Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik
Ausnutzung!« schallte es der Truppe aus dem Haufen entgegen.
»Feuer!«
Scharf und abgehackt fiel das Kommando von den Lippen des Hauptmannes.
Kein Finger krümmte sich, kein Schuß krachte. Die Eingeborenentruppe stand, als ob das Kommando nicht ihr gegolten hätte.
Der Hauptmann stürzte nach vorn … die gespannte Schußwaffe in der Hand, entschlossen, die ersten Meuterer niederzuschießen. Da sah er die Gesichter der schwarzen Soldaten, sah in die Augen der beiden weißen Offiziere und begriff, daß seine Macht hier zu Ende sei.
Von seiner Truppe verlassen … als Offizier entehrt … mit seiner Karriere fertig …
Ein kurzer Augenblick … dann richtete er die Schußwaffe gegen sich selber. Ein Knall. Sterbend sank er nieder. Nur die beiden weißen Offiziere eilten zu ihm, bemühten sich um den Verscheidenden.
Aber der kurze scharfe Knall wirkte auch weiter. Auf die Truppe, die jetzt zu begreifen begann, daß das Blut, das dort in den Sand rann, viel anderes Blut fordern würde. Auf die streikenden Grubenarbeiter, unter denen unverkennbar Emissäre tätig waren.
Schon sprang einer von denen auf eine umgestürzte Tonne und hielt eine donnernde Ansprache. Zum Teil an die Arbeiter … mehr noch an die Soldaten gerichtet.
»Bravo! … Bravo! … Der weiße Sultan wollte Hunderte von euch ermorden … Eure schwarzen Brüder sind ihm nicht gefolgt … zu uns gehören sie … in unsere Reihen …«
Fahnen wurden geschwungen. Neues Geschrei erscholl aus dem Haufen. Viele hundert Arme streckten sich den Soldaten entgegen.
Im Augenblick kam es zur Verbrüderung. Die einzelnen Soldaten wurden umarmt, auf die Schultern gehoben. Hilfreiche Hände nahmen ihnen die schweren Gewehre, die lästigen Patronentaschen ab, und im Nu waren die Waffen in der Arbeitermenge spurlos verschwunden … in die Hände ganz anderer Leute übergegangen.
Ein schwarzer Korporal schwang sich im Augenblick zum Befehlshaber der führerlosen Truppe auf. In einer kurzen Ansprache wies er die Schützen darauf hin, daß ihr Blut nicht den weißen Ausbeutern und deren selbstsüchtigen Zwecken, sondern den schwarzen Brüdern gehöre.
Die klirrenden Fensterscheiben des Verwaltungsgebäudes lenkten die Aufmerksamkeit der Menge von seinen Worten ab. Durch die Fensterhöhle konnte man schon einzelne Arbeiter beim Plündern beobachten.
Unwiderstehlich reizte der Anblick den ganzen Haufen. Ein paar große Schnapsfässer, aus den Kantinenräumen auf den Hof gerollt, taten das übrige.
Eine halbe Stunde später ergoß sich ein johlender und brüllender Haufen von Arbeitern, gemischt mit Soldaten, in das kleine Bergstädtchen. Im Nu waren hier die sämtlichen Läden, soweit sie nicht Schwarzen gehörten, ausgeraubt.
Die Kunde von den Vorgängen auf dem Zechenhofe war bereits vor der Ankunft des Haufens in die Stadt gelangt. Der Major des Schützenbataillons, das auf der Höhe vor der Stadt lagerte, hatte versucht, den Meuterern zwei andere Kompagnien entgegenzuschicken, doch war, wie von unsichtbaren Händen ausgestreut, die Saat des Aufruhrs auch schon unter diesen Truppen aufgegangen. Um es nicht zum Schlimmsten kommen zu lassen, gab der Major den Befehl, zur Garnison zurückzumarschieren.
Er selbst hatte sich an die Spitze des Bataillons gestellt. Er gab das Kommando zum Abmarsch, doch niemand folgte. Ein paar Offiziere, die mit gezogener Waffe die Leute zu zwingen versuchten, wurden selbst niedergeschlagen, sobald sie die Waffe gebrauchten. Andere weiße Offiziere, die ihren Kameraden zu Hilfe kommen wollten, erlitten sofort das gleiche Schicksal.
In diesem Augenblick zog der betrunkene Haufe von der Zeche her in die Stadt ein. Wie sich zwei Ölflecke auf einer Wasserfläche berühren und im Moment eins sind, so fluteten die beiden Massen zusammen. Unter ihren Füßen die zertretenen Leichen der weißen Offiziere.
Drei Tage waren die europäischen Zeitungen mit aufregenden Nachrichten aus dem nordafrikanischen Minengebiet gefüllt. Am vierten Tage meldete der offizielle Telegraph, daß es mit Hilfe weißer Truppen gelungen sei, der Lage Herr zu werden. Schon am ersten Tage hatte die französische Regierung mit Hilfe aller verfügbaren Flugschiffe die nötige Truppenmacht über das Meer geworfen. Mit rücksichtsloser Energie hatte man die Aufstandsbewegung niedergeschlagen und den Streik beendet.
Doch kaum hatten sich die Gemüter beruhigt, als neue Hiobsposten aus Afrika kamen … diesmal aus dem Sambesigebiet.
Hier war um die nach Millionen von Pferdestärken zählenden Wasserkräfte der großen Sambesifälle herum seit einem halben Jahrhundert eine gewaltige Industrie entstanden. Mit Hilfe der in unerschöpflicher Menge zur Verfügung stehenden elektrischen Energie wurden die reichen Bodenschätze, die Erze und Edelerden hier an Ort und Stelle durch europäische Syndikate verarbeitet.
Hier war eine der Hauptquellen, aus denen die Wirtschaft des alten Europa neue Kräfte schöpfte. Hier, wo das tropische Klima die Zahl der weißen Bevölkerung von vornherein niedrig hielt, bildeten die Schwarzen naturnotwendig den Hauptträger der industriellen Leitung. Ohne sie wäre die Ausbeutung der Minen, die Verarbeitung der geförderten Schätze trotz aller technischen Fortschritte unmöglich gewesen.
In diesem Gebiet war es bisher nie zu Ausständen gekommen. Das Niveau der dortigen schwarzen Arbeiterschaft war bedeutend niedriger als das der nordafrikanischen. Sie war gewohnt, widerstandslos allen Anforderungen der weißen Herren zu folgen, mochten diese auch nicht immer gerecht sein.
Jetzt war auch hier die Lage bedenklich. Auf eine unerklärliche Weise waren Funken des eben in Algier ausgetretenen Brandes bis hierher geflogen und hatten gezündet.
Jetzt weigerten sich die Schwarzen hier ganz plötzlich, die größere Arbeitszeit, die sie bisher ruhig angenommen hatten, weiter zu leisten. Auch hier wurde das Wirken fremder Emissäre zweifelsfrei festgestellt.
Schon waren die Unternehmer unter dem Druck der Regierungen bereit, den Forderungen nachzugeben, als die Dinge eine schlimme Wendung nahmen. In einer Nacht waren die Fabriken und Werke im Tschotigebiet von Ausständigen besetzt und die weißen Werkleiter massakriert worden. Die Gefahr, daß das ganze dortige Industriegebiet den Weißen verlorenging, war riesengroß. Schon