E. T. A. Hoffmann: Ausgewählte Novellen und Erzählungen. ÐрнÑÑ‚ Гофман
Züge zu erfassen. Jeder Versuch, sie darzustellen, mißlang auf schmähliche Weise, und ich verging in heißer Sehnsucht.« – Florentin bemerkte den bis zur Krankheit aufgeregten Zustand des Freundes, er tröstete ihn, so gut er es vermochte. Oft sagte er ihm, daß dies eben die Zeit des Durchbruchs zur Erleuchtung sei; aber wie ein Träumer schlich Berthold einher, und alle seine Versuche blieben nur ohnmächtige Anstrengungen des kraftlosen Kindes.
Unfern Neapel lag die Villa eines Herzogs, die, weil sie die schönste Aussicht nach dem Vesuv und ins Meer hinein gewährte, den fremden Künstlern, vorzüglich den Landschaftern gastlich geöffnet war. Berthold hatte hier öfters gearbeitet, öfter noch in einer Grotte des Parks zur guten Zeit sich dem Spiel seiner fantastischen Träume hingegeben. Hier in dieser Grotte saß er eines Tages, von glühender Sehnsucht, die seine Brust zerriß, gemartert, und weinte heiße Tränen, daß der Stern des Himmels seine dunkle Bahn erleuchten möge; da rauschte es im Gebüsch, und die Gestalt eines hochherrlichen Weibes stand vor der Grotte.
»Die vollen Sonnenstrahlen fielen in das Engelsgesicht. – Sie schaute mich an mit unbeschreiblichen Blick. – Die heilige Katharina – nein, mehr als sie – mein Ideal, mein Ideal war es! Wahnsinnig vor Entzücken stürzte ich nieder, da verschwebte die Gestalt freundlich lächelnd! – Erhört war mein heißestes Gebet!«
Florentin trat in die Grotte, er erstaunte über Berthold, der mit verklärtem Blick ihn an sein Herz drückte. – Tränen stürzten ihm aus den Augen – »Freund – Freund!« stammelte er: »ich bin glücklich – selig – sie ist gefunden – gefunden!« Rasch schritt er fort, in seine Werkstatt – er spannte die Leinwand auf, er fing an zu malen. Wie von göttlicher Kraft beseelt, zauberte er mit der vollen Glut des Lebens das überirdische Weib, wie es ihm erschienen, hervor. – Sein Innerstes war von diesem Augenblicke ganz umgewendet. Statt des Trübsinns, der an seinem Herzmark gezehrt hatte, erhob ihn Frohsinn und Heiterkeit. Er studierte mit Fleiß und Anstrengung die Meisterwerke der alten Maler. Mehrere Kopien gelangen ihm vortrefflich, und nun fing er an selbst Gemälde zu schaffen, die alle Kenner in Erstaunen setzten. An Landschaften war nicht mehr zu denken, und Hackert bekannte selbst, daß der Jüngling nun erst seinen eigentlichen Beruf gefunden habe. So kam es, daß er mehrere große Werke, Altarblätter für Kirchen, zu malen bekam. Er wählte mehrenteils heitere Gegenstände christlicher Legenden, aber überall strahlte die wunderherrliche Gestalt seines Ideals hervor. Man fand, daß Gesicht und Gestalt der Prinzessin Angiola T… zum Sprechen ähnlich sei, man äußerte dies dem jungen Maler selbst, und Schlauköpfe gaben spöttisch zu verstehen, der deutsche Maler sei von dem Feuerblick der wunderschönen Donna tief ins Herz getroffen. Berthold war hoch erzürnt über das alberne Gewäsch der Leute, die das Himmlische in das Gemeinirdische herabziehen wollten. »Glaubt ihr denn«, sprach er, »daß solch ein Wesen wandeln könne hier auf Erden? In einer wunderbaren Vision wurde mir das Höchste erschlossen; es war der Moment der Künstlerweihe.« – Berthold lebte nun froh und glücklich, bis nach Bonapartes Siegen in Italien sich die französische Armee dem Königreich Neapel nahte, und die alle ruhigen glücklichen Verhältnisse furchtbar zerstörende Revolution ausbrach. Der König hatte mit der Königin Neapel verlassen, die Citta war angeordnet. Der General-Vikar schloß mit dem französischen General einen schmachvollen Waffenstillstand, und bald kamen die französischen Kommissarien, um die Summe, die gezahlt werden sollte, in Empfang zu nehmen. Der General-Vikar entfloh, um der Wut des Volks, das sich von ihm, von der Citta, von allen, die ihm Schutz gewähren konnten gegen den andringenden Feind, verlassen glaubte, zu entgehen. Da waren alle Bande der Gesellschaft gelöst; in wilder Anarchie verhöhnte der Pöbel Ordnung und Gesetz, und unter dem Geschrei: »Viva la santa fede« rannten seine wahnsinnigen Horden durch die Straßen, die Häuser der Großen, von welchen sie sich an den Feind verkauft wähnten, plündernd und in Brand steckend. Vergebens waren die Bemühungen Moliternos und Rocca Romanas, Günstlinge des Volks und zu Anführern gewählt, die Rasenden zu bändigen. Die Herzoge della Torre und Clemens Filomarino waren ermordet, aber noch war des wütenden Pöbels Blutdurst nicht gestillt. – Berthold hatte sich aus einem brennenden Hause nur halb angekleidet gerettet, er stieß auf einen Haufen des Volks, der mit angezündeten Fackeln und blinkenden Messern nach dem Palast des