Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther Kabel
lagen. Mehr Material vermag ich Ihnen nicht zu liefern. Sehen Sie zu, was Sie damit ausrichten.«
»Danke. Es wird wohl genügen,« meinte Schaper, indem er die Sachen, die Pareawitt ihm reichte, auf den Schreibtisch legte. »Und was gedenken Sie selbst zu tun?« fragte er sodann.
»Ich kehren mit dem nächsten Dampfer nach Südafrika zurück, wo ich, wie gesagt, dringend zu tun habe, nachdem Pelletan das Weite gesucht hat. Damit wäre das Geschäftliche erledigt,« meinte der Oberingenieur etwas zögernd. »Wenn es Ihre Zeit erlaubt, möchte ich nun noch gern eine Auskunft von Ihnen haben, und zwar hinsichtlich jenes Sensationsfalles, den die Presse der ganzen Welt unter dem Titel »Die Mumie der Königin Semenostris« behandelte.«
»Bitte – fragen Sie nur,« sagte Schaper liebenswürdig, obwohl er wußte, daß draußen im Vorzimmer noch ein halbes Dutzend Klienten wartete.
»Dank’ Ihnen! – Dann also – jener Amerikaner, den man zu den eigenartigsten Verbrechertypen der modernen Zeit rechnen muß, starb durch Gift, nicht wahr? Und weiter, hatte er eigentlich irgend welche Anverwandten, die sich nach seinem Tode meldeten?«
»Ihre erste Frage kann ich bejahen. Der Mann endete durch ein Gift, das der Wissenschaft bisher unbekannt war. In seinem Nachlaß fand ich am Morgen nach seinem Tode eine Art Testament, in dem er die Behörden im Falle seines plötzlichen Endes bat, sofort einen gewissen Thomas Shepperley von seinem Hinscheiden zu benachrichtigen. Dieser Shepperley wohnte seit einiger Zeit in Berlin, legitimierte sich als alter Freund des Amerikaners und erhielt dessen Leiche nach deren Freigabe durch die Polizei zur Beerdigung ausgehändigt. Der Tote wurde dann in aller Stille auf dem Kirchhof der Berliner Fremdenkolonie beigesetzt. Sonst hat sich niemand um den grauenvollen Menschen gekümmert, der ohne Zweifel ein hochbegabter Chemiker von immensem Wissen gewesen sein und über Kenntnisse verfügt haben muß, die unseren Gelehrten noch ein Buch mit sieben Siegeln sind.«
Pareawitt nickte nachdenklich mit dem Kopf.
»Ja, ein merkwürdiges Genie war es wirklich, das muß man sagen! Ich habe mich wahrhaftig nie um Kriminalfälle gekümmert; aber diese Sache, die jetzt ein reichliches halbes Jahr zurückliegt, haftet noch ganz genau in meinem Gedächtnis. Nur der Ausgang des Dramas war mir entfallen. – So, nun vielen Dank. Leben Sie wohl, Mr. Schaper. Und – wenn Sie eine Spur von dem Erben entdecken sollten, geben Sie mir telegraphisch Nachricht.«
* * *
Nachdem der Detektiv dann die übrigen Klienten abgefertigt hatte, nahm er ein Kursbuch zur Hand und suchte sich den passendsten Zug nach Danzig heraus. Sodann klingelte er nach seinem Bureauvorsteher.
»Lemke, ich fahre heute abend 10 Uhr 58 Minuten nach Danzig,« sagte er seinem treuen Mitarbeiter Bescheid. »Es liegt eine ziemlich »fette« Sache vor – Millionenerben werden gesucht. Da möchte ich persönlich die nötigen Nachforschungen anstellen.«
Lemke nickte. »Die übrige Arbeit, die wir augenblicklich haben, ist ja auch nichts Aufregendes. Alles Durchschnittssachen,« meinte er. »Damit werden schon unsere Leute fertig. Nur – hm, ja –«
»Nur –? Was wollen Sie mit diesem Wörtchen sagen? – Zieren Sie sich nicht! Heraus mit der Sprache!«
»Der Brief, der gestern eintraf, Herr Schaper, an den denke ich. Sie scheinen das –«
»Donner und Doria!« rief der Detektiv temperamentvoll. »Sie haben recht. Das habe ich vergessen. Bringen Sie mir doch einmal den Brief her. Ich will ihn nochmals durchsehen und mich dann entschließen, welche Schritte zunächst zu tun sind.«
Schaper, der den gestern eingetroffenen Brief nur flüchtig durchgesehen hatte, da wichtigere Dinge ihn gerade beschäftigten, las jetzt in Ruhe das in mehrfacher Beziehung recht merkwürdige Schreiben nochmals Wort für Wort. Die Handschrift zeigte keine Besonderheiten, war vielmehr etwas unbeholfen, fast kindlich.
