Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
dein Denkerhaupt getrüffelt.«
»Weshalb denn? Das Geld ist doch da.«
»Welches Geld?«
»Na, dein Geld – 31 000 Pfund. Du kannst es noch heute erheben.«
»Was, dieses Geld wäre da?«
»Na, sonst hätte ich doch … «
Ich blickte erst einmal zurück. Da sehe ich hinter mir die Bootsflagge halbstock wehen! Sie war heruntergerutscht, keiner der Matrosen, die auch recht in finstere Gedanken versunken zu sein schienen, hatte mich darauf aufmerksam gemacht.
Ja, so hatte Blodwen aber doch glauben müssen ihre Rente wäre ihr eben nicht nachgeschickt worden! Und nun diese ungeheure Lustigkeit, die unmöglich erkünstelt sein konnte, keine Aehnlichkeit mit Galgenhumor hatte? Nun reime sich das jemand zusammen!
Ich befand mich an Deck.
»Hurra, Richard, ich werde steckbrieflich verfolgt!!« jubelte Blodwen und schwenkte einen blauen Wisch »Was sagst du da?!«
»Hier, lies nur!«
Steckbrieflich verfolgt wurde sie nicht, das war Uebertreibung. Es war eine gerichtliche Vorladung, und zwar vom … englischen Schwurgericht!
»Blodwen, was hast du denn verbrochen?!« rief ich erschrocken.
Hätte sie nicht gleichzeitig einen Brief von ihrem ehemaligen vertrauten Diener David erhalten, sie hätte es selbst nicht gewußt.
Sie hatte vor einem halben Jahre einer Kammerzofe eine Vase an den Kopf geworfen. So etwas war ja bei Blodwen öfters vorgekommen. Das Mädchen wurde mit einem anständigen Schmerzensgeld entlassen, damit war die Sache wie gewöhnlich erledigt.
Jetzt sollte sich noch nachträglich eine Gehirnerschütterung herausgestellt haben, das Mädchen lag im Hospital, und es war noch nicht mündig, die Eltern hatten gegen Lady Leytenstone Strafantrag gestellt, die Zeugen waren schon vernommen worden — schwere Körperverletzung, fertig war die Staatsanwaltsache!
»Das ist ja Unsinn, das ist nichts weiter als eine abgekartete Geschichte, man will mich eben zurück nach England haben,« lachte Blodwen in heiterstem Tone.
»Ja freilich, das schreibt ja auch hier David, er hat so etwas munkeln hören, das Weibsbild ist bestochen worden, freilich kann er nichts beweisen. Aber warum faßt du denn das humoristisch auf?«
»Na, warum denn nicht? Ich amüsiere mich über die Experimente, die dort drüben aufgestellt werden, um mir meine Rente nach dem Ausland vorzuenthalten. Diesmal habe ich sie noch bekommen, das nächstemal nicht. So denken wenigsten die. Die glauben doch nicht, daß ich mich wirklich stelle.«
»Blodwen, du willst dich dem Staatsanwalt stellen?« rief ich erschrocken.
»Na, warum denn nicht?« wiederholte sie lustig.
»Schlimm kann die Sache doch nicht werden, und … «
Sie wurde ernst.
»Laß uns in die Kajüte gehen, Richard.«
Ich folgte ihr.
