E. T. A. Hoffmann: Ausgewählte Novellen und Erzählungen. ÐрнÑÑ‚ Гофман
Von der nützlichen Erfindung des Schlafs und des Traums, und was Sancho Pansa darüber denkt. – Wie ein württembergischer Beamter die Treppe hinabfiel und Giglio sein Ich nicht durchschauen konnte. Rhetorische Ofenschirme, doppelter Galimathias und der weiße Mohr. – Wie der alte Fürst Bastianelli di Pistoja Apfelsinenkerne in dem Korso aussäete und die Masken in Schutz nahm. Der beau jour häßlicher Mädchen. – Nachrichten von der berühmten Schwarzkünstlerin Circe, welche Bandschleifen nestelt, so wie von dem artigen Schlangenkraut, das im blühenden Arkadien wächst. – Wie sich Giglio aus purer Verzweifung erdolchte, hierauf an den Tisch setzte, ohne Zwang zugriff, dann aber der Prinzessin eine gute Nacht wünschte.
Es darf dir, vielgeliebter Leser, nicht befremdlich erscheinen, wenn in einem Ding, das sich zwar Capriccio nennt, das aber einem Märchen so auf ein Haar gleicht, als sei es selbst eins, viel vorkommt von seltsamem Spuk, von träumerischem Wahn, wie ihn der menschliche Geist wohl hegt und pflegt, oder besser, wenn der Schauplatz manchmal in das eigne Innere der auftretenden Gestalten verlegt wird. – Möchte das aber nicht eben der rechte Schauplatz sein? – Vielleicht bist du, o mein Leser! auch so wie ich, des Sinnes, daß der menschliche Geist selbst das allerwunderbarste Märchen ist, das es nur geben kann. – Welch eine herrliche Welt liegt in unserer Brust verschlossen! Kein Sonnenkreis engt sie ein, der ganzen sichtbaren Schöpfung unerforschlichen Reichtum überwiegen ihre Schätze! – Wie so tot, so bettelarm, so maulwurfsblind, wär unser Leben, hätte der Weltgeist uns Söldlinge der Natur nicht ausgestattet mit jener unversieglichen Diamantgrube in unserm Innern, aus der uns in Schimmer und Glanz das wunderbare Reich aufstrahlt, das unser Eigentum geworden! Hochbegabt die, die sich dieses Eigentums recht bewußt! Noch hochbegabter und selig zu preisen die, die ihres Innern Perus Edelsteine nicht allein zu erschauen, sondern auch heraufzubringen, zu schleifen und ihnen prächtigeres Feuer zu entlocken verstehen. – Nun! –Sancho meinte, Gott solle den ehren, der den Schlaf erfunden, es müsse ein gescheuter Kerl gewesen sein; noch mehr mag aber wohl der geehrt werden, der den Traum erfand. Nicht den Traum, der aus unserm Innern nur dann aufsteigt, wenn wir unter des Schlafes weicher Decke liegen – nein! den Traum, den wir durch das ganze Leben fort träumen, der oft die drückende Last des Irdischen auf seine Schwingen nimmt, vor dem jeder bittre Schmerz, jede trostlose Klage getäuschter Hoffnung verstammt, da er selbst, Strahl des Himmels in unserer Brust entglommen, mit der unendlichen Sehnsucht die Erfüllung verheißt. –
Diese Gedanken kamen dem, der es unternommen, für dich, sehr geliebter Leser! das seltsame Capriccio von der Prinzessin Brambilla aufzustellen, in dem Augenblick zu Sinn, als er darangehen wollte, den merkwürdigen Gemütszustand zu beschreiben, in den der verkappte Giglio Fava geriet, als ihm die Worte zugeflüstert wurden: „Das ist die Prinzessin Brambilla, die mit ihrem Geliebten, dem assyrischen Prinzen, Cornelio Chiapperi, tanzt!“ – Selten vermögen Autoren es über sich, dem Leser zu verschweigen, was sie bei diesem oder jenem Stadium, in das ihre Helden treten, denken; sie machen gar zu gern den Chorus ihres eignen Buchs und nennen Reflektion alles das, was zwar nicht zur Geschichte nötig, aber doch als ein angenehmer Schnörkel dastehen kann. Als angenehmer Schnörkel mögen daher auch die Gedanken gelten, womit dieses Kapitel begann; denn in der Tat, sie waren zur Geschichte ebensowenig nötig, als zur Schilderung von Giglios Gemütszustand, der gar nicht so seltsam und ungewöhnlich war, als man es nach dem Anlauf, den der Autor genommen, wohl denken sollte. – Kurz! – es geschah dem Giglio Fava, als er jene Worte vernahm, nichts weiter, als daß er sich augenblicklich selbst für den assyrischen Cornelio Chiapperi hielt, der mit der Prinzessin Brambilla tanze. Jeder tüchtige Philosoph von einiger faustgerechter Erfahrung wird dies so leicht ganz und gar erklären können, daß Quintaner das Experiment des innern Geistes verstehen müssen. Besagter Psycholog wird nämlich nichts Besseres tun, als aus Mauchardts Repertorium der empirischen Psychologie den württembergischen Beamten anführen können, der in der Trunkenheit die Treppe hinabstürzte und dann seinen Schreiber, der ihn geleitete, sehr bedauerte, daß er so hart gefallen. „Nach allem“, fährt der Psycholog dann fort, „was wir bis jetzt von dem Giglio Fava vernommen, leidet derselbe an einem Zustande, der dem des Rausches völlig zu vergleichen, gewissermaßen an einer geistigen Trunkenheit, erzeugt durch die nervenreizende Kraft gewisser exzentrischer Vorstellungen von seinem Ich, und da nun vorzüglich Schauspieler sehr geneigt sind, sich auf diese Art zu berauschen, so –“ u.s.w.
