Dr. Norden Staffel 8 – Arztroman. Patricia Vandenberg
lange nachdenken. »Nicole Rosenholz. Hübsches Mädchen. Ich habe gehört, dass sie an einer Vaskulitis leidet.«
»Richtig.« Daniel schenkte zwei Gläser Wasser ein, trank einen Schluck und lehnte sich zurück. Sein Blick war sorgenvoll. »Nachdem wir nicht wissen, was die Erkrankung hervorgerufen hat, mussten wir auf Verdacht behandeln. Erstaunlicherweise erzielten wir bereits mit dem ersten Medikament einen durchschlagenden Erfolg. Schon ein paar Stunden nach der Infusion hat sich ihr Zustand dramatisch verbessert.«
»Das ist doch fantastisch!«, freute sich Danny über den Erfolg seines Vaters. Zumindest für den Augenblick war der Ärger mit Tatjana vergessen. »Und warum machst du dann ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter?«
»Weil Frau Rosenholz heute Mittag einen weiteren Krampfanfall, diesmal mit Herzstillstand, erlitten hat. Zum Glück war Matthias im Zimmer. In letzter Sekunde ist es ihm gelungen, sie zu retten.«
Danny konnte es nicht fassen.
»Das ist ja furchtbar.« Schwer vorstellbar, dass eine so blühende junge Frau so krank war. »Und jetzt? Wie geht es jetzt weiter?«
»Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung«, musste Daniel gestehen. »Wenn ein Medikament so eine Reaktion hervorrufen kann, wäre es unverantwortlich, die Behandlung mit anderen Wirkstoffen fortzusetzen. Zumindest so lange wir nicht wissen, was die Vaskulitis ausgelöst hat. Damit würden wir ständig Nicoles Leben riskieren.«
Diesem Argumente war wenig entgegenzusetzen. Das wusste auch Danny Norden.
»Das heißt, dass ihr kaum mehr tun könnt, als die Entzündung medikamentös in Schach zu halten.«
»Du siehst das genauso?« Insgeheim hatte Daniel auf eine Idee seines Sohnes gehofft. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Ich denke drüber nach. Vielleicht fällt mir was ein«, versprach er. »Fährst du heute noch einmal in die Klinik?«
Daniel verneinte.
»Das würde nicht viel nützen. Bis wir in die eine oder andere Richtung weitermachen können, muss sich Nicole erst einmal erholen.« Er sah seinen Sohn nachdenklich an. »Wie läuft es denn mit deiner Patientin? Stella Baumann?«
Wenigstens in diesem Fall gab es halbwegs gute Neuigkeiten.
»Für mich positiv, für sie so lala«, gestand Danny. »Im Gegensatz zu Nicole wissen wir bei ihr zumindest jetzt, was für die Leberveränderung verantwortlich ist. Leider ändert das nichts an der Tatsache, dass wir noch einmal operieren müssen. Morgen früh hab ich das Vergnügen, ihr diese Botschaft zu überbringen.«
»Aber immerhin gibt es berechtigte Hoffnungen auf eine Heilung. Was fehlt ihr denn?«
»Offenbar hat sie sich bei einem ihrer Auslandsaufenthalte eine Wurminfektion zugezogen, die bislang unbemerkt verlief.«
»Würmer!«, wiederholte Dr. Norden sichtlich überrascht.
»Ganz recht. Da wäre ich nie im Leben drauf gekommen. Aber die Befunde aus dem Labor sind eindeutig.« Danny sah hinüber zu seinem Vater, der geistesabwesend auf dem Sofa saß. »Hörst du mir überhaupt zu?«
Die ungeduldige Stimme riss Daniel aus den Gedanken.
»Natürlich«, versicherte er schnell. »Hatte sie keine Beschwerden? So angegriffen, wie ihre Leber ist, muss sie doch etwas gemerkt haben.«
»Mit Sicherheit hat sie das. Aber Stella ist vom Ehrgeiz zerfressen. Genauso wie ihr Bruder übrigens. Zumindest ist das meine Meinung. Um ihre Träume zu verwirklichen, schonen sich die beiden nicht.«
»Das tun wir auch nicht«, lächelte Daniel Norden, als er aufstand, um seinen Sohn zur Tür zu bringen. Allmählich wurde es Zeit, nach Hause zu gehen. »Aber offenbar haben wir uns gesündere Träume ausgesucht.«
»Und liebende Menschen um uns, die uns immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen.« Unwillkürlich musste Danny wieder an Tatjana denken, und er nahm sich vor, sie nach seinem Besuch im Fitness-Studio um Verzeihung zu bitten. Das Leben war eindeutig zu kurz für Streit. Das zeigte das Beispiel Nicole Rosenholz wieder einmal mehr als deutlich. Und mehr noch: Inzwischen vermisste er die Harmonie zwischen sich und seiner großen Liebe so sehr, dass es fast weh tat.
