Der Wendekreis: Novellen. Jakob Wassermann

Der Wendekreis: Novellen - Jakob Wassermann


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Augen. Er trat auf sie zu und schlug sie so derb auf die Schulter, daß sie schrie. Bestürzt, sie könne nicht als Liebkosung nehmen, was so gemeint war, tätschelte er ihr den Rücken, zärtlich, andächtig und ließ dazu ein melodisches Gebrumm in der Kehle orgeln.

      Auf sein strenges Geheiß mußte sie sich pflegen. Er ging heimlich zum Doktor und bat um Weisungen. Damit die zwei Arme nicht fehlten, heuerte er noch eine Magd. Er überwachte sie; er räumte ihr aus dem Weg, was sie beim Schreiten hinderte. Als die Kinderwäsche genäht wurde, saß er bisweilen mit runden Augen daneben und wiegte den schweren Schädel.

      Alles verlief der Natur gemäß, auch die Stunde am Ausgang der neun Monate. Lange hielt Urbas das Neugeborene in der Hand, lange betrachtete er das trübselig-ungestalte Ding. Auf seiner Stirn wetterte es freudig und sorgenvoll.

      Simon wuchs auf wie alle andern Bauernkinder; es wurde ihm nichts leichter gemacht. Keine Kenntnis durfte ihm davon werden, wie lang man auf ihn gewartet hatte und mit welcher Ungeduld. Was er seinen Leuten wert war, mußte sich aus seiner Brauchbarkeit ergeben. Frühe Launen zerschellten an der festgefügten Ordnung; frühe Krankheiten waren die Probe, die zu bestehen war: taugst du oder taugst du nicht? Allerdings, wer scharf zusah, konnte dann an Urbas eine unruhige Gespanntheit wahrnehmen, als behorche er den innersten Blutgang im Leib des Knaben.

      Das Behorchen blieb in seinen Zügen. Es grub sich faltenmäßig ein. Schien es, wie wenn er nicht beachte, was Simon tat und sprach, so war es falscher Schein. Niemand in seiner Umgebung konnte ermessen, mit welcher Genauigkeit er in diesem Punkte sah. Ich erfuhr es. Ich erfuhr es in einer Weise, die weder zu vergessen, noch eigentlich mitteilbar ist. Es wären dazu andere Behelfe nötig, als sie mir zur Verfügung stehen.

      Eine fast erhabene Vorstellung von dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn war mit seinem Wesen verschmolzen. Er fühlte sich als Bauer, d. h. er fühlte sich als König. Die Erde war seine Erde. Der Knecht war sein Knecht. Wetter wurde für ihn gemacht, und für den Acker, und für die Ernte. Er war Herr über das Land; sein Auge grenzte es ab bis zu dem Stein, der von altersher unverrückt stand; kein Halm, der nicht in seinem Namen aufschoß. Eigentum war das Heiligste von allem, und Eigentum war des Herrn bedürftig, daß er es wachsam und unerbittlich verwalte, bis auf den Pfennig, bis auf das Saatkorn. Der Sohn übernahm es vom Vater, der Vater gab es dem Sohn, durch alle Zeiten hindurch; so war die Ordnung der Dinge, anders war die Welt nicht zu verstehn.

      Aber das heißt vorgreifen, und ich will den Faden behalten.

      Die förmlichen Verhöre, die ich mit Urbas vorzunehmen verpflichtet war, führten zu keinem nennenswerten Ergebnis. Die Antworten waren immer dieselben, und sie jedesmal wiederholen zu sollen, schien ihm verwunderlich und lästig zu sein. Er beschränkte sich auf die Tatsache; erklären wollte er nichts. Sich zu verteidigen verschmähte er, auch von einem Rechtsbeistand wollte er nichts wissen, und meinen Belehrungen und Ratschlägen setzte er eine obstinate Gleichgiltigkeit entgegen. Als ich ihm nahelegte, daß er durch eine freimütige Darstellung der Beweggründe seines Verbrechens eine bedeutende Strafmilderung erzielen könne, antwortete er lakonisch: »Es ist nicht an dem.« Ich entschloß mich, auf die fruchtlosen Inquisitionen zu verzichten, zumal die Zeugenaussagen und alles, was mir über die Person des Ermordeten wie über die des Angeklagten selbst bekannt geworden war, eine lückenlose Motivenkette geschaffen hatten.

      Dennoch gab es zwei Momente der Ungewißheit, die aufzuhellen noch nicht gelungen war. Das eine war das Gutachten des Gerichtsarztes über den Leichenbefund am Tatort. Die Lage des Körpers zeigte nämlich nicht das geringste Merkmal von verübter Gewalt, weder an der Art wie die Gliederstarre eingetreten war, noch an den Kleidern, noch am Gesichtsausdruck. Wäre nicht die Selbstbeschuldigung des Bauern gewesen, so hätte sich der Beweis des Mordes schwer erbringen lassen. Das zweite knüpfte sich an das unbestrittene Faktum, daß das Messer dem Simon Urbas gehört hatte. Der Bauer behauptete, es sei im Hosengürtel Simons gesteckt, und er habe es einfach herausgezogen; auch zu dieser Angabe verstand er sich erst nach häufigem, ernstlichem Drängen. Sie trug das Gepräge der Unwahrscheinlichkeit an sich, und am nächsten Tag widerrief er sie auch und sagte, das Messer sei aufgeklappt auf dem Tisch gelegen; Simon habe in der Frühe noch Brot damit geschnitten. Als ich ihm mein Erstaunen über diese Veränderung einer wichtigen Aussage nicht verhehlte, blickte er scheu zu Boden. Es war das einzige Mal, daß ich etwas wie Verwirrung an ihm zu beobachten glaubte.

