Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker) - Robert Kraft


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du willst wohl gar Goliaths Posten übernehmen?«

      »Ja, wenn Herr Kapitän erlauben,« platzte Hans heraus.

      Ich wunderte mich nicht wenig, ob dieser seltsamen Neigung. Ich hatte den siebzehnjährigen Menschen auf Empfehlung eines anderen als Leichtmatrosen gemustert, der einzige, der sich an Bord befand, und obgleich er seine letzte Reise noch als Schiffsjunge gemacht hatte, war er doch ein so tüchtiger Kerl, daß ich ihn nach den ersten drei Monaten zum Vollmatrosen ernannt hatte.

      Doch wie es an Bord so ist, während dieser einen Reise bleibt der Avancierte für seine Kameraden noch immer der Leichtmatrose, wird ja auch tatsächlich als solcher verwendet, muß hauptsächlich die Royal bedienen, die oberste Rahe, und dann hatte ich schon früher erwähnt, daß er allgemein ›der Page‹ genannt wurde.

      Da hatte Hans ja nun allerdings auch einen ganz treffenden Spitznamen bekommen. Das war auch weniger eine spottende Ironie, als ich anfangs vermutet hatte.

      Der Junge, der Sohn eines kleinen Beamten aus dem Binnenlande, unten aus dem Brandenburgischen, hatte tatsächlich etwas Ritterliches an sich. Es war eine schlanke, famos gewachsene Gestalt, die durch schwere Arbeit noch nicht verdorben worden war, er hielt viel auf sein Aeußeres, putzte sich sogar gern, auch bei der Arbeit, d. h., kam fast nach jeder Freiwache mit frischwaschener Kleidung an Deck, trug gern eine bunte Schärpe und dergleichen, und auch an Land wollte er immer den Kavalier spielen, steckte wohl den Seemann heraus, machte aber eher den Eindruck eines Kadetten, selbst sein etwas breitbeiniger, schaukelnder Gang war dann immer noch wahrhaft elegant zu nennen.

      Ich wußte alles dies zu würdigen, ich hatte den Burschen mit den hübschen, ehrlichen Zügen tatsächlich in mein Herz geschlossen, obgleich er mir sonst noch nicht durch irgend etwas Besonderes nahegetreten war.

      Zu meiner Hochachtung als Vorgesetzter gehörte natürlich, daß er auch in der Takelage und sonst bei der Schiffsarbeit seinen ganzen Mann stand, und das war eben bei Hans der Fall, und infolgedessen stand er auch bei seinen älteren Kameraden in Achtung, und wiederum infolgedessen konnte der Spitzname ›Page‹ auch kein spöttischer sein.

      Nein, die Matrosen hatten ganz richtig herausgefühlt. Das war noch kein ganzer Ritter, sondern erst ein halber, ein zukünftiger – und nun eben dieses hübsche, schlanke, adrette Kerlchen, das zum Zweikampf wegen irgendeiner Meinungsverschiedenheit, wie es nun einmal an Bord zugeht, unverzagt auch dem herkulischsten Matrosen gegenübertrat, sich von ihm verboxen ließ, dann ihm aber die Hand schüttelte und nichts von Nachtragen wußte —jawohl, das war eben bei uns an Bord der ritterliche Page, einen besseren Namen hätte er gar nicht bekommen können.

      Und nun meldete sich dieses fixe Kerlchen, das in der Takelage stets der erste sein mußte und es auch wirklich war, zu solch einem Frauendienste! Allerdings ganz einem Pagen entsprechend, aber … ich hatte schon daran gedacht, daß hierfür überhaupt kein Matrose in Betracht kommen könne, so ein Seebär war fähig, mir gleich den ganzen Bettel vor die Füße zu werfen, da mußte ich einen Mann wohl zwischen den Heizern und Kohlenziehern suchen, die weniger empfindlich im Punkte ihrer Seemannsehre sind — und am allerletzten hätte ich Hans so etwas anzubieten gewagt.

      »Du machst wohl nur Spaß, Hans?«

      »Nein, Herr Kapitän, wenn ich darf – ich dachte — die Lady wird nicht so leicht einen bekommen … «

      Na, wenn er wollte, mir war’s ganz recht. Dann wurde er eben wirklich ein Page, so ein Frauenlakai – dann würde er aber noch manches von seinen Kameraden zu hören bekommen.

      Also Hans kam achterraus, half Blodwen mit, die Körner zerquetschen, reinigte die Vogelbauer und flöhte Affen.

      Im übrigen hatte ich damals den Kopf viel zu sehr voll anderer Gedanken, um mich weiter groß darum zu kümmern.

