Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
Diebl. Ah, blasiert!
Anatol. Ich habe keine Lust, mich zu unterhalten, mir fehlt dein Talent zum Lustigsein.
Baron Diebl. Wie lustig hab ich dich schon gesehen!
Anatol. Da hast du mich mißverstanden. Jedenfalls hab ich meine Lustigkeit gehabt ... und nicht die der andern!
Baron Diebl. Na, 's ist jeder lustig, wie er kann.
Anatol. Ja, und für die eure da unten bedank ich mich bestens!
Baron Diebl. Ah, wir sind dir vielleicht nicht genug fein mit den Frauenzimmern ...
Anatol. Was sind sie euch denn überhaupt?
Baron Diebl. Wenn man dich so reden hört, so möchte man glauben, daß du ganz andere Weiber geliebt hast als wir gewöhnlichen Menschen ...
Anatol. Gewiß ... denn ich war es, der sie liebte! Oder meinst du wirklich, daß ich dasselbe Leben führte wie ihr, wie du? Du meinst, daß unsere Abenteuer dieselben waren, weil sie von außen gleich aussahen? Du und deinesgleichen ... ihr sucht in jedem Weib die Kokotte ... ich hab in jeder Kokotte das Weib gesucht!
Baron Diebl. Daraus folgt nur, daß ich nicht so lange zu suchen brauchte ...
Anatol. Und daß du dich häufig geirrt hast!
Baron Diebl. Und du jedesmal ... wie jeder, der die Frauen anbetet!
Anatol. Ich bete sie nicht an!
Max. O ja! Du betest das an, was du in sie hineinträgst. Es ist Künstlereitelkeit!
Anatol. Darum begreifen mich auch die Dilettanten der Liebe nicht!
Baron Diebl. Nun, so übe doch deine Künstlerschaft heute unter uns!
Anatol. Das kann man nicht immer ...
Baron Diebl. Vielleicht gibt es doch eine, die dich heute interessieren könnte.
Max. Das Fräulein Hanischek?!
Baron Diebl. O nein! Etwas ganz Besondres... ein Mädchen, jung und schön wie eine Göttin! Heut das erstemal unter uns!
Max. Allein?
Baron Diebl. O nein ... mit ihm ... mit Flieder!
Anatol. Mit wem?!
Baron Diebl. Mit dem Flieder von der Oper.
Anatol. Ach, Annette?
Baron Diebl. Ja. Er ... eifersüchtig wie ein Narr zum Totlachen – sie ... entzückend, naiv beinahe!
Anatol. Grüße sie von mir!
Baron Diebl. Also auch das zieht nicht? Ja, womit soll man dich denn eigentlich locken? Sag, Max, ist er etwa ernstlich verliebt? (Zu Anatol.) Oder sehnst du dich nach etwas ganz Wunderbarem, Unberührten ... nach einer, die noch nichts, gar nichts vom Leben und der Liebe weiß? Hab ich nicht recht, Max? Na warte! Das nächste Mal bringen wir dir eine Jungfrau mit!
Anatol. Nicht nötig. Ich mache mir meine Jungfrauen selber!
Baron Diebl. Oh, das dürfte manchmal seine Schwierigkeiten haben!
Anatol. Ist das nicht der einzige Ehrgeiz in der Liebe?
Max. Nein, nur der einzige unerfüllbare!
Anatol. Die andern alle zu Vergessenen machen, zu nie Gewesenen.
Baron Diebl. Ja, aber denke, wenn diese Mühe nicht einmal notwendig ist ...
Max. Wenn man nichts, gar nichts zu verzeihen hat ...
Anatol. Man hat immer etwas zu verzeihen.
Max. Auch wenn man der erste ist?
Anatol. Ja, daß es vielleicht ein anderer hätte sein können! Ja, man hat dort, wo man der erste ist, vielleicht noch mehr zu verzeihen als in andern Fällen ... sich selbst!
Baron Diebl. Mit dem Herrn werden wir heute nicht fertig.
Anatol. Laß dich nicht stören, Max!
Max. Willst du hier allein bleiben?
Anatol. Noch eine Weile. Vielleicht findest du mich noch, wenn du heraufkommst.
Max (zu Baron Diebl). Nun, da will ich auf ein paar Augenblicke mit dir gehen.
Baron Diebl. Auf Wiedersehen also, mein melancholischer Anatol!
Anatol. Adieu! (Baron Diebl und Max ab.)
Anatol (zündet sich eine Zigarre an, sieht über das Terrassengeländer in die Dämmerung hinaus – dann nimmt er Hut und Stock und will gehen. Die Türe öffnet sich, und Annette tritt auf die Terrasse).
Annette. Herr Anatol!
Anatol. ...?
Annette. Oh, Sie wollten fortgehen?
Anatol. Fräulein Annette, Sie sind es?
Annette. Ja, es ist Fräulein Annette! Man hat mich um Sie geschickt ...
Anatol. Sie sind also wirklich hier mit diesen Leuten?
Annette. Ja, der Baron hat es Ihnen doch gesagt!
Anatol. Freilich, freilich ...
Annette. Und warum sind Sie denn so traurig?
Anatol. Traurig?
Annette. Warum wollen Sie nicht zu uns? Es ist so hübsch! Wenn Sie dabei wären, wäre es noch viel hübscher!
Anatol. Ich begreife eigentlich gar nicht, daß Sie da sind!
Annette. Wieso?
Anatol. Ich verstehe nicht, wie man sich mit seinem Glück unter Leute ... und noch dazu, nein, nein, wie man sich überhaupt unter Leute mischen kann ...
Annette. Wie ... das verstehen Sie nicht? Da sind Sie ja geradeso wie er!
Anatol. Wieso?
Annette. Er versteht es eigentlich auch nicht. Sie glauben nicht, wie ungern er mit mir unter Leute geht!
Anatol. Ah!
Annette. Immer möchte er mit mir allein sein ...
Anatol. Das ist ja nur selbstverständlich!
Annette. Ja, wissen Sie, zuweilen gehe ich recht gerne mit ihm spazieren, denn ich liebe die Natur ...
Anatol. So!
Annette. Oh, sehr!
Anatol. Aber Sie haben auch die Menschen gern, wie? Lustige Gesellschaft, wo man singt und trinkt!
Annette. Oja ... das hab ich eigentlich noch lieber.
Anatol. Und weiß er das?
Annette. Er muß es ja wissen.
Anatol. Sagen Sie's ihm?
Annette. Was sollte ich ihm sagen?
Anatol. Nun, so etwa: Mein Freund, ich hab dich sehr lieb, aber die Einsamkeit macht mich sehr traurig ... und ich will lustig sein.
Annette. Ja, sehen Sie, wenn ich ihm das so geradeheraus sagte, würde es ihn kränken ... er ist so eifersüchtig auf alles! Ich darf manchmal nicht einmal lachen!
Anatol. Nun, so tun Sie's jetzt, wo er Sie nicht hören kann.
Annette. Ja ... aber jetzt bin ich gar nicht dazu aufgelegt.
Anatol. Sooo!
Annette. Und gerade wenn ich's bin, darf ich nicht! Neulich erst ...
Anatol. Nun, was stocken Sie denn?
Annette. Ich bleibe zu lange bei Ihnen, man wird ungeduldig werden ...
Anatol. Aber erzählen Sie doch. (Zieht sie neben sich auf die Bank, hält ihre Hand, sie sieht ihn an, lächelt dann