Also für den assyrischen Prinzen, Cornelio Chiapperi, hielt sich Giglio; und war dies eben auch nichts Besonderes, so möchte doch schwerer zu erklären sein, woher die seltene, nie empfundene Lust kam, die mit flammender Glut sein ganzes Inneres durchdrang. Stärker und stärker schlug er die Saiten der Chitarre, toller und ausgelassener wurden die Grimassen, die Sprünge des wilden Tanzes. Aber sein Ich stand ihm gegenüber und führte, ebenso tanzend und springend, ebensolche Fratzen schneidend, als er, mit dem breiten hölzernen Schwert Streiche nach ihm durch die Luft. – Brambilla war verschwunden! –„Hoho“, dachte Giglio, „nur mein Ich ist schuld daran, daß ich meine Braut, die Prinzessin, nicht sehe; ich kann mein Ich nicht durchschauen und mein verdammtes Ich will mir zu Leibe mit gefährlicher Waffe, aber ich spiele und tanze es zu Tod und dann bin ich erst ich, und die Prinzessin ist mein!“ –
Während dieser etwas konfuser Gedanken wurden Giglios Sprünge immer unerhörter, aber in dem Augenblick traf des Ichs hölzernes Schwert die Chitarre so hart, daß sie in tausend Stücke zersprang und Giglio rücklings über sehr unsanft zu Boden fiel. Das brüllende Gelächter des Volks, das die Tanzenden umringt hatte, weckte den Giglio aus seiner Träumerei. Bei dem Sturz war ihm Brille und Maske entfallen, man erkannte ihn und hundert Stimmen riefen: „Bravo, bravissimo, Signor Giglio!“ – Giglio raffte sich auf und eilte, da ihm plötzlich es einkam, daß es für einen tragischen Schauspieler höchst unschicklich, dem Volk ein groteskes Schauspiel gegeben zu haben, schnell von dannen. In seiner Wohnung angekommen warf er die tolle Maske ab, hüllte sich in einen Tabarro und kehrte zurück nach dem Korso.
Im Hin-und Herwandern geriet er endlich vor den Palast Pistoja und hier fühlte er sich plötzlich von hinten umfaßt und eine Stimme flüsterte ihm zu: „Täuscht mich nicht Gang und Stellung, so seid Ihr es, mein werter Signor Giglio Fava?“
Giglio erkannte den Abbate Antonio Chiari. Bei des Abbates Anblick ging ihm plötzlich die ganze schöne frühere Zeit auf, als er noch tragische Helden spielte und dann, nachdem er sich des Kothurns entledigt, die enge Treppe hinaufschlich zur lieblichen Giacinta. Der Abbate Chiari (vielleicht ein Vorfahr des berühmten Chiari, der in Fehde trat mit dem Grafen Gozzi und die Waffen strecken mußte) hatte von Jugend auf mit nicht geringer Mühe Geist und Finger dazu abgerichtet, Trauerspiele zu verfertigen, die, was die Erfindung, enorm, was die Ausführung betrifft, aber höchst angenehm und lieblich waren. Er vermied sorglich irgendeine entsetzliche Begebenheit anders, als unter mild vermittelnden Umständen vor den Augen der Zuschauer sich wirklich zutragen zu lassen und alle Schauer irgendeiner gräßlichen Tat wickelte er in den zähen Kleister so vieler schönen Worte und Redensarten ein, daß die Zuhörer ohne Schauer die süße Pappe zu sich nahmen und den bittern Kern nicht herausschmeckten. Selbst die Flammen der Hölle wußte er nützlich anzuwenden zum freundlichen Transparent, indem er den ölgetränkten Ofenschirm seiner Rhetorik davorstellte und in die rauchenden Wellen des Acheron goß er das Rosenwasser seiner martellianischen Verse, damit der Höllenfluß sanft und fein flute und ein Dichterfluß werde. – So was gefällt vielen und kein Wunder daher, daß der Abbate Antonio Chiari ein beliebter Dichter zu nennen war. Hatte er nun noch dazu ein besonderes Geschick, sogenannte dankbare Rollen zu schreiben, so konnt es gar nicht fehlen, daß der dichterische Abbate auch der Abgott der Schauspieler wurde. – Irgendein geistreicher französischer Dichter sagt, es gäbe zwei Arten von Galimathias, einen solchen, den Leser und Zuhörer nicht verständen, einen zweiten höhern, den der Schöpfer (Dichter oder Schriftsteller) selbst nicht verstände. Von dieser letztern sublimem Art ist der dramatische Galimathias, aus dem mehrenteils die sogenannten dankbaren Rollen im Trauerspiel bestehen. – Reden voll hochtönender Worte, die weder der Zuhörer, noch der Schauspieler versteht und die der Dichter selbst nicht verstanden hat, werden am mehrsten beklatscht. Solchen Galimathias zu machen, darauf verstand sich der Abbate Chiari vortrefflich, so wie Giglio Fava eine besondere Stärke besaß ihn zu sprechen, und dabei solche Gesichter zu schneiden und solch fürchterlich verrückte Stellungen anzunehmen, daß