»So, hier sind wir ungestört. Und wenn ich nun nicht gehe?«
»So wird hinter dir ein Verhaftungsbefehl erlassen.«
»Und was weiter?«
»Handelt es sich um eine Polizeistrafe oder um ein anderes Gericht, so könnte die Sache zum Beispiel gleich hier abgemacht werden, also vor englischen Behörden. Aber wenn du vors Schwurgericht sollst, mußt du auch nach London.«
»Und die Verhaftung?«
»Die kann in jeder englischen Kolonie und in jedem englischen Hafen erfolgen.«
»Nicht an Bord des Schiffes?«
»Wenn die englische Flagge darauf weht, erst recht, dann sogar überall in der Welt. Das ist doch wieder die Geschichte mit dem englischen Boden, dagegen gäbe es ein sehr einfaches Mittel.«
»Welches?«
»Das Schiff wird einfach auf eine andere Nationalflagge umgeschrieben.«
»Geht denn das?«
»Natürlich! Das dauert nur eine Stunde – das heißt von hier aus, weil ich erst hinfahren muß – an Ort und Stelle dauert es nur fünf Minuten. Das kommt fortwährend vor. Bedenke doch nur, ein englisches Schiff sucht Ladung, endlich findet es einen Frachtherrn, der braucht das Schiff sofort, aber aus irgendeinem Grunde will er es unter deutscher Flagge segeln haben – schwubb, wird das Schiff umgeschrieben. Wenn es eine Viertelstunde später in See geht, muß schon die deutsche Flagge darauf wehen. Der ganze Seehandel ist doch auch so eine Art von Börsengeschäft, da sind von Minuten Millionen abhängig – Minuten, die man dem Konkurrenten zuvorkommen muß. Und das kostet nur ein paar Pfund.«
»Und das würdest du tun?«
»Na, warum denn nicht? Das ist doch ganz ehrenwert. Und ganz besonders, wenn es dich zu schützen gilt.«
»Und gesetzt nun den Fall, wir fahren unter dem Sternenbanner – dann kann ich von England aus nicht mehr verhaftet werden?«
»I Gott bewahre! Soll dann einmal ein englischer Beamter mein Schiff betreten! Und wenn’s der Oberstaatsanwalt selber ist, oder der Prinz von Wales – der fliegt über Bord – und dann verklage ich ihn noch, daß er meiner Aufforderung, mein Schiff zu verlassen, nicht nachgekommen ist. Nur wegen Mordes wird ausgeliefert – aber wegen einfachen Totschlages auch noch nicht.«
Blodwen machte ein unbeschreibliches Gesicht.
»Na, wenn’s so ist – dann gehe ich natürlich auch nicht nach England.«
»Wenn du dich aber nicht stellst, wird natürlich dein Vermögen gesperrt – also auch die Nutznießung, dir werden keine Zinsen mehr nachgeschickt.«
»Na, dann eben nicht!« erklang es heiter zurück.
Nun sollte ein Mensch aus diesem Frauenzimmer klug werden! »Du wunderst dich,« fuhr sie schon von selbst fort, »daß ich das jetzt so gleichmütig auffasse? Verstehst du denn den gewaltigen Unterschied nicht? Bisher war ich deshalb so furchtbar erregt, weil man mir ohne Recht mein Vermögen und sogar die Zinsen vorenthalten wollte. Das war Vergewaltigung. Nun aber wäre es tatsächlich meine Pflicht, mich dem Gericht zu stellen, und tue ich das nicht, so sind die auch im Recht, mir mein Vermögen vorzuenthalten, das ganze Geld zu sperren. Da bin ich nun ganz ruhig darüber. Begreifst du den Unterschied nicht?«
Er mag nicht so leicht zu begreifen sein, aber ich konnte es. Sie hatte recht, und dennoch – es war einfach toll!
Acht Wochen jammert sie, stellt sich wie rasend, falls man ihr die eine Rente nicht nachschicken sollte, und jetzt verzichtet sie mit lachendem Munde einfach auf alles!
Nur noch einmal fuhr sie mit blitzendem Auge empor. Es war, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
»Aber denke nicht etwa, daß ich auf meine Ansprüche verzichte!«
»I Gott bewahre!«
»Das Erbe meines Vaters ist und bleibt mein Eigentum, das ich noch dereinst zurückfordern werde!!«
»Selbstverständlich!«
Nach dieser meiner Zustimmung, die auch aus ehrlichstem Herzen kam, war sie wieder wie verwandelt. Und plötzlich sank sie vor mir, der ich auf einem Stuhle saß, auf die Knie nieder, umschlang meine Füße und blickte tränenden Auges zu mir empor.
»Um Gottes willen, Blodwen, was hast du?« rief ich erschrocken.
»Verzeihe mir, Richard, ach, verzeihe mir!« erklang es unter herzzerreißendem Schluchzen.
»Aber was denn nur, Blodwen?« wurde ich immer bestürzter.
»Ich war immer so garstig gegen dich.«
»Aber,