E. T. A. Hoffmann: Ausgewählte Novellen und Erzählungen. ÐрнÑÑ‚ Гофман
Ihr wißt, daß ich mich im Tenor angestellt hatte, das Sanctus war eingetreten, ich fühlte die Schauer der tiefsten Andacht mich durchbeben, da rauschte es hinter mir störend, unwillkürlich drehte ich mich um, und erblickte zu meinem Erstaunen Bettina, die sich durch die Reihen der Spielenden und Singenden drängte um den Chor zu verlassen. ›Sie wollen fort?‹ redete ich sie an. ›Es ist die höchste Zeit‹, erwiderte sie sehr freundlich, ›daß ich mich jetzt nach der ***Kirche begebe, um noch, wie ich versprochen, dort in einer Kantate mitzusingen, auch muß ich noch vormittag ein paar Duetts probieren, die ich heute abend in dem Singetee bei *** vortragen werde, dann ist Souper bei ***. Sie kommen doch hin? es werden ein paar Chöre aus dem Händelschen Messias und das erste Finale aus Figaros Hochzeit gemacht.‹ Während dieses Gesprächs erklangen die vollen Akkorde des Sanctus, und das Weihrauchopfer zog in blauen Wolken durch das hohe Gewölbe der Kirche. ›Wissen Sie denn nicht‹, sprach ich, ›daß es sündlich ist, daß es nicht straflos bleibt, wenn man während des Sanctus die Kirche verläßt? – Sie werden so bald nicht mehr in der Kirche singen!‹ – Es sollte Scherz sein, aber ich weiß nicht, wie es kam, daß mit einemmal meine Worte so feierlich klangen. Bettina erblaßte und verließ schweigend die Kirche. Seit diesem Moment verlor sie die Stimme. -« Der Doktor hatte sich während der Zeit wieder gesetzt, und das Kinn auf den Stockknopf gestützt, er blieb stumm, aber der Kapellmeister rief: »Wunderbar in der Tat, sehr wunderbar!« – »Eigentlich«, fuhr der Enthusiast fort, »eigentlich kam mir damals bei meinen Worten nichts Bestimmtes in den Sinn und ebensowenig setzte ich Bettinas Stimmlosigkeit mit dem Vorfall in der Kirche nur in den mindesten Bezug. Erst jetzt, als ich wieder hieher kam und von Euch Doktor erfuhr, daß Bettina noch immer an der verdrießlichen Kränklichkeit leide, war es mir, als hätte ich schon damals an eine Geschichte gedacht, die ich vor mehreren Jahren in einem alten Buche las, und die ich Euch, da sie mir anmutig und rührend scheint, mitteilen will.« – »Erzählen Sie«, rief der Kapellmeister, »vielleicht liegt ein guter Stoff zu einer tüchtigen Oper darin.« – »Könnt Ihr«, sprach der Doktor, »könnt Ihr, Kapellmeister, Träume – Ahnungen – magnetische Zustände in Musik setzen, so wird Euch geholfen, auf so was wird die Geschichte doch wieder herauslaufen.« Ohne dem Doktor zu antworten räusperte sich der reisende Enthusiast und fing mit erhabener Stimme an: »Unabsehbar breitete sich das Feldlager Isabellens und Ferdinands von Aragonien vor den Mauern von Granada aus.« – »Herr des Himmels und der Erden«, unterbrach der Doktor den Erzähler, »das fängt an als wollt es in neun Tagen und neun Nächten nicht endigen, und ich sitze hier und die Patienten lamentieren. Ich schere mich den Teufel um Eure maurischen Geschichten, den Gonzalvo von Cordova habe ich gelesen, und Bettinas Seguidillas gehört, aber damit basta, alles was recht ist – Gott befohlen!« Schnell sprang der Doktor zur Türe heraus, aber der Kapellmeister blieb ruhig sitzen, indem er sprach: »Es wird eine Geschichte aus den Kriegen der Mauren mit den Spaniern, wie ich merke, so was hätt ich längst gar zu gern komponiert. – Gefechte – Tumult – Romanzen – Aufzüge – Cymbeln – Choräle – Trommeln und Pauken – ach Pauken! – Da wir nun einmal so zusammen sind, erzählen Sie, liebenswürdiger Enthusiast, wer weiß, welches Samenkorn die erwünschte Erzählung in mein Gemüt wirft und was für Riesenlilien daraus entsprießen.« – »Euch wird«, erwiderte der Enthusiast, »Euch wird nun Kapellmeister! alles einmal gleich zur Oper und daher kommt es denn auch, daß die vernünftigen Leute, die die Musik behandeln wie einen starken Schnaps, den man nur dann und wann in kleinen Portionen genießt zur Magenstärkung, Euch manchmal für toll halten. Doch erzählen will ich Euch, und keck möget Ihr, wandelt Euch die Lust an, manchmal ein paar Akkorde dazwischen werfen.« – Schreiber dieses fühlt sich gedrungen, ehe er dem Enthusiasten die Erzählung nachschreibt, dich günstigen Leser zu bitten, du mögest ihm der Kürze halber zugute halten, wenn er den dazwischen anschlagenden Akkorden den Kapellmeister vorzeichnet. Statt also zu schreiben: Hier sprach der Kapellmeister, heißt es bloß der Kapellmeister.
