Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
seinen Lebenslauf. Er war ein Aschanti, in früher Jugend als Sklave nach Nordamerika gekommen, zu einem guten Herrn, der seine Fähigkeiten erkannte, ihn zum Missionar ausbildete, oder mehr als Schulmeister, der unter seinen heidnischen Stammesgenossen dann wirken sollte. Hatte damit wenig Glück gehabt. Nun, aber einmal hier, blieb er auch, übernahm diese Stelle, wo er in philosophischer Ruhe lebte. Als Gehilfen hatte er noch einen jüngeren Neger. Von seinem pedantischen Schulmeistertone war ihm noch viel geblieben.
Um den Felsenberg herumgekommen, erblickte man auf der Ostseite den durch die Risse führenden Wasserweg, und man glaubte erst nicht anders, als hier läge ein Werk von Menschenhand vor.
Links und rechts spritzte das Wasser zwischen einzeln liegenden, spitzen Riffen empor, und in der Mitte eine ganz glatte Wasserstraße, etwa sechs Meter breit, begrenzt von zusammenhängenden, zwei Meter hohen Wällen, welche die stärkste Brandung abhielten.
Hineinsegeln konnte man freilich nicht. Es wurden zwei Taue ausgefahren, nach jedem Wall eins, und zwei der Jungen genügten, die Riffbarrieren als festen Weg benutzend, um das leichte Fahrzeug fortzuziehen.
Die Wasserstraße verengte sich nach hinten etwas, kurz vor der hohen Felswand, die hier einen tiefen Einschnitt zeigte, war sie nur noch vier Meter breit, dann befand sich die Jacht in einer Felsenschlucht, deren Wände glatt und senkrecht emporstiegen, das Schiffchen konnte mit angestemmten Stangen fortgeschoben werden, und dann eröffnete sich vor den erstaunten Augen ein großartiges Naturgebilde.
Es war ein trichterförmiger Kessel, an der Basis, also unten an der Wasseroberfläche, ungefähr fünfundzwanzig Meter im Durchmesser, und ringsherum stiegen die dreißig Meter hohen Felswände schräg empor, aber nicht glatt, sondern terrassenförmig, in Absätzen immer Galerien bildend, und zwar zählte man deren vier. Die fünfte war dann der Rand des eigentlichen Plateaus, die erste lag zweiundeinenhalben Meter über dem Wasserspiegel.
»Ist das ausgemeißelt?« fragte Karlemann.
Nein, und jetzt nahm der Alte seinen Schulmeisterton an:
»Sie sehen hier den Krater eines ehemaligen Vulkans, und das Innere von Vulkanen zeigt sehr häufig solche Bildung von Galerien. Das hängt mit den periodischen Ausbrüchen zusammen, jeder unterirdische Ausbruch bildet solch einen Absatz oder eine Galerie. Trotzdem besteht dieser ganze Berg ausschließlich aus Muschelkalk, von der Härte drei. Ein feuerspeiender Berg aus weichem Muschelkalk, das werden Sie wohl noch nicht gehört haben nicht wahr?«
Und der Alte fuhr fort zu erklären, wie durch eine Eruption der Meeresboden gehoben worden war, so dieses Kalkplateau entstehen lassend, während die feurigen Lavamassen durchbrachen, sich dort durch die Schlucht ergossen und zu jenen Riffen und Barren erstarrten.
Karlemann hatte sehr aufmerksam zugehört.
»Kommen denn jetzt noch Erdbeben vor?«
»O nein, Erdbeben sind in dieser Gegend ganz unbekannt, das hat sich alles in prähistorischer Zeit abgespielt,« entgegnete der gebildete schwarze Schulmeister ohne Stiefel, gab der Jacht am Ende der Schlucht noch einen Stoß, daß sie bis nach einer Stelle des Kesselrandes fuhr, wo die unterste Galerie etwas niedriger war. Er mußte von dem Deck noch einige Fuß tief hinabspringen und schlang dann ein am Vorderteil der Jacht befestigtes Tau um einen großen, mit dem Boden verwachsenen Felsblock.
Dieser war die Anlegestelle auch für das Boot, hier lehnte eine lange Bambusleiter, welche bis zur nächsten Galerie reichte.
»Sie können mir unbesorgt direkt folgen, die Leiter trägt drei schwere Männer auf einmal,« sagte der Alte, als er den Aufstieg begann.
Karlemann hieß seine Jungen warten und folgte.
Es war nur diese einzige Leiter vorhanden, sie mußte also jedesmal wieder heraufgezogen und neu angesetzt werden, und so primitiv war es hier mit allem und jedem, die Bewohner des Leuchtturmes hatten auch gar nichts getan, um ihren Aufenthalt sich hier zu erleichtern.