      Den beharrlich schweigenden Mund zum Reden zu bringen, wurde zwangvoller Trieb für mich. Fast ununterbrochen waren meine Gedanken mit dem Menschen beschäftigt; die Deutlichkeit der Erscheinung, die Hartnäckigkeit, mit der sie mich verfolgte, beunruhigte und quälte mich. Immer wieder rief mir eine Stimme zu: der Mann ist kein Mörder; das ist der Mann nicht, der hingeht und einem andern den Hals abschneidet wie man ein Huhn schlachtet; dem eigenen Sohn mit Abscheu erregender Brutalität zum Henker wird. Doch hatte er es ja gestanden. Was war vorgegangen? Auf die Frage nach der Dauer seines Aufenthalts in der Kammer hatte er stets geschwiegen oder höchstens die Achseln gezuckt; erst beim letzten Verhör waren ihm, beinahe wider Willen, die Worte entschlüpft, er schätze, es könne eine halbe Stunde gewesen sein. Was war in dieser halben Stunde vorgegangen? Er gewahrte mein Nachdenken, und sein Gesicht verfinsterte sich.

      Ich sah, den eigentümlichen Zustand meiner Unruhe und Ungeduld zu beenden, keinen andern Weg, als den Bezirk der Beruflichkeit zu verlassen und ihm gegenüberzutreten, Mensch gegen Mensch. Ein gewisses Vertrauen glaubte ich mir bei ihm erworben zu haben; so oft ich mich bemüht gezeigt hatte, Heikles zart zu behandeln, glaubte ich eine dankbare Regung in ihm verspürt zu haben. Zögern machte mich nur noch die Erwägung, ob sich nicht der angeborene Argwohn gegen den Zudringling aus der fremden Sphäre wenden würde, ob es nicht an den Mitteln zu natürlicher Verständigung von vornherein mangle. Aber darüber halfen mir Bild und Gestalt hinweg; Adam Urbas war ja kein Bauer gewöhnlicher Sorte; er gehörte zu unserer Bauern-Aristokratie, seine bloße Haltung zeugte von Scharfsinn und Noblesse, und so hoffte ich, daß ich den Weg zu ihm nicht vergeblich bahnte. Ich überlegte nicht länger; eines Abends im Dezember war es, als ich in das Gefängnisgebäude ging und mir die Zelle aufsperren ließ, in der sich Urbas befand.

      Ich hatte ihm Vergünstigungen für die Haft erwirkt. Es war ein wohnlicher Raum, anständig möbliert mit Waschtisch, Bett und Spiegel, behaglich warm. Er saß bei der Lampe und hatte die Bibel vor sich aufgeschlagen. Ich grüßte, zog den Mantel aus, hing ihn an den Türhaken und setzte mich Urbas gegenüber an den Tisch.

      Sein Anblick frappierte mich jedesmal aufs neue; auch jetzt. Er war massig wie ein Stier. Sein Kopf hatte die Rundheit der eingeborenen fränkischen Brachycephalen, doch wies der Schädel, besonders die Bildung an den Schläfen, Merkmale alter Zucht auf; die Knochen waren dort auffallend dünn, die Haut bläulichgelb und fast durchscheinend. Der Mund war weitgeschnitten, mit festverpreßten schmalen Lippen, die Nase gebogen, mit starkem Sattel; das Gesicht, an das eines alten Schauspielers erinnernd, war sorgfältig rasiert, die Hände waren die eines Riesen. Die träglidrigen Augen öffneten sich selten; dann aber hatte der Blick eine überraschende Durchdringungskraft, so daß es auch mir nicht leicht war, ihn auszuhalten.

      Um das Gespräch einzuleiten, sagte ich, ich hätte schon lange das Bedürfnis empfunden, ihn aufzusuchen. Ich käme aber nicht in meiner Amtseigenschaft, sondern, wenn er wolle, als Freund, dem ein Besuch zufällig erlaubt sei. Im Grunde sei er mein Schutzbefohlener, und ich trüge die Verantwortung für sein Wohlergehen.

      Er blickte mich schweigend an. Nach geraumer Weile sagte er: »Sehr gütig von Ihnen.«

      Ich wehrte ab. »So möchte ich es nicht aufgefaßt haben,« sagte ich ungefähr; »ich wünschte, Sie sollen mir jetzt nicht mißtrauen. Dem Richter mißtraut man, unwillkürlich. Sie denken sich: Kommt er nicht als Beamter, um seine Akten vollzuschreiben, so kommt er doch als Neugieriger, um zu schnüffeln. Weder das eine, noch das andere ist meine Absicht. Die Akten sind so gut wie geschlossen; wir stehen vor der Verhandlung. Zur Neugier ist für mich wenig Anlaß; es ist mir ja alles bekannt, will mir scheinen. Warum ich gekommen bin, weiß ich selbst nicht genau. Ich mußte. Es war wie Pflicht.«

      Wieder antwortete Urbas lange nicht. Endlich sagte er: »Ich glaube

       Ihnen.«

      Ich griff das Wort auf. »Wenn Sie mir glauben,« erwiderte


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