Dr. Norden Staffel 8 – Arztroman. Patricia Vandenberg
was dahintersteckt.«
»Aber das ist hoffentlich nicht der einzige Grund, warum du hier bist«, tat Felix seine Hoffnung kund. Allmählich erholte er sich von dem Schock. »Ich bin nämlich wirklich so toll, wie die Mädels in der Tram erzählt haben. Meine Familie übrigens auch. Aber das hast du ja schon festgestellt.« Er zwinkerte ihr zu. »Gestern hatte ich nur einen schlechten Tag. Silvester ist nicht so mein Ding. Da werde ich immer sentimental.«
»Kein Wunder«, erwiderte April. Sie machte ihrem selbstgewählten Namen alle Ehre und wurde plötzlich ernst. »Das Leben gleicht einer Reise, Silvester einem Meilenstein.«
Wieder einmal gelang es ihr, ihre Umwelt zu überraschen.
»Das ist von Fontane.« Felix durchbohrte sie mit Blicken. April verwirrte ihn. Ihr schlechtes Benehmen und ihre mitunter schreckliche Ausdrucksweise standen in krassem Gegensatz zu der verletzlichen Zartheit und der Bildung ihres Geistes. »Heute Nacht hast du auch so einen Spruch losgelassen.«
April schürzte trotzig die Lippen. Sie wusste, was er dachte.
»Na und? Nur weil ich heimatlos bin, heißt das noch lange nicht, dass ich keine Bildung habe«, wies sie ihn so scharf zurecht, dass Fee beschloss, dazwischen zu gehen.
»Darf ich dich noch was fragen, bevor du ihm den Kopf abreißt?«
Mit dieser Bemerkung nahm sie April den Wind aus den Segeln. Ehe Fee es sich versah, fand sie sich in einer innigen Umarmung wieder. Ein klebriger Kuss landete auf ihrer Wange.
»Du darfst alles, Frau Mama-Doktor. Dich mag ich.« Sie legte den Kopf schief und wirkte plötzlich wie ein kleines Mädchen.
»Bist du wirklich nur wegen der Spaßbremse Felix in seinen Wagen gestiegen oder gibt es noch einen anderen Grund, warum du ausgerechnet in München gelandet bist?«, versuchte Fee, ihr Geheimnis zu ergründen.
»Eigentlich bin ich nur auf der Durchreise. Ne Cousine von mir hat ein Hotel in Österreich. Da kann ich arbeiten.« Aprils Ehrlichkeit war entwaffnend. »Aber wenn ich darf, bleib ich erst noch ein bisschen hier. Hier gefällts’s mir.« Sie drehte sich zu Felix um und zwinkerte ihm zu. »Außerdem muss ich unbedingt noch deine Schwester kennenlernen. Die, die statt Kleidern Gardinen trägt.«
»Wie bitte?« Diese Bemerkung war auch für Fee zu viel.
Felix hingegen verdrehte nur die Augen und lachte.
*
»Habe ich was vergessen?« Dr. Jenny Behnisch stand vor dem Schreibtisch ihrer Assistentin und dachte nach.
Andrea Sander ging die Liste noch einmal durch.
»Sämtliche Termine habe ich Dr. Norden in den Online-Kalender kopiert. Ihre Teilnahme am Kongress habe ich abgesagt, Ihr Vortrag ist verschoben. Die Kollegen Wimmer und Kühn von der Ambrosius-Klinik kommen erst, wenn Sie wieder da sind«, zählte sie einen Stichpunkt nach dem anderen auf. »Ihre Fälle und die anstehenden Operationen haben Sie ja selbst an den Kollegen übergeben. Den Namen des Hotels habe ich. Aber ich verspreche hoch und heilig, Sie in Ruhe zu lassen und Ihnen die Mitarbeiter vom Leib zu halten. In den paar Tagen wird ja wohl nicht viel passieren.«
Jenny nickte, während sie in ihrer Handtasche nach Handy und Autoschlüsseln suchte.
»Ach ja, halten Sie bitte in der Akte fest, dass Frau Lohmeier auf keinen Fall operiert werden darf. Das hab ich über der Diskussion mit Daniel völlig vergessen.«
Andrea machte sich eine entsprechende Notiz am Ende der langen Liste und hob den Kopf.
»Fertig! Dann können Sie jetzt in den wohlverdienten Urlaub aufbrechen.« Noch immer war sie ganz begeistert von der romantischen Idee, die Roman gehabt hatte.
»Wenn ich meine Schlüssel finde, schon.« Jenny schnitt eine unglückliche Grimasse.
»Nehmen Sie inzwischen doch die hier!« Andrea nahm den Bund vom Schreibtisch und klimperte damit.
