Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
betrogen ...
Max. Nun, was weiter? Diese Person ...
Anatol. Ja, aber was sie damals zu sein schien! Konnte man's denn ahnen? Welche Kunstfertigkeit in der Verstellung! Und dabei war sie damals ... ach was, damals ... bevor sie den ersten Kuß von einem Mann empfangen, war sie es ja! Das Erlebte ist ja so zufällig! Ihr erster Liebhaber darf auf sie nicht stolzer sein als ihr letzter!
Max. Nun ja ... Willst du nun fort?
Anatol. Aber muß sie denn jetzt die Wahrheit gesprochen haben? In diesem Weibe haben sich die Erinnerungsbilder mit der Zeit vielleicht verändert, verschoben, verfälscht! Sie hat mich damals vielleicht wirklich verstanden und weiß es heut nicht mehr!
Max. Ja sag, was bist du für ein Grübler! Um dieses Weib, das du seit zwanzig Jahren vergessen, grämst du dich in diesem Augenblick von neuem?
Anatol. Es ist dumm ... es ist krank! Aber mein Leichtsinn ist so schwermütig geworden. Ich schleppe alle meine Erinnerungen mit mir herum ... und an manchen Tagen streue ich sie aus ...
Max. Wie einen Sack von Perlen ...
Anatol. Und lauter falsche!
Max. Wenn aber eine davon echt war?
Anatol. Was hilft's ihr? Sie muß mit den andern den Fluch des Mißtrauens tragen! Man kennt sie nicht auseinander, unmöglich! Und wer weiß, vielleicht hab ich einmal das Weib geliebt, das mich wirklich verstanden, und durfte glücklich sein ... und hab es nicht gewagt ... Kommst du mit mir? (Sie gehen die Treppe hinunter.)
Annette (rasch hereinstürzend, sieht sich um).
Flieder (ihr nach). Wohin, wohin?
Annette. Bist du schon wieder da?
Flieder. Ich wußte es ja, es zog dich wieder da herauf!
Annette. Aber was sprichst du denn? Zu wem denn?
Flieder. Was willst du auf der Terrasse?
Annette. Mit dir allein sein!
Flieder. Mit mir?
Annette. Ich wußte es ja, daß du mir folgst!
Flieder. So?
Annette. Es hat mich früher so geärgert, daß du mich so lange allein ließest! Und wärst du mir nicht gefolgt ... ich hätte nicht mehr glauben können, daß du mich liebst ...
Flieder. Weißt du's nun?
Annette. Ob ich's weiß ... mein Geliebter!
Flieder. Ich will dir was sagen, Schatz, gehen wir!
Annette. Wie ...?
Flieder. Ja. Kehren wir nicht mehr unter die Menschen zurück, da unten ... Gehen wir ... allein ... zu dir ...
Annette. Aber jetzt schon? (Zerstreut.) Schau, da geht er ...
Flieder (sehr ärgerlich). Wer denn?
Annette. Nun, Anatol ... und Max!
Flieder. Was schaust du denn hinaus? Was interessiert dich denn das?
Annette. Man wird doch etwas bemerken dürfen!
Flieder. Aber nicht, wenn ich dir von meiner Liebe spreche! Und gerade diesen Herrn beliebst du zu bemerken!
Annette. Am Ende gar eifersüchtig?
Flieder. ...?
Annette. Aber mein süßes Engerl ... auf so einen Alten!!
(Vorhang.)
Anatols Grössenwahn
Personen.
Anatol
Max
Baron Diebl
Musiker Flieder
Berta
Annette
[Stücktext]
Die Gartenseite eines freundlichen Gasthofes, dessen Front den größten Teil des Hintergrundes einnimmt. Eine breite Terrasse läuft der ganzen Front des Gasthofes entlang; zu derselben führen von der Szene, die einen Garten vorstellt, zwei Treppen hinauf. Im Hintergrund, soweit derselbe nicht durch das Haus gedeckt ist, eine anmutige Hügellandschaft, die eben in Dämmerung zu versinken beginnt. – Während die eine Seite des Hauses in die Kulisse gerückt ist, steht die andere frei – und an dieser Seite läuft eine Pappelallee, die direkt an dem Gitter des Gartens vorüberführt. Auf der Terrasse stehen, ebenso wie im Garten, einzelne Tische mit Stühlen, die alle leer sind. Anatol und Max sitzen an einem der Tische, die auf der Terrasse stehen, Zigaretten rauchend.
ANATOL. Erinnerst du dich noch, mein lieber Max, wie wir das letztemal da saßen?
MAX. Das ist schon lange her, glaub ich!
ANATOL. Ja ... Ich brauchte damals zufällig diese Dekoration ... mit ihrer Anspruchslosigkeit und Milde ... ich brauchte diese Landstraße mit den trivialen Pappeln ... diese Wiesen da drüben, mit ihrem lauen Grün ... die nahen Hügel, die im Abendrot verschwimmen ...
MAX. Und heute?
ANATOL. Heute lieb ich diesen Hintergrund um seiner selbst willen –
MAX. Deine letzte Liebe?
ANATOL. Nein ... nur eine neue Art von Liebe, die eben jetzt an die Reihe kommt, die Liebe für die Dinge als Dinge –
MAX. ?
ANATOL. Für die Natur als Natur ... für die Hügel als Hügel ... für die Zigarren als Zigarren ... für den persischen Diwan als Diwan ..., während ich ja bisher an den Dingen nur ihre Beziehungen zu den Menschen liebte.
MAX. Also mit uns Armen bist du fertig?
ANATOL. O nein! Meine Freunde – dich ganz insbesondere – lieb ich noch immer.
MAX. Glaub doch das nicht! Ich bin immer nur für die Stichwörter dagewesen.
ANATOL. Wenn es so war ... das ändert sich jetzt, mein Lieber. Ich fürchte, auch das ist ein Zeichen nahenden Alters. Ich interessiere mich in der letzten Zeit auffallend für die Meinungen anderer.
MAX. Ah!
ANATOL. Ich kann zuhören, ich werde aufmerksam ...
MAX. Hast du mich darum nach so langer Zeit wieder aufgesucht?
ANATOL. Ich hatte ein so tiefes Bedürfnis, wieder mit dir zu reden! Mir ist, als hätte ich dir ein Testament vorzuplaudern!
MAX. Ach geh ... was ist das für eine neue Pose! Sentimentalitäten!
ANATOL. Nein ... es ist so ernst ... das Ende, mein Lieber! Mein Herz setzt seinen letzten Willen auf!
MAX. Macht's dich melancholisch?
ANATOL. Nein, o nein. – Ich will nicht mehr geliebt werden – ich will nicht.
MAX. Na, du würdest dich drein zu ergeben wissen.
ANATOL. Nein – ich will nicht meine letzte Illusion verlieren!
MAX. Welche denn?
ANATOL. Daß die Jungen von uns nichts zu fürchten haben! Das ist eine von denen, die ich mir mühsam erhalten habe.
MAX. Du hast sie ja nie gehabt, diese Illusion! Glaube doch das nicht! Immer warst du ein Virtuose der Eifersucht!
ANATOL. Mag ja wohl sein! Ich redete so ins Blaue ... es fiel mir nur ein ...! Hast du übrigens etwas dagegen, wenn ich das Gegenteil von dem behaupte, was ich vor einer Minute sagte?
MAX. Oh, ich erwartete es!
ANATOL. Zuweilen möcht' ich doch wieder geliebt werden!