Dr. Norden Staffel 8 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Decke und blieb dort hängen. Ihr Gesichtsausdruck war bewegt, als könnte sie dort oben etwas erkennen, was niemand außer ihr sah.
»Egal, was Sie mit mir anstellen. In spätestens zwei Wochen muss ich hier raus sein. Sonst platzt unser Projekt.«
Obwohl sie immer noch an die Decke starrte, wusste Danny, dass sie mit ihm sprach.
Der nächste Satz fiel ihm schwer.
»Das kann ich unter diesen Umständen nicht verantworten.«
Bevor sich Stella von ihrem Schrecken erholt hatte, meldete sich Moritz zu Wort. Auch seine Gedanken kreisten unaufhörlich um das Schicksal seiner Schwester. Auch er war auf der Suche nach einer Lösung.
»Gibt es denn keine Alternative?«
»Es gibt eine Art Chemotherapie. Sie stoppt aber lediglich das Wachstum der Zysten. Zurückbilden oder die Krankheit gar heilen kann sie nicht.«
Moritz seufzte.
»Also doch operieren?«, fragte er.
»Ja«, bestätigte Danny schweren Herzens.
In diesem Moment befand Stella, dass sie lange genug stillgehalten und geschwiegen hatte.
»Und wenn ich mich weigere?« Wie ein Peitschenhieb hallte ihre Stimme durch’s Zimmer.
Erschrocken fuhren die beiden Männer herum.
»Wie meinst du das?«
Trotzig sah sie von einem zum anderen.
»Na, wenn ich mich nicht operieren lasse?«
»Dann riskieren Sie Ihr Leben«, mahnte Danny Norden ernst. Er sah auf die Uhr. Höchste Zeit, sich auf den Weg in die Praxis zu machen. »Bitte überdenken Sie Ihren Entschluss noch einmal. Ich komme in meiner Mittagspause wieder. Der Operationstermin ist für heute Nachmittag um drei Uhr festgesetzt. Bis dahin brauche ich eine Entscheidung.« Er nickte dem Geschwisterpaar zu und verließ das Zimmer.
Leise fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
»Da gibt es nichts nachzudenken. Ich setze doch diese tolle Chance im Orient nicht aufs Spiel«, erklärte Stella bockig.
Moritz traute seinen Ohren nicht. Er trat ans Bett und packte sie an den Armen. Am liebsten hätte er sie geschüttelt, um sie zur Vernunft zu bringen. Nur die Infusionen in ihrer Armbeuge hinderten ihn daran. So begnügte er sich damit, ihren Blick einzufangen und festzuhalten.
»Was hast du von dieser tollen Chance, wenn du sie nicht überleben wirst? Hallo?«
Stella wehrte sich verzweifelt gegen den Griff ihres Bruders. In ihren Augen standen Tränen.
»Aber ich will dieses Stelle antreten! Ich will einfach!«, schluchzte sie so verzweifelt auf, dass sich sein Herz vor Mitleid zusammenzog.
Er ließ sie los und sank neben ihr auf die Bettkante.
»Vielleicht gibt es ja eine andere Möglichkeit … Du könntest zum Beispiel später nachkom …«
»Das glaubst du doch selbst nicht«, unterbrach sie ihn unwirsch. »Es gibt genug andere Interessenten. Da wird mir doch kein Platz freigehalten.«
Moritz suchte fieberhaft nach einer Lösung.
»Ich könnte mit dem Chef reden. Vielleicht lässt sich da irgendwas machen.« Er wusste selbst, wie hilflos er klang, und verfluchte sich dafür.
Genau wie Stella.
»Ich will nicht, dass du schon wieder ein ›gutes Wort‹ für mich einlegst«, fauchte sie. »Warum kapierst du nicht endlich, dass ich mir meine Lorbeeren selbst verdienen will? Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie satt ich es habe, dass alle denken, ich bekäme die tollen Stellen nur wegen dir!« Sie regte sich so sehr auf, dass die Wunde trotz der vielen Medikamente zu schmerzen begann. Stöhnend hielt sie inne.
Mit diesem Vorwurf hatte Moritz nicht gerechnet. Er traf ihn ins Mark.
»Wie bitte? Erstens ist das völliger Blödsinn. Und zweitens: Seit wann interessiert dich die Meinung anderer Leute? Lass sie sich ihr Maul zerreißen. Das ist uns doch egal.« Er wollte ihre Hand nehmen.