Jenny Behnisch schüttelte den Kopf.
»Wie kommt der denn da hin?«
»Den haben Sie heute morgen hier liegen gelassen.«
»Unglaublich.« Sie bedankte sich bei ihrer Assistentin und wünschte eine gute Zeit. »Jetzt muss ich aber wirklich los. Sonst macht Roman seine Drohung wahr und schleppt mich über der Schulter aus der Klinik.«
Andrea Sanders Lachen verfolgte sie bis hinaus auf den Flur. Auch auf Jennys Gesicht spielte ein Lächeln, als sie durch die Tür in den kühlen, aber sonnigen Januartag trat. Allmählich machte sich die Vorfreude auf ein paar entspannte Tage breit. Sie hätte es niemals eingestanden, aber insgeheim war sie Romand, dankbar für seine Hartnäckigkeit. Seit dem letzten Urlaub war schon wieder viel zu viel Zeit ins Land gezogen. Wenn Jenny ehrlich war, fühlte sie sich ausgelaugt und erschöpft, wie ihr Lebensgefährte wenig später selbst feststellte.
»Früher haben mich meine Freundinnen vom Beifahrersitz aus angehimmelt, wenn wir gemeinsam in den Urlaub gefahren sind«, beschwerte er sich und setzte den Blinker, um in die Hoteleinfahrt abzubiegen.
»Sind wir schon da?« Verschlafen blinzelte Jenny in die Welt.
»Schon ist gut!« Roman lachte. »Wir sind eine geschlagene Stunde im Stau gestanden. Aber ich freue mich, dass du dich ausruhen konntest.« Er stieg aus und ging um den Wagen herum, um ihr die Tür aufzuhalten.
»Nimm es als Zeichen meines Vertrauens in deine Fahrkünste.« Neugierig sah sie sich um. »Du hast mal wieder einen exzellenten Geschmack bewiesen«, lobte sie die Wahl ihres Lebensgefährten.
»Wart’s ab, bis wir erst drinnen sind.« Er legte den Arm um ihre Schultern und führte sie ins Hotel.
Roman hatte nicht zu viel versprochen. Jenny war begeistert vom gelungenen Stilmix des Hauses. Wie selbstverständlich fügten sich alpenländische Handwerkskunst und moderne Elemente zu einer harmonischen Einheit zusammen.
»Alle Achtung. Da hat dein Freund Herbert ganze Arbeit geleistet.«
»Schön, wenn du dich wohlfühlst.« Das Paar stand an der Rezeption, um die Anmeldeformalitäten zu erledigen.
»Ich glaube, es gefällt mir noch besser, wenn ich satt und zufrieden bin«, spielte Jenny auf ihren leeren Mangen an, der seit dem Croissant am Morgen nichts mehr bekommen hatte.
»Sie können sich gleich unseren Nachmittagssnack schmecken lassen«, bot die Rezeptionistin freundlich an. »Exklusiv für unsere Gäste bieten wir täglich ab 14 Uhr ein kleines Buffet aus kalten und warmen Speisen, an denen sie sich bedienen können.«
Das ließ sich Jenny nicht zwei Mal sagen. Nur ein paar Minuten später saß sie mit Roman am Tisch und ließ sich eine wärmende Kürbissuppe mit knusprigen Croutons schmecken. Dabei wanderten ihre Gedanken zurück zum letzten Urlaub, den sie gemacht hatten.
»Weißt du noch, wie ich dir damals nach Afrika gefolgt bin?« Das Bild stand ihr noch deutlich vor Augen: Roman, wie er allein auf dem Barhocker saß und reglos aufs Meer hinaus starrte.«
Er folgte ihr willig und beschwor die Vergangenheit herauf.
»Damals dachte ich, dass ich dich für immer verloren hätte.«
»Ich weiß. Du wolltest mehr Verbindlichkeit, Sicherheit. Mehr Zuneigung und Wärme von mir«, erinnerte sie sich und schickte ihm einen zweifelnden Blick. War es ihr gelungen, ihm all das zu geben?
»Im Gegenzug hast du mir gesagt, dass du nie die anschmiegsame Frau sein wirst, die sich jeder Mann wünscht.«
Jenny legte den Kopf schief und sah ihn prüfend an.
»Und? Wie kommst du inzwischen damit klar?«
»Solange du dir unter Androhung von Gewalt immer mal wieder Zeit nimmst für mich, ist alles in Ordnung.« Roman lächelte das Schulbubenlächeln, das Jenny so an ihm liebte. In diesem Moment klingelte ihr Mobiltelefon. »Du musst nicht jedes Mal dein Handy im Pool versenken«, erinnerte er sich an den gezielten Wurf von damals. »Es genügt, wenn