Dr. Norden Staffel 8 – Arztroman. Patricia Vandenberg
und versuchte, sie zurück auf den Stuhl zu ziehen.
Vergeblich. Stella wollte nicht.
»Wenn alles gut geht, sind Sie in ein paar Tagen wieder auf den Beinen.« Danny Norden wollte seinen Teil dazu beitragen, damit seine Patientin die richtige Entscheidung treffen konnte.
Sie musterte ihn aus schmalen Augen.
»Wie lange dauern bei Ihnen ein paar Tage?«
Mit dieser Frage erwischte sie ihn eiskalt. Er wusste, dass er keine leichtfertigen Auskünfte geben durfte.
»So, wie sich die Situation jetzt darstellt, tippe ich auf höchstens zwei Wochen.« Dieses Zeitmaß hielt er für durchaus vertretbar.
Stella schien seine Ansicht zu teilen. Nachdenklich wiegte sie den Kopf, ehe sie zu ihrem Bruder hinüber sah.
»Zwei Wochen?«
»Das würde haargenau passen.«
Sie nickte.
»Also gut!«
Vor Erleichterung hätte Danny Norden am liebsten die Faust in die Luft gereckt. Doch er wusste, was sich gehörte, und begnügte sich mit einem zufriedenen Lächeln.
»Heißt das, Sie stimmen einem Eingriff zu?«, fragte er vorsichtshalber nach.
»Vierzehn Tage ist genau die Zeit, die uns bis zur Abreise noch bleibt. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht, wenn ich mich in dieser Zeit in der Klinik ausruhe. Dann ist Moritz wenigstens beschäftigt genug, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen«, erklärte Stella vielsagend in die Richtung ihres Bruders.
Sie wusste nichts von der Unterhaltung, die Moritz und Tatjana in der Bar des Fitness-Studios geführt hatten. Doch die Blicke, die er der schönen Sportlerin im Studio zugeworfen hatte, waren ihr nicht entgangen. Sie lächelte süffisant.
»Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst«, wehrte sich Moritz. Um die leidige Diskussion gar nicht erst in Gang kommen zu lassen, wandte er sich an Dr. Norden junior. »Wann können Sie operieren?«
»Gleich morgen früh«, entschied Danny und erhob sich. »Ich habe schon ein Zimmer für Sie vorbereiten lassen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?« Um der Situation wenigstens ein bisschen Leichtigkeit zu geben, deutete er eine Verbeugung an und machte eine entsprechende Geste.
Seine Bemühungen wurden honoriert.
»Der junge Mann hat Potenzial, findest du nicht?«, fragte Stella ihren Bruder laut und deutlich, als sie an Danny vorbeiging. Dabei zwinkerte sie dem Arzt zu, der lachte und ihr kopfschüttelnd folgte.
*
Die Nacht war noch tiefschwarz, als der Wecker klingelte und Tatjana aus dem Schlaf riss. Als Danny am Abend zuvor nach Hause gekommen war, hatte sie schon geschlafen. Trotzdem brauchte sie sich nicht zu ihm umzudrehen, um zu wissen, dass er neben ihr lag. Obwohl er kaum wahrnehmbar atmete, sagten ihr ihre Instinkte, dass er da war.
Wie jeden Morgen gönnte sie sich noch ein paar Minuten, ehe sie die Beine aus dem Bett schwang. Sie tappte hinüber ins Bad und genehmigte sich eine ausgiebige Dusche. Erst danach nahm sie den Tag in Angriff. Ohne Frühstück verließ sie die Wohnung, stieg die knarrenden Treppen hinab und trat hinaus in den kalten Morgen, der ihr den Atem rauben wollte. Sie zog den Schal vor den Mund und machte sich auf den Weg. Ein paar Meter weiter hörte sie das leise Quietschen eines Fahrrads.
»Hallo, Frau Brunner. Alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte sie die Zeitungsfrau, der sie fast täglich begegnete.
»Oh, ich stelle gerade mal wieder fest, dass ich nicht hierher gehöre«, erwiderte die Austrägerin schlagfertig. »Ich gehöre an einen Strand, in einem Bikini, und mit einer Kokosnuss in der Hand. Das ist mir heute früh klar geworden.«
Tatjanas Lachen hallte von den Häuserwänden wider. Ihr Atem stand in einer Wolke vor ihrem Mund.
