbarer Mangel ein, manche Fässer waren in den unaufhörlichen Stürmen geborsten und ausgelaufen. Aber sie segelten noch mehrere Tage, ehe sie einen günstigen Ankerplatz fanden. Am 6. Januar liefen sie in die bequeme Mündung eines Flusses ein, der nach dem Tage Rio des Reyes, Drei-Königsfluß, genannt wurde. Der Wasserplatz, an welchem Gama fünf Tage verweilte, wurde wegen des friedlichen Benehmens der Bewohner Agua da boa Paz genannt. Beim Weitersegeln hatten sie vom Cap Corrientes (Cabo das Corrientes) tagelang mit der heftigen Mosambikströmung zu kämpfen und mußten darum weiter von der Küste abhalten, um nicht gegen gefährliche Klippen getrieben zu werden. In Folge dessen segelten sie an dem in der innern Bucht des Landes gelegenen Sofala vorüber und erreichten nur mühsam die Mündung des Sambesi. Dieser mächtigste Strom erhielt den Namen Rio dos bons Sinaes (Strom der guten Anzeichen), denn hier trafen sie zuerst mit hellfarbigen Mischlingen zusammen, die des Arabischen mächtig waren, und ihnen mittheilten, daß weiter nordwärts eine belebte Schifffahrt getrieben werde. Man hatte hier also die Sphäre des arabischen Handelsverkehrs erreicht und konnte hoffnungsvoll dem glücklichen Erfolg des kühnen Seezuges entgegensehen. Theils um die Schiffe auszubessern, theils um der erschöpften und am Scharbock leidenden Mannschaft Erholung und Erfrischung zu bieten, blieb Gama einen vollen Monat hier. Dort wurde ein Wappenstein errichtet mit der Inschrift: Do Senhorio de Portugal Reino de Christaõs. Dann stach Gama wieder in See und erreichte bald die Insel und den Hafenplatz Mosambik. Mehrere Sambuken, mit arabisch gekleideten Leuten bemannt, kamen heran und erkundigten sich nach Herkunft und Ziel der fremdartigen Flotille. Gama ließ ihnen antworten, sie seien Portugiesen, welche im Auftrage ihres Königs nach Indien führen und, da sie den Weg noch nicht gemacht hätten, um einige Lotsen bäten.
Anfänglich schien es, als ob der Verkehr sich ganz friedlich gestalten wolle. Der Scheich des Hafens stand unter der Botmäßigkeit des arabischen Fürsten von Kiloa. Die Araber hatten den sicheren Stapelplatz auf der Mosambik-Insel gewählt, um von hier aus lebhaften Handel mit den Negern zu treiben und Gold, Elfenbein, Wachs u. a. einzutauschen. Nachdem Gama dem Scheich mehre Geschenke gesendet, kam dieser selbst an Bord, in faltenreicher, farbiger Tracht, das dunkle Gesicht von einem mächtigen, buntseidenen Turban beschattet. Unter seinem Gefolge befanden sich viele Mischlinge. Nach einem ehrenvollen Empfange von Seiten der Capitäne nahm der Scheich alles neue auf den Schiffen in Augenschein und ließ sich vermittelst eines Dolmetschers von dem Flottenführer noch einmal erzählen, daß sie von dem mächtigsten Könige der Christenheit abgesandt, bereits zwei Jahre auf der stürmischen See umhergeworfen und von ihren Gefährten getrennt nunmehr dem Lande der Gewürze zusteuerten und, des Weges unkundig, um zuverlässige Piloten bäten. Bald nachdem der Scheich zurückgekehrt war und frische Lebensmittel für die Portugiesen gesandt hatte, erschienen auch drei Habessinier, mit denen aber die Verständigung nur unvollkommen gelang. Werthvoller war der Verkehr mit einem Mauren, Namens Davané, welcher sich bereit finden ließ, die Schiffe nach Indien zu begleiten. Inzwischen änderte sich aber die günstige Stimmung am Lande. Die Araber schöpften wegen der Herkunft und Zwecke der Fremdlinge Verdacht oder wurden wegen ihres