Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
verteilen gedachte, rangmäßig, mit den 50 000 würde ich in Schiffsfrachten spekulieren.
Wie ich das noch sagte, dachte ich an die 10 000 Pfund, die ich ja in Banknoten eingesteckt hatte, griff in die linke Brusttasche, wurde etwas verdutzt, weil diese leer war, entsann mich aber auch gleich, daß ich ja die Jacke gewechselt hatte.
»Bernhard,« wandte ich mich an den Steward, der eben den Tisch abräumte, »wo ist meine Jacke, die ich dorthin gelegt hatte?«
»Die habe ich in des Herrn Kapitäns Kabine in den Kleiderschrank gehängt.«
»So, es ist gut,« sagte ich und begann mich mit Blodwen darüber zu unterhalten, was für eine Bewandtnis es mit dem Dokument wohl haben könne, wer der geheimnisvolle Unbekannte sei usw.
An die 10 000 Pfund dachte ich also schon gar nicht mehr. Man muß die Bordverhältnisse kennen, um diese meine Sorglosigkeit zu begreifen, wozu nun auch noch mein ganzer Charakter kam.
»Hat denn Doktor Selo sich bemüht, das Dokument zu entziffern?« fragte Blodwen. »Er sagte doch, er verstände sich auf solche Geheimschriften.«
»Nur einmal fragte ich ihn deswegen, da konnte er noch gar nichts sagen. Ja, wo bleibt der denn eigentlich?«
Denn fünf Minuten waren unterdessen schon vergangen, und wenn der Kapitän etwas befiehlt oder nur wünscht, so muß an Bord natürlich mit langen Beinen gesprungen werden, und wenn der erste Offizier gerade in der Badewanne sitzt, und der Kapitän will ihn sprechen, so gibt es nicht erst ein Abtrocknen, sondern der Badende hängt einfach den Bademantel um und erscheint mit eingeseiften Haaren.
Da der Steward nicht gerade in der Kajüte war, ging ich gleich selbst. Die Kabine des Arztes lag, wie alle anderen, außer unserer, in einem der beiden Korridore, welche die Kajüte seitwärts begrenzten.
Ich trat ein. Selo stand vor seinem Pult, wühlte zwischen den Papieren.
»Na, wo bleibt denn das Pergament?«
»Ich kann es gar nicht finden, ich hatte es doch hierherein …«
»Nicht finden? Was soll das heißen? Nun aber etwas holla, sonst können Sie mich auch einmal von einer anderen Seite … «
Trampelnde Schritte, schreiende Stimmen, und dann ein heftiger Ruck mit knirschenden Planken.
Ich stürzte nach oben. Ein neben uns liegendes Schiff hatte sich von den Ankern gelöst, war ins Treiben gekommen, hatte uns gerammt. Hatte nicht viel zu sagen, ging alles gut ab. Nur zuletzt blieben wir noch mit den Klüverbäumen hängen, verstrickten uns mit dem Tauwerk, eine Stunde hatten wir doch kräftig zu tun. Dann verging auch noch einige Zeit, bis alles klar war, daß ich wieder an den Schiffsarzt denken konnte.
»Wo ist Doktor Selo?«
»Ich habe ihn noch nicht wieder gesehen,« entgegneten der Steward wie Blodwen.
»Hole ihn!«
Des Schiffsarztes Kabine sei verschlossen. Beim Anklopfen keine Antwort, also sei Doktor Selo auch nicht darin.
»Ja, wo ist er denn sonst?«
Der Steward und Goliath, der auch so eine Art von Steward machte, suchten ihn – vergebens. Und das war bei einem Schiffsarzt auffällig. Ein Matrose kann sich wohl leicht im Schiffe verkrümeln, er braucht nur einen ihm befreundeten Heizer zwischen den Kohlen aufzusuchen, aber des Arztes Revier ist doch nur ein beschränktes.
Urlaub hatte ich meinen Leuten noch nicht gegeben, und daß sich etwa der Schiffsarzt im Hafen nach Belieben entfernen könne, davon war gar keine Rede, dazu mußte er doch auch ein Boot benutzen, und außerdem sollte er mir doch das Pergament bringen.
In diesem Augenblick erinnerte ich mich, wie der Doktor vorhin, als ich ihn nach dem Pergamente gefragt, die Farbe gewechselt hatte! Jetzt also fiel mir ein, daß dies tatsächlich geschehen war! Und da kam mir schon eine Ahnung!
Alle Mann antreten zur Musterung!!!
Die Bootsmannspfeife schrillte es in alle Luken hinein, und es gab keinen Platz im Schiffe, wo dieses Pfeifen nicht gehört worden wäre.