Doch Stella zog sie weg.
»Hör endlich auf, dich in mein Leben einzumischen! Du versuchst doch nur, mich mal wieder klein zu halten.«
»Jetzt reicht’s aber langsam.« Am liebsten hätte sich Moritz die Ohren zugehalten. Der Zorn seiner Schwester war noch viel schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Nie im Leben hätte er mit dieser Abrechnung gerechnet. Es traf ihn wie ein Keulenhieb, dass sie ganz anders empfand als er. Dass offenbar nur er das Gefühl einer perfekten Symbiose hatte. Ratlos und sichtlich geschockt erhob er sich von der Bettkante. »Du hast viel durchgemacht und solltest dich jetzt ausruhen. Ich komme später wieder.«
Ehe Stella Gelegenheit zu einer Antwort hatte, ging er mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf zur Tür und verließ das Zimmer. Mit ein paar Worten hatte Stella alles zerstört, woran er immer geglaubt hatte. Jetzt wusste er nicht mehr, was er denken sollte.
*
Als Dr. Daniel Norden das Zimmer seiner Patientin betrat, dachte er zuerst, sich geirrt zu haben. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, dass die Frau im Bett tatsächlich Nicole Rosenholz war. Sie lag ausgestreckt da und drehte langsam den Kopf, um ihn zu mustern. Ihre Augen lagen in tiefen Höhlen. Jeder Glanz war daraus verschwunden. Die Lippen waren rissig und durch die eingefallenen Wangen hatte ihr Gesicht die vertrauten Konturen verloren.
Obwohl Dr. Norden bemüht war, sich den Schrecken nicht anmerken zu lassen, durchschaute Nicole ihn sofort.
»Ich sehe aus wie eine Leiche«, murmelte sie erstaunlich klar.
»Kein Wunder nach all dem, was Sie hinter sich haben.« Dr. Norden zog sich einen Stuhl ans Bett. Schon auf dem Weg zum Zimmer hatte er darüber nachgedacht, was er Nicole sagen sollte. Von Angesicht zu Angesicht gab es jedoch keine Fragen mehr. Die kranke, junge Frau hatte keine Kraft mehr für Vermutungen. Sie brauchte Gewissheiten. »Nachdem wir jetzt endlich wissen, was Ihnen fehlt, wird es Ihnen bald besser gehen.«
Nicole verzog das Gesicht.
»Sie wollen nur nicht, dass ich den Lebensmut verliere.«
Daniel Norden schluckte. Damit hatte sie gar nicht mal so unrecht.
»Ich will vor allen Dingen nicht, dass Sie Ihr Leben verlieren«, erklärte er mit fester Stimme und nahm ihre Hand. »Aber jetzt, da wir endlich herausgefunden haben, was Ihnen fehlt, wird das auch nicht passieren.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, sah er ihr fest in die Augen.
»Was habe ich denn?«, fragte sie.
Daniel lächelte sie aufmunternd an.
»Das verrate ich Ihnen nur, wenn Sie mir versprechen, vor Schreck nicht tot umzufallen«, schlug er einen scherzhaften Ton an.
Diesmal war das Lächeln auf Nicole Rosenholz‘ Gesicht deutlich erkennbar.
»Das mit dem Umfallen dürfte mir im Augenblick schwer fallen. Also sagen Sie schon: Was ist los mit mir?«
»Sie haben einen Wurm im Kopf«, ließ Dr. Norden endlich die Katze aus dem Sack.
Nicole durchbohrte ihn mit Blicken.
»Haben Sie das mit eigenen Augen gesehen?«
Unvermittelt befand er sich in einer Zwickmühle.
»Wenn es Ihnen besser geht, plaudere ich ein wenig aus dem Nähkästchen und erzähle Ihnen von meinen diagnostischen Erfolgen«, redete er sich heraus. »Nicht, weil ich mich damit brüsten will, sondern um Ihnen zu beweisen, dass ich nicht der Schlechteste meines Jahrgangs war.«
»Aber offenbar nicht gut genug, um zu wissen, dass ich keine Vaskulitis habe«, erwiderte sie schonungslos.
Einen kurzen Moment war Dr. Norden sprachlos.
»Alle Achtung. Die Kollegen warnten