»Gibt es hier keine Winde?« fragte Karlemann unterwegs.
»Nein.«
»Wie sind denn die Bausteine hinaufgeschafft worden?«
»Bausteine? Die sind oben aus dem Felsen herausgebrochen worden, wodurch eine Zisterne gebildet ist, in der wir das Regenwasser sammeln.«
»Und was Ihr sonst braucht, wie wird das hinausbefördert?«
»Nun, auf der Leiter, das muß auf dem Rückm getragen werden.«
Auch nicht ein einziges Eisen war in den Felsen getrieben, um etwa einen Strick anbinden zu können.
»Ha, wenn diese Felseninsel erst mir gehört, da soll es bald anders hier aussehen,« murmelte Karlemann, ungehört von dem Alten.
Sie hatten das Plateau erreicht. Es war eben ein flaches Plateau, etwa zweihundert Meter lang und ebenso breit. Nach Westen und nach der Mitte zu senkte es sich etwas, und eben dadurch mußte jeder tropische Regenguß alles fortspülen, sich bildendes Erdreich wie auch jedes Vogelnest.
Auf der nordöstlichen Seite stand der nur niedrige Leuchtturm, daneben befand sich ein tiefes Loch, in dem das Regenwasser gesammelt wurde.
Man hatte von hier aus eine herrliche Aussicht auf die afrikanische Küste, welche hier auch einen echt exotischen Charakter zeigte; der Urwald schien dicht bis an das Meer heranzutreten, und dort in einer Bucht lag auch die Hafenstadt Legala, freilich wohl mehr ein Hüttendorf, der Hafen nur von Negerbooten belebt, immerhin ein reizendes Bild.
Doch dem allen widmete Karlemann gar kein Interesse, ebensowenig dem Leuchtturm selbst. Er schritt das ganze Plateau ab, manchmal stehen bleibend und mit seinem Schiffsmesser in dem ziemlich weichen Stein kratzend, trat bis dicht an den Rand heran und blickte schwindelfrei in die furchtbare Tiefe hinab, wo es kochte und spritzte, nur nicht dicht an den Felsenmauern selbst.
»Alles wie für meine Zwecke geschaffen,« sagte er, als er zurückgekehrt war, »diese Felseninsel werde ich mir kaufen.
Der Alte machte ein ebenso ungläubiges wie niedergeschlagenes Gesicht.
»Herr, das ist wohl nicht angängig.«
»Warum nicht?«
»Weil – weil – auch die Engländer haben diese Insel schon immer gern haben wollen, aber das ist königliches Eigentum … «
»Ich weiß alles, was Ihr sagen wollt. Aber bei mir ist das etwas ganz anderes. Ihr seid wohl mehr um Eure Stellung besorgt. Nun, wenn ich mit Euch zufrieden bin, könnt Ihr ja bleiben. Wieviel bekommt Ihr?«
»Im Jahre zwanzig Dollar, zehn Yard Leinewand … «
»Bah, da würdet Ihr Euch bei mir besser stehen. Es ist ganz windstill geworden. Schade! Ich wäre gern nach Legala gesegelt, um gleich alles in Ordnung zu bringen. Na, da will ich mir erst einmal die Galerien ansehen.«
Und der seltsame Junge, der diese sonst unantastbare Insel schon als sein Eigentum betrachtete, verließ das Plateau wieder, schritt eine der Galerien nach der anderen ab, immer rings um den Trichter marschierend, natürlich aber stets vor der Schlucht, welche die Einfahrt bildete, umkehren müssend, immer wieder einmal mit dem Messer in die Kalkwände kratzend, immer dabei zufrieden mit dem Kopfe nickend.
Dann wurde er von einem merkwürdigen Anblick gefesselt. Das Wasser in der Kesselbucht war so klar, daß man schon von Bord aus den etwa zehn Meter tiefen Grund hatte deutlich erkennen können, und je höher man steht, desto durchsichtiger scheint bekanntlich das Wasser zu werden.
In der Bucht befand sich ein Haifisch von wenigstens neun Meter Länge, also eines der riesigsten Exemplare seines Geschlechts; denn der größte Menschenhai, der je gefangen worden ist, maß 10,2 Meter.
Der ›Knipperdolling‹ war schon oft von Haifischen umschwärmt worden, aber solch ein Ungetüm war noch nicht darunter gewesen. Es sah eben, besonders von hier oben, ganz merkwürdig aus, wie sich das Ungeheuer, fast so lang wie die Jacht, spielend leicht in der engen Bucht umherbewegte, sich auf den Rücken wälzte, wie ein Pfeil hin und her schoß.
»Das