Unabsehbar breitete sich das Feldlager Isabellens und Ferdinands von Aragonien vor den festen Mauern von Granada aus. Vergebens auf Hülfe hoffend, immer enger und enger eingeschlossen, verzagte der feige Boabdil und im bittern Hohn vom Volk, das ihn den kleinen König nannte, verspottet, fand er nur in den Opfern blutdürstiger Grausamkeit augenblicklichen Trost. Aber eben in dem Grade, wie die Mutlosigkeit und Verzweiflung täglich mehr Volk und Kriegsheer in Granada erfaßte, wurde lebendiger Siegeshoffnung und Kampfeslust im spanischen Lager. Es bedurfte keines Sturms. Ferdinand begnügte sich die Wälle zu beschießen, und die Ausfälle der Belagerten zurückzutreiben. Diese kleinen Gefechte glichen mehr fröhlichen Turnieren als ernsten Kämpfen und selbst der Tod der im Kampfe Gefallnen konnte die Gemüter nur erheben, da sie hochgefeiert im Gepränge des kirchlichen Kultus wie in der strahlenden Glorie des Märtyrtums für den Glauben erschienen. Gleich nachdem Isabella in das Lager eingezogen, ließ sie in dessen Mitte ein hohes hölzernes Gebäude mit Türmen aufführen, von deren Spitzen die Kreuzesfahne herabwehte. Das Innere wurde zum Kloster und zur Kirche eingerichtet, und Benediktiner-Nonnen zogen ein, täglichen Gottesdienst übend. Die Königin, von ihrem Gefolge, von ihren Rittern begleitet, [erschien] jeden Morgen, die Messe zu hören, die ihr Beichtvater las, von dem Gesange der im Chor versammelten Nonnen unterstützt. Da begab es sich, daß Isabella an einem Morgen eine Stimme vernahm, die mit wunderbarem Glockenklang die andern Stimmen im Chor übertönte. Der Gesang war anzuhören wie das siegende Schmettern einer Nachtigall, die, die Fürstin des Hains, dem jauchzenden Volk gebietet. Und doch war die Aussprache der Worte so fremdartig und selbst die sonderbare ganz eigentümliche Art des Gesanges tat kund, daß eine Sängerin des kirchlichen Stils noch ungewohnt, vielleicht zum erstenmal das Amt singen müsse. Verwundert schaute Isabella um sich und bemerkte, daß ihr Gefolge von demselben Erstaunen ergriffen worden; doch ahnen mußte sie wohl, daß hier ein besonderes Abenteuer im Spiel sein müsse, als ihr der tapfere Heerführer Aguillar, der sich eben im Gefolge befand, ins Auge fiel. Im Betstuhl kniend, die Hände gefaltet, starrte er zum Gitter des Chors herauf, glühende inbrünstige Sehnsucht im düstern Auge. Als die Messe geendet war, begab sich Isabella nach Donna Marias, der Priorin, Zimmern und frug nach der fremden Sängerin. »Wollet Euch o Königin«, sprach Donna Maria, »wollet Euch erinnern, daß vor Mondesfrist Don Aguillar jenes Außenwerk zu überfallen und zu erobern gedachte, das mit einer herrlichen Terrasse geziert den Mauren zum Lustort dient. In jeder Nacht schallen die üppigen Gesänge der Heiden in unser Lager herüber wie verlockende Sirenenstimmen und eben deshalb wollte der tapfere Aguillar das Nest der Sünde zerstören. Schon war das Werk genommen, schon wurden die gefangenen Weiber während des Gefechts abgeführt, als eine unvermutete Verstärkung ihn tapferer Wehr unerachtet nötigte, abzulassen und sich zurückzuziehen in das Lager. Der Feind wagte nicht ihn zu verfolgen und so kam es, daß die Gefangenen und reiche Beute sein blieben. Unter den gefangenen Weibern befand sich eine, deren trostloses Jammern, deren Verzweiflung Don Aguillars Aufmerksamkeit erregte. Er nahte sich der Verschleierten mit freundlichen Worten, aber als hätte ihr Schmerz keine andere Sprache als Gesang, fing sie, nachdem sie auf der Zither, die ihr an einem goldnen Bande um den Hals hing, einige seltsame Akkorde gegriffen hatte, eine Romanze an, die in tiefaufseufzenden herzzerschneidenden Lauten die Trennung von dem Geliebten, von aller Lebensfreude klagte. Aguillar tief ergriffen von den wunderbaren Tönen, beschloß das Weib zurückbringen zu lassen nach Granada; sie stürzte vor ihm nieder, indem sie den Schleier zurückschlug. Da rief Aguillar wie außer sich: ›Bist du denn nicht Zulema, das Licht des Gesanges in Granada?‹ – Zulema, die der Feldherr bei einer Sendung an Boabdils Hof gesehen, deren wunderbarer Gesang seitdem tief in seiner Brust widerhallte, war es wirklich. ›Ich gebe dir die Freiheit‹, rief Aguillar, aber da sprach der ehrwürdige Vater Agostino Sanchez, der das Kreuz in der Hand mitgezogen: ›Erinnere dich, Herr! daß du, indem du die Gefangene freilässest, ihr großes Unrecht tust, da sie dem Götzendienst entrissen, vielleicht bei uns von der Gnade des Herrn erleuchtet, in den Schoß der Kirche zurückgekehrt wäre.‹ Aguillar sprach: ›Sie mag bei uns bleiben einen Monat hindurch und dann, fühlt sie sich nicht durchdrungen von dem Geist des Herrn, zurückgebracht werden nach Granada.‹ So kam es, o Herrin! daß Zulema von uns in dem Kloster aufgenommen wurde. Anfangs überließ sie sich ganz dem trostlosesten Schmerz und bald waren es wild und schauerlich tönende, bald tiefklagende Romanzen, mit denen sie das Kloster erfüllte, denn überall hörte man ihre durchdringende Glockenstimme. Es begab sich, daß wir einst um Mitternacht im Chor der Kirche versammelt waren und die Hora nach jener wundervollen heiligen Weise absangen, die der hohe