Der Inhalt lautete folgendermaßen:
Gauben i. Pommern, den 8. August 19…
Bevor ich Ihnen, geehrter Herr Schaper, die Einzelheiten des Falles, den ich Ihrer Findigkeit anvertrauen möchte, mitteile, muß ich Ihnen offen bekennen, daß ich in den bescheidensten Vermögensverhältnissen lebe und nur ein geringes Honorar, etwa 300 Mark, zahlen könnte. Ich schicke dies voraus, damit Sie auch in dieser Hinsicht genau informiert sind und mir nicht den Vorwurf machen können, Ihnen dies verheimlicht zu haben. Ich weiß, Ihre Zeit ist kostbar. Sollten Sie daher für die angegebene Summe die Sache nicht erledigen können, so bitte ich diesen Brief zu verbrennen. Erhalte ich in einer Woche keine Nachricht, so entnehme ich daraus, daß Sie diesen Auftrag ablehnen. Jedenfalls aber müßte ich darauf bestehen, daß Sie persönlich meine Angelegenheit in die Hand nehmen, da ich der festen Überzeugung bin, daß eine Hilfskraft Ihres Instituts, und sei es die tüchtigste, hier nicht ausreicht.
Nun kurz den Sachverhalt. Vor einem halben Jahre etwa mietete ich von dem Kaufmann Wernicke, Gauben, die in der Nähe dieses Städtchens liegende sogenannte Mönchsabtei, ein altes, in einem Garten gelegenes Gebäude, in dem früher Karthäuser Mönche gehaust haben sollen. Ich bin ein alter Mann, dem das Leben übel mitgespielt hat und der hier fern dem Getriebe der Welt, die mich nur enttäuscht hat, seine Tage beschließen wollte. Ein langjähriger Diener teilt meine Einsamkeit, nebenbei ein Mann, der mein vollstes Vertrauen verdient und auf den keine Spur von Verdacht fallen kann, daß er etwa bei den rätselhaften Vorgängen, die Sie sofort hören werden, irgendwie mitbeteiligt ist. – Meine Hoffnung, hier in der Mönchsabtei in Ruhe und Frieden leben zu können, hat sich leider nicht bestätigt. Gleich nach meinem Einzug, in der zweiten Woche des Februar, stürzte mein Diener schreckensbleich eines Abends in mein Arbeitszimmer. Nach vieler Mühe erst brachte ich den vor Angst halb Bewußtlosen zum Reden. Er erzählte mir dann folgendes, und die späteren Vorfälle haben gezeigt, daß er leider nicht phantasierte, sondern seine Schilderung auf voller Wahrheit beruhte. Er war gegen neun Uhr noch ein wenig im Garten auf und abgegangen, da das milde, prächtige Wetter geradezu zum längeren Aufenthalt im Freien verlockte. Auf seiner Promenade hatte er sich ganz absichtslos auch in die Nähe der sogenannten Prior-Kapelle begeben, die abseits von dem Hauptgebäude steht und fraglos früher einmal tatsächlich zur Abhaltung von Gottesdiensten genutzt worden ist, worauf sowohl die Form als auch die Innenausschmückung der jetzt halbzerfallenen und von Efeu überwucherten kleinen Baulichkeit schließen läßt. Hier war es, wo mein treuer Hartung plötzlich einer grauen Gestalt ansichtig wurde, die mit langschleppenden Gewändern aus einer Seitenallee hervorkam und langsam auf die Kapelle zuschritt. Hartung, ein Mann in den besten Jahren, dabei mutig und völlig frei von Aberglauben, rief die Erscheinung an und näherte sich ihr gleichzeitig, wobei ihn jedoch plötzlich ein so starkes Gefühl des Grauens überkam, daß er es nicht wagte, direkt auf die wie ein Schatten lautlos dahingleitende Gestalt loszuspringen. Jedenfalls blieb sein Anruf ohne Erfolg, und der Unbekannte – falls es sich eben um einen Menschen handelt, verschwand in der längst aus den Angeln gefallenen Tür der Prior-Kapelle. Inzwischen hatte mein Diener seine Anwandlung von Furcht überwunden und drang nun, indem er einen am Boden liegenden Spaten als Waffe aufgriff, und das Flämmchen seines Taschenfeuerzeugs als Leuchte benutzte unerschrocken in die Ruine ein. Im Innern fand er einige trockene Zweige, die er schnell zu einer primitiven Fackel vereinte, bei deren Licht er die Kapelle gründlich durchsuchte. Diese besteht aus zwei Räumen. Durch die Tür gelangt man in die eigentliche Kapelle, die vielleicht sechs Meter lang und vier Meter breit ist. An der gegenüberliegenden Wand führt ein schmales Pförtchen in einen Anbau, eine Art Sakristei, die jetzt ebenso leer ist wie der Hauptraum und in der ebenfalls nur Ratten, Mäuse und Spinnen ihr Wesen treiben. Einen zweiten Ausgang gibt es nicht, worauf ich besonders aufmerksam mache. Die Fenster, zwei Meter über dem zertrümmerten Steinplattenboden gelegen, sind mit noch verhältnismäßig gut erhaltenen Ziergittern versehen.
Hartung entdeckte auch nicht eine Spur von der seltsamen Erscheinung, die in der Kapelle verschwunden war, obwohl er jeden Winkel, fast jede Mauerritze ableuchtete. Nachdenklich, von einem gewissen Unbehagen befangen, wollte er durch die Tür gerade wieder ins Freie hinaustreten, als eine unsichtbare Hand ihm die noch brennenden und inzwischen ergänzten Zweige aus der Hand riß und in die dünne, winterliche Schneedecke des Gartens schleuderte. Hartung, der augenblicklich herumfuhr um den Attentäter, den er hinter sich