E. T. A. Hoffmann: Ausgewählte Novellen und Erzählungen. Эрнст Гофман

E. T. A. Hoffmann: Ausgewählte Novellen und Erzählungen - Эрнст Гофман


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Faust an der Stirn, „Himmel und Hölle! Tod und Verderben! So ist es wahr, was jener heuchlerische Bösewicht mir ins Ohr raunte? – Ha! öffne dich, flammenspeiender Abgrund des Orkus! Steigt herauf, schwarzgefiederte Geister des Acheron! – Genug!“ – Giglio verfiel in den gräßlichen Verzweiflungsmonolog irgendeines Trauerspiels des Abbate Chiari. Giacinta hatte diesen. Monolog, den ihr Giglio sonst hundertfältig vordeklamiert, bis auf den kleinsten Vers im Gedächtnis und soufflierte, ohne von der Arbeit aufzusehen, dem verzweifelnden Geliebten jedes Wort, wenn er hie und da ins Stocken geraten wollte. Zuletzt zog er den Dolch, stieß ihn sich in die Brust, sank hin, daß das Zimmer dröhnte, stand wieder auf, klopfte sich den Staub ab, wischte sich den Schweiß von der Stirne, fragte lächelnd: „Nicht wahr, Giacinta, das bewährt den Meister?“ „Allerdings“, erwiderte Giacinta, ohne sich zu rühren, „allerdings. Du hast vortrefflich tragiert, guter Giglio; aber nun wollen wir, dächt ich, uns zu Tische setzen.“

      Die alte Beatrice hatte indessen den Tisch gedeckt, ein paar herrlich duftende Schüsseln aufgetragen und die geheimnisvolle Phiole aufgesetzt nebst blinkenden Kristallgläsern. Sowie Giglio das erblickte, schien er ganz außer sich: „Ha, der Gast – der Prinz – Wie ist mir? Gott! – ich habe ja nicht Komödie gespielt, ich bin ja wirklich in Verzweiflung geraten – ja in helle tolle Verzweiflung hast du mich gestürzt, treulose Verräterin, Schlange, Basilisk – Krokodil! Aber Rache – Rache!“ Damit schwang er den Theaterdolch, den er von der Erde aufgerafft, in den Lüften. Aber Giacinta, die ihre Arbeit auf den Nähtisch geworfen und aufgestanden, nahm ihn beim Arm und sprach: „Sei kein Hase, guter Giglio! gib dein Mordinstrument der alten Beatrice, damit sie Zahnstocher daraus schneide und setze dich mit mir zu Tisch; denn am Ende bist du der einzige Gast, den ich erwartet habe.“ Giglio ließ sich plötzlich, besänftigt, die Geduld selbst, zu Tische führen und tat, was das Zulangen betrifft, sich dann weiter keinen Zwang an.

      Giacinta fuhr fort ganz ruhig und gemütlich von dem ihr bevorstehenden Glück zu erzählen, und versicherte dem Giglio ein Mal über das andere, daß sie durchaus nicht in übermäßigen Stolz verfallen und Giglios Gesicht ganz und gar vergessen, vielmehr, solle er sich ihr von ferne zeigen, sich ganz gewiß seiner erinnern und ihm manchen Dukaten zufließen lassen werde, so daß es ihm nie an rosmarinfarbnen Strümpfen und parfümierten Handschuhen mangeln dürfe. Giglio, dem, als er einige Gläser Wein getrunken, die ganze wunderbare Fabel von der Prinzessin Brambilla wieder in den Kopf gekommen, versicherte dagegen freundlich, daß er Giacintas gute herzliche Gesinnungen hoch zu schätzen wisse; was aber den Stolz und die Dukaten betreffe, so werde er von beiden keinen Gebrauch machen können, da er, Giglio, selbst im Begriff stehe, mit beiden Füßen hineinzuspringen ins Prinzentum. Er erzählte nun, wie ihn bereits die vornehmste und reichste Prinzessin der Welt zu ihrem Ritter erkoren, und, daß er hoffe, noch bei dem Schluß des Karnevals als der Gemahl seiner fürstlichen Dame, dem armseligen Leben, das er bis jetzt geführt, auf immer Valet sagen zu können. Giacinta schien über Giglios Glück höchlich erfreut und beide schwatzten nun ganz vergnüglich von der künftigen schönen Zeit der Freude und des Reichtumes. „Ich möchte nur“, sprach Giglio endlich, „daß die Reiche, die wir künftig beherrschen werden, fein aneinandergrenzten, damit wir gute Nachbarschaft halten könnten; aber, irr ich nicht, so liegt das Fürstentum meiner angebeteten Prinzessin über Indien weg, gleich linker Hand um die Erde nach Persien zu.“ – „Das ist schlimm“, erwiderte Giacinta, „auch ich werde wohl weit fort müssen; denn das Reich meines fürstlichen Gemahls soll dicht bei Bergamo liegen. Doch wird sich das wohl machen lassen, daß wir künftig Nachbarn werden und bleiben“ – Beide, Giacinta und Giglio, kamen dahin überein, daß ihre künftigen Reiche durchaus in die Gegend von Frascati verlegt werden müßten. – „Gute Nacht, teure Prinzessin!“ sprach Giglio; „wohl zu ruhen, teurer Prinz!“ erwiderte Giacinta, und so schieden sie, als der Abend einbrach, friedlich und freundlich auseinander.

      Fünftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Wie Giglio in der Zeit gänzlicher Trockenheit des menschlichen Geistes zu einem weisen Entschluß gelangte, den Fortunatussäckel einsteckte und dem demütigsten aller Schneider einen stolzen Blick zuwarf. – Der Palast Pistoja und seine Wunder. – Vorlesung des weisen Mannes aus der Tulpe. – König Salomo der Geisterfürst und Prinzessin Mystilis. – Wie ein alter Magus einen schwarzen Schlafrock umwarf, eine Zobelmütze aufsetzte und mit ungekämmtem Bart Prophezeiungen vernehmen ließ in schlechten Versen. – Unglückliches Schicksal eines Gelbschnabels. – Wie der geneigte Leser in diesem Kapitel nicht erfährt, was sich bei Giglios Tanz mit der unbekannten Schönen weiter begehen.

      Jeder, der mit einiger Fantasie begabt, soll, wie es in irgendeinem lebensklugheitschweren Buche geschrieben steht, an einer Verrücktheit leiden, die immer steigt und schwindet, wie Ebbe und Flut. Die Zeit der letzteren, wenn immer höher und stärker die Wellen daherbrausen, ist die einbrechende Nacht, so wie die Morgenstunden gleich nach dem Erwachen, bei der Tasse Kaffee, für den höchsten Punkt der Ebbe gelten. Daher gibt jenes Buch auch den vernünftigen Rat, diese Zeit als den Moment der herrlichsten klarsten Nüchternheit zu benutzen, zu den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens. Nur des Morgens soll man z. B. sich verheiraten, tadelnde Rezensionen lesen, testieren, den Bedienten prügeln u.s.w.

      In dieser schönen Zeit der Ebbe, in der sich der menschliche Geist gänzlicher Trockenheit erfreuen darf, war es, als Giglio Fava über seine Torheit erschrak und selbst gar nicht wußte, wie er das nicht längst habe tun können, wozu die Aufforderung ihm doch, so zu sagen, dicht vor die Nase geschoben war. – „Es ist nur zu gewiß“, so dachte er im frohen Bewußtsein des vollen Verstandes, „es ist nur zu gewiß, daß der alte Celionati halb wahnsinnig zu nennen, daß er sich in diesem Wahnsinn nicht nur ungemein gefällt, sondern auch recht eigentlich darauf ausgeht, andere ganz verständige Leute darin zu verstricken. Ebenso gewiß ist es aber, daß die schönste, reichste aller Prinzessinnen, die göttliche Brambilla, eingezogen ist in den Palast Pistoja und – o Himmel und Erde! kann diese Hoffnung durch Ahnungen, Träume, ja durch den Rosenmund der reizendsten aller Masken bestätigt, wohl täuschen – daß sie ihrer himmlischen Augen süßen Liebesstrahl gerichtet hat auf mich Glücklichen? – Unerkannt, verschleiert, hinter dem verschlossenen Gitter einer Loge, erblickte sie mich, als ich irgendeinen Prinzen spielte und ihr Herz war mein! – Kann sie denn wohl mir nahen auf geradem Wege? Bedarf das holde Wesen nicht Mittelspersonen, Vertrauter, die den Faden anspinnen, der sich zuletzt verschlingt zum süßesten Bande? – Mag es sich nun begeben haben, wie es will, unbezweifelt ist Celionati derjenige, der mich der Prinzessin in die Arme führen soll – Aber statt fein ordentlich den geraden Weg zu gehen, stürzt er mich kopfüber in ein ganzes Meer von Tollheit und Fopperei, will mir einreden, in eine Fratze vermummt müsse ich die schönste der Prinzessinnen aufsuchen im Korso, erzählt mir von assyrischen Prinzen, von Zauberern – Fort – fort mit allem tollen Zeuge, fort mit dem wahnsinnigen Celionati! – Was hält mich denn ab, mich sauber anzuputzen, gerade hineinzutreten in den Palast Pistoja, mich der Durchlauchtigsten zu Füßen zu werfen? O Gott; warum tat ich das nicht schon gestern – vorgestern?“ –

      Es war dem Giglio unangenehm, daß, als er nun eiligst seine beste Garderobe musterte, er nicht umhinkonnte, selbst zu gestehen, daß das Federbarett auf ein Haar einem gerupften Haushahn glich, daß das dreimal gefärbte Wams in allen möglichen Regenbogenfarben schillerte, daß der Mantel die Kunst des Schneiders, der durch die kühnsten Nähte der fressenden Zeit getrotzt, zu sehr verriet, daß das wohlbekannte blauseidne Beinkleid, die Rosastrümpfe sich herbstlich entfärbt. Wehmütig griff er nach dem Beutel, den er beinahe geleert glaubte und – in schönster Fülle strotzend vorfand. – „Göttliche Brambilla“, rief er entzückt aus, „göttliche Brambilla, ja ich gedenke deiner, ich gedenke des holden Traumbildes!“

      Man kann sich vorstellen, daß Giglio, den angenehmen Beutel, der eine Art Fortunatussäckel schien, in der Tasche, sofort alle Läden der Trödler und Schneider durchrannte, um sich einen Anzug so schön, als ihn jemals ein Theaterprinz angelegt, zu verschaffen. Alles was man ihm zeigte, war ihm nicht reich, nicht prächtig genug. Endlich besann er sich, daß ihm wohl kein anderer Anzug genügen werde, als den Bescapis Meisterhand


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