Herzogs von T. eilte. Ihn für ihresgleichen haltend, drängten sie ihn mit sich fort – »viva la santa fede« brüllten die Wahnsinnigen, und in wenigen Minuten waren der Herzog – die Bediensteten, alles was sich widersetzte, ermordet, und der Palast loderte hoch in Flammen auf. – Berthold war immer fort und fort in den Palast hineingedrängt. – Dicker Rauch wallte durch die langen Gänge. – Er lief schnell durch die aufgesprengten Zimmer, aufs neue in Gefahr, in den Flammen umzukommen – vergebens den Ausgang suchend. – Ein schneidendes Angstgeschrei schallt ihm entgegen – er stürzt durch den Saal. – Ein Weib ringt mit einem Lazzarone, der es mit starker Faust erfaßt hat, und im Begriff ist ihm das Messer in die Brust zu stoßen. – Es ist die Prinzessin – es ist Bertholds Ideal! – Bewußtlos vor Entsetzen, springt Berthold hinzu – den Lazzarone bei der Gurgel packen – ihn zu Boden werfen, ihm sein eignes Messer in die Kehle stoßen – die Prinzessin in die Arme nehmen – mit ihr fliehen durch die flammenden Säle – die Treppen hinab – fort fort, durch das dickste Volksgewühl – alles das ist die Tat eines Moments! – Keiner hielt den fliehenden Berthold auf, mit dem blutigen Messer in der Hand, vom Dampfe schwarz gefärbt, in zerrissenen Kleidern sah das Volk in ihm den Mörder und Plünderer, und gönnte ihm seine Beute. In einem öden Winkel der Stadt unter einem alten Gemäuer, in das er, wie aus Instinkt, sich vor der Gefahr zu verbergen gelaufen, sank er ohnmächtig nieder. Als er erwachte, kniete die Prinzessin neben ihm, und wusch seine Stirne mit kaltem Wasser. »O Dank!« lispelte sie mit wunderlieblicher Stimme; »Dank den Heiligen, daß du erwacht bist, du mein Rettet, mein alles!« – Berthold richtete sich auf, er wähnte zu träumen, er blickte mit starren Augen die Prinzessin an -ja sie war es selbst – die herrliche Himmelsgestalt, die den Götterfunken in seiner Brust entzündet. – »Ist es möglich – ist es wahr – lebe ich denn?« rief er aus. »Ja, du lebst«, sprach die Prinzessin – »du lebst für mich; was du nicht zu hoffen wagtest, geschah wie durch ein Wunder. Oh, ich kenne dich wohl, du bist der deutsche Maler Berthold, du liebtest mich ja, und verherrlichtest mich in deinen schönsten Gemälden. – Konnte ich denn dein sein? – Aber nun bin ich es immerdar und ewig. – Laß uns fliehen, o laß uns fliehen!« – Ein sonderbares Gefühl, wie wenn jählinger Schmerz süße Träume zerstört, durchzuckte Berthold bei diesen Worten der Prinzessin. Doch als das holde Weib ihn mit den vollen schneeweißen Armen umfing, als er sie ungestüm an seinen Busen drückte, da durchbebten ihn süße nie gekannte Schauer und im Wahnsinn des Entzückens höchster Erdenlust rief er aus: »Oh, kein Trugbild des Traumes – nein! es ist mein Weib, das ich umfange, es nie zu lassen – das meine glühende dürstende Sehnsucht stillt!«
Aus der Stadt zu fliehen war unmöglich; denn vor den Toren stand das französische Heer, dem das Volk, war es gleich schlecht bewaffnet und ohne alle Anführung, zwei Tage hindurch den Einzug in die Stadt streitig machte. Endlich gelang es Berthold mit Angiola von Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel, und dann aus der Stadt zu fliehen. Angiola, von heißer Liebe zu ihrem Retter entbrannt, verschmähte es in Italien zu bleiben, die Familie sollte sie für tot halten, und so Bertholds Besitz ihr gesichert bleiben. Ein diamantnes Halsband und kostbare Ringe, die sie getragen, waren hinlänglich, in Rom (bis dahin waren sie langsam fortgepilgert) sich mit allen nötigen Bedürfnissen zu versehen, und so kamen sie glücklich nach M. im südlichen Deutschland, wo Berthold sich niederzulassen, und durch die Kunst sich zu ernähren gedachte. – War’s denn nicht ein nie geträumtes, nie geahntes Glück, daß Angiola, das himmlischschöne Weib, das Ideal seiner wonnigsten Künstlerträume sein werden müßte, unerachtet sich alle Verhältnisse des Lebens, wie eine unübersteigbare Mauer zwischen ihm und der Geliebten auftürmten? – Berthold konnte in der Tat dies Glück kaum fassen, und schwelgte in namenlosen Wonnen, bis lauter und lauter die innere Stimme ihn mahnte, seiner Kunst zu gedenken. In M. beschloß er seinen Ruf durch ein großes Gemälde zu begründen, das er für die dortige Marienkirche malen wollte. Der einfache Gedanke, Maria und Elisabeth in einem schönen Garten auf einem Rasen sitzend, die Kinder Christus und Johannes vor ihnen im Grase spielend, sollte der ganze Vorwurf des Bildes sein, aber vergebens war alles Ringen nach einer reinen geistigen Anschauung des Gemäldes. So wie in jener unglücklichen Zeit der Krisis, verschwammen ihm die Gestalten, und nicht die himmlische Maria, nein, ein irdisches