Alle waren vorhanden, nur der Schiffsarzt nicht.
Niemand hatte ihn gesehen.
Vielleicht befand er sich doch noch in seiner Kabine, zu der selbstverständlich ein zweiter Schlüssel vorhanden war.
Die Petroleumlampe war ausgedreht. Ich brannte sie an. Da stand mitten in der Kabine ein offener Koffer, alles durchwühlt, herausgerissen. Nun wurde mir meine Ahnung zur Gewißheit.
»Blodwen, der Kerl ist uns mit dem Pergament durch die Lappen gegangen, der will sich die Million selber verdienen!!«
»Kann er denn das?«
Hier halfen keine Erwägungen, auch nicht, auf welche Weise der Mann an Land gekommen war, »Er hat gehört, daß ich für Deponierung des Pergaments 50 000 Pfund erhalten soll und er riskiert’s, vielleicht hat er die Geheimschrift auch schon entziffert und weiß, wohin er sich zu wenden hat, und für eine Million kann man schon eine Viertelstunde schwimmen – jetzt sofort zur Polizei und alles alarmieren!!«
Ich befand mich in Hemdsärmeln. Also in meine Kajüte und in den Kleiderspmd gegriffen. Ich erwischte gerade die Jacke, die ich angehabt, als ich heute das erstemal an Land gewesen.
Da dachte ich an meine 10 000 Pfund, griff in die Brusttasche – leer!!
Jetzt durchzuckte mich doch ein gelinder Schreck. Ich wollte es nicht glauben – jawohl, das war die linke Tasche, und sie war wirklich leer. War das auch die betreffende Jacke? Gewiß; denn in der anderen Tasche befanden sich auch noch die Papiere, die ich damals gebraucht hatte.
Ein zweiter Schreck durchzuckte mich. Schnell noch einmal alles durchsucht – es nützte nichts, es wurde mir zur Gewißheit.
»Blodwen, der Spitzbube hat auch noch meine 10 000 Pfund mitgehen heißen!!«
Blodwen wollte es erst nicht glauben. Warum gerade Doktor Selo? Es gab doch noch andere Menschen an Bord.
Da kam sie aber bei mir schön an. Doch ich lachte sie nur aus.
Wenn die 10 000 Pfund gestohlen worden waren, dann doch nur von dem, der schon Ursache hatte, sich überhaupt von Bord zu entfernen. Und Selo hatte gehört, wie ich 10 000 Pfund bei mir gehabt, daß der Steward die Jacke in meinen Kleiderspind gehängt hatte usw., und meine Kabine war wie immer unverschlossen gewesen. Sollte ich auch auf den Gedanken gekommen sein, daß mich einer meiner Leute bestehlen könnte!
Also schnell ans Land gerudert, zur nächsten Polizeiwache gelaufen und die Geschichte gemeldet, das Signalement des Flüchtlings abgegeben usw. Auf der Polizei schien man schon etwas von der Behandlung zu wissen, die ich dem Sheriff und seinen Begleitern hatte zuteil werden lassen, den Ausgang hinwiederum schien man noch nicht zu kennen; denn man war nicht gerade freundlich gegen mich, und ich klärte nicht auf. Daß trotzdem sofort pflichtschuldigst alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um nach dem Flüchtling zu fahnden, war selbstverständlich.
Dann erkundigte ich mich nach der Adresse des Direktors der südafrikanischen Bank. Er war nicht zu Hause, hatte eine hochfeine Privatgesellschaft besucht.
Ich unverzagt hin, ließ den Direktor herausrufen. Ich war ganz gelassen, teilte ihm alles mit, und er war ein äußerst liebenswürdiger Herr. Daß er auch sonst sehr neugierig war, ist begreiflich. Ich mußte mit hinein in den Salon und weiter auspacken. Die Sensation war natürlich groß, nicht nur wegen des geheimen Dokumentes, auch der Klabautermann und alles andere kamen dran, und nur mit Mühe konnte ich mich nach einer Stunde losmachen. Besonders die Dämlichkeiten hatten mir arg zugesetzt.
Die Hauptsache also war, daß Doktor Selo und jeder andere festgenommen wurde, welcher auf der Bank nachfragte, ob er gegen Deponierung eines Dokumentes 50 000 Pfund Sterling erheben könne.
Ich begab mich noch einmal nach der Hauptwache, wo ich erfuhr, daß die polizeiliche Maschinerie schon im Gange sei. Vorläufig freilich hatte man noch keine Spur von meinem Schiffsarzte. Jedenfalls aber war