*
Danny Norden schwitzte auf dem Laufband, als er aus den Augenwinkeln bemerkte, wie ein Mann auf das Gerät neben ihm stieg. Er wandte den Kopf und erkannte Moritz Baumann, der das Handtuch über den Halter warf. Der fühlte den Blick auf sich ruhen und sah hoch.
»Ach, sieh mal einer an. Heute Abend scheint sich die halbe Belegschaft der Klinik hier verabredet zu haben. Vorhin hab ich schon zwei Schwestern und einen Arzt getroffen.«
»Schon möglich«, keuchte Danny unwillig.
Er war nicht gerade erpicht darauf, neben seinem Konkurrenten zu trainieren. Moritz hingegen schien sich über die Begegnung zu freuen. Er startete das Gerät und lief los.
»Ich dachte mir, ich tobe mich vor dem Gespräch mit Stella morgen noch einmal so richtig aus«, fuhr er im Plauderton fort.
»Gute Idee. Sport baut erwiesenermaßen überschüssiges Adrenalin ab. Wenn unser Körper Adrenalin freisetzt, erhöhen sich Blutdruck, Herzfrequenz und Blutzuckerspiegel. Die Bronchien erweitern sich«, dozierte Danny wie ein wandelndes Medizinlexikon. »Normalerweise wird das Adrenalin schnell wieder abgebaut. Hält der Stress aber an, schadet die ständige Überdosierung Herz und Kreislauf.« Ohne seinen Lauf zu unterbrechen, griff er nach dem Handtuch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Moritz schickte ihm einen bewundernden Blick und lachte.
»Vielen Dank für den Einblick in die Welt der Medizin. Da häng ich doch gleich noch eine Stunde dran an mein Programm.« Das Gerät erhöhte das Tempo, und langsam geriet auch er außer Atem. »Schade nur, dass Tatjana heute nicht dabei ist. Sie würde meine Motivation ins Unermessliche steigern.«
Trotz des Sports bemerkte Danny, wie sich sein Magen vor Ärger zusammenzog.
»Wem sagen Sie das?«, erwiderte er knapp.
Die Episode in der Praxis hatte ihm zu denken gegeben. Auf keinen Fall wollte er noch einmal die Beherrschung verlieren.
Moritz ahnte nichts von den Gefühlen seines Laufband-Nachbarn und lachte arglos.
»Sagen Sie bloß, dass Sie auch ein Auge auf die schöne Bäckerin geworfen haben?«
»Nein. Das würde mir gar nicht in den Sinn kommen«, hörte sich Danny zu seiner eigenen Überraschung sagen. »So eine Traumfrau hat ein Mann doch nie für sich allein.« Mitten im Training hielt er das Laufband an. »Diese ständige Sorge … ist gerade wieder ein Kerl hinter ihr her … wird sie nicht doch mal schwach … nein.« Entschieden schüttelte er den Kopf. »So was kann ich nicht brauchen.« Er trocknete das Gesicht und hängte sich das Handtuch um den Hals. »Dann viel Spaß noch beim Adrenalin-Abbau.« Er nickte Moritz zu. »Und nicht vergessen: Lieber ein bisschen mehr trainieren.« Mit diesen Worten machte er sich auf den Weg in die Umkleide.
Moritz Baumann sah ihm nach.
»Was ist nur mit dem Doc los? Er wirkt reichlich unentspannt«, murmelte er. Einen Moment dachte er noch über Danny nach. Als aber gleich darauf eine hübsche Blondine das frei gewordene Laufband belegte, geriet der Arzt schnell in Vergessenheit.
Während Moritz noch eifrig flirtete, wollte Danny so schnell wie möglich nach Hause. Wenn er seine Gedanken und Sorgen noch länger für sich behielt, würde er platzen. Trotz Sport. Das war ihm während des Gesprächs mit Moritz erschreckend klar geworden. In rasender Fahrt hetzte er durch die Stadt und parkte den Wagen endlich vor dem Häuserblock, in dem ihre gemeinsame Wohnung lag.
*
Lange bevor Danny das oberste Stockwerk erreichte – er verzichtete darauf, den Aufzug zu benutzen –, wusste Tatjana schon, dass er kam. Auf diesen Moment hatte sie nur gewartete und warf einen letzten, prüfenden Blick auf den gedeckten Couchtisch. Weingläser schimmerten