»Dann sind wir schon zu zweit. Kommen Sie doch in ein, zwei Stunden in der Bäckerei vorbei. Dann schmieden wir Fluchtpläne.«
»Aber nur, wenn Sie diese sündigen Zimtschnecken haben. Bei diesen Temperaturen braucht man ordentlich Kalorien, damit man nicht erfriert.«
»Ich mach mich sofort an die Arbeit!«, versprach Tatjana, winkte und eilte weiter, um nicht vollkommen auszukühlen. Nur eine halbe Stunde später schob sie das zweite Backbleche in den Ofen und ging hinüber ins Café, um sich eine erste Tasse Kaffee zu kochen.
Sie liebte diese stillen Stunden, bevor das Geschäft wie jeden Morgen zu neuem Leben erwachte. Mit der Tasse in den Händen lehnte sie am Tresen und beobachtete die Sonne, die über den Häuserdächern aufging. Es versprach, ein kalter, aber schöner Tag zu werden, und sie schickte einen versöhnlichen Gedanken zu ihrem Freund, der noch immer selig schlief. Nach zwei weiteren Stunden Arbeit und einem Plausch mit Frau Brunner, die sich ihre Zimtschnecke abgeholt hatte, hielt ein Taxi vor der Tür. Tatjana hatte es bereits erwartet.
»Hallo, Thomas!«, begrüßte sie den Fahrer. Sie reichte ihm zwei Tüten mit ofenfrischen Brötchen und süßen Teilchen, wie man sie nur in den ›Schönen Aussichten‹ bekam. »Mit den besten Grüßen an die Frau Gemahlin.«
»Danke. Zur Klinik wie immer?«, fragte er und stieg aus, um Tatjanas kostbare Ware in den Kofferraum zu laden. »Was bekommt die Chefin denn diesmal?«
»Mini-Zimtschnecken, Heidelbeer-Käsehappen, Apfeltäschchen, Trüffel-Muffins … Ich glaube, das war’s.«
»Und ich glaube, dass ich doch eines Tages mit Ihren Leckereien durchbrennen werde.«
»Das würde ich mir gut überlegen. In diesem Falls müssten Sie mich nämlich mitnehmen«, drohte Tatjana und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen.
»Da gibt’s nichts zu überlegen«, scherzte Thomas. Er legte den ersten Gang ein und setzte den Blinker. »Mal abgesehen davon, dass Sie eine Augenweide sind, sind Sie der Garant für den Nachschub an den besten Backwaren, die ich je gegessen hab.«
»Wenn das so ist …« Unter munterem Geplauder setzten die beiden das Gespräch fort, bis sie ihr Ziel wenige Minuten später erreicht hatten. »Vielen Dank. Den Rückweg mache ich zu Fuß. Die Platten kann Danny heute mitnehmen. Er ist bestimmt in der Klinik.« Tatjana verabschiedete sich von ihrem Fahrer und machte sich mit ihrer süßen Last auf den Weg.
Wie immer freute sich Jenny Behnisch über die Leckereien, die ihr und ihren Gästen jeden Tag aufs Neue versüßten.
»Zu schade, dass du das Café nicht hier in der Klinik eröffnet hast. Meine Bäcker und Konditoren sind nicht schlecht. Aber du toppst einfach alles Dagewesene«, lobte sie die Bäckerin überschwänglich.
»Danke für die Blumen.« Tatjana lächelte geschmeichelt. »Aber im Augenblick ist da leider nichts zu machen.«
Die beiden Frauen unterhielten sich noch kurz, ehe ein eingehendes Telefonat dem Gespräch ein Ende bereitete. Tatjana winkte zum Abschied. Höchste Zeit, sich auf den Rückweg zu machen. In Gedanken versunken wanderte sie den Gang hinunter, als sie bemerkte, dass sich ein Mann zu ihr gesellte.
»Guten Morgen, junge Frau. So früh schon auf den Beinen?«
»Ach, Herr Baumann … Ich meine, Moritz«, korrigierte sie sich. »Das ist das Schicksal eines jeden Bäckers. Aber bei den Hoteliers ist es offenbar nicht anders.«
»Im Normalfall muss ich nicht zu nachtschlafender Zeit aufstehen. Aber meine Schwester wird gleich heute früh operiert.«
Diese Nachricht bedauerte Tatjana sehr.
»Oh, tut mir leid. Gibt es schon einen Befund?«
»Eine Flüssigkeitsansammlung in der Leber, wahrscheinlich wegen des Sturzes gestern«, erwiderte Moritz und machte vor einer Tür Halt.
Auch Tatjana blieb stehen.
»Dann wünsch deiner Schwester bitte viel Glück von mir«, bat sie und wollte sich verabschieden, als Moritz sie zurückhielt.
»Stella