      Daß der Junge einen so roten Kopf bekommen hatte, als er stotternd mit seinem Vorliegen herausrückte, das schrieb ich eben dem Umstande zu, weil er sich selbst bewußt war, daß solche Arbeit nicht recht zur Seemannschaft passe. Aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich – – basta!

      Nach alledem, was ich hier angeführt habe, brauchte ich wohl kaum noch zu sagen, daß mir nicht der geringste Gedanke aufstieg, der irgendwelche Aehnlichkeit mit Eifersucht hatte. So etwas fiel mir ja gar nicht im Traume ein.

      Nun, ich sollte erst später erkennen, was für eine Bewandtnis dies alles hatte. – – –

      Ueber meine sechzehn menschlichen Mißgeburten und Raritäten habe ich nur wenig zu sagen.

      Wir hatten die erste Zeit nach der Abfahrt schweres Wetter gehabt, sie waren samt und sonders seekrank geworden, mindestens vier Tage lang, und dann war es gegangen, wie es immer geht.

      Nach Ueberstehen der Krankheit fühlt sich jeder Mensch wie neugeboren, da kommt plötzlich ein Appetit, von dem man vorher noch gar nichts gewußt hat, und da sagt auch die zarteste Dame, und mag die See auch noch so brüllen und das Schiff auch noch so schlingern und stampfen: ›Ach wenn es doch immer so bliebe! Könnte ich doch immer so auf einem Schiffe leben, nur immer essen, essen, essen!!‹

      Das war also auch bei meinen Passagieren der Fall, besonders zarte Damen waren nicht einmal darunter, dazu nun die vorhergegangene endlose Zecherei, ein dementsprechender Kater, der ebenfalls erst überstanden sein wollte, ich sorgte unterwegs für immer neue kleine Festlichkeiten – – kurz, wir bekamen nach achtzehntägiger, ausgezeichneter Fahrt schon die Leuchtturminsel von Legala in Sicht, und diese Leutchen hatten noch nicht einmal richtig die Frage aufgeworfen, was sie eigentlich an Bord oder wohin sie sollten, und meine Ahnung, daß Karlemann sie zu behandeln wisse, wenn der sie erst einmal zwischen seinen Fingern hatte, sollte sich denn auch später bestätigen.

      WAS DOKTOR SELO HINTERLASSEN HAT.

       Inhaltsverzeichnis

      Aber so weit sind wir noch nicht.

      Es war am elften Tage, als wir im Sargassomeer wieder die erste schwimmende Seetangwiese passierten.

      Ich hatte während der ganzen Reise für die Maschine noch keine einzige Schaufel Kohlen verbraucht, es war auch jetzt noch nicht nötig, der Wind hätte gar nicht so günstig zu sein brauchen. Ein am Bug mit einer Stange postierter Mann genügte, das Schiff von Zeit zu Zeit von dem sich aufhäufenden Seetang zu befreien.

      Für meine sechzehn Passagiere war der Anblick dieser sich unabsehbar erstreckenden Wiese nun wieder so etwas, was alles andere vergessen ließ, der Cowboy, ein schrecklich unwissender Mensch, spähte schon nach Rindern und Pferden, für welche dieses vermeintliche Land, ob es nun schwämme oder nicht, doch den herrlichsten Weidegrund abgäbe, so äußerte jeder seine Ansicht, und demselben Zauber, den dieses frische Grün ausübt, das da auf dem Meere schwimmt, verfällt ja auch jeder Seemann immer von neuem, mag er die Fucusbank noch so oft gesehen haben.

      Auch die neben mir stehende Blodwen erging sich in Entzücken über den Anblick, und da fiel ihr eine Frage ein, die eigentlich schon längst sehr nahe gelegen hätte.

      Es war überhaupt verschiedenes vergessen worden, was nicht gerade mit unserer Pflicht zusammenhing. Vom ersten Tage an, nachdem ich die sechs Messer in Auftrag gegeben hatte, waren wir doch ausschließlich mit dem Auftreiben von menschlichen und tierischen Mißgeburten und anderen Schauobjekten beschäftigt gewesen, und da hatte sich eben an Bord ein solch tolles Leben entwickelt, wie ich zum Teil ausführlich geschildert habe, und die Folge davon war, daß Blodwen und ich total unsere Absicht vergessen hatten, das Haus der alten Großmutter in der Lostreet zu besichtigen, nach jenem Briefe der Lady Stanhope zu forschen.

      Nevermind – das hatte für mich nur ein historisches Interesse gehabt, ich glaubte nicht an solche Geisterschätze, so wenig wie an mein Goldwrack und an meine Perlmutterinsel, obgleich ich selbst bei Gelegenheit allen Ernstes davon erzählen konnte. Das sind eben solche Seemannsmärlein, entsprechend dem Jägerlatein, ohne welches ein echter Jünger des heiligen Nimrod doch nicht denkbar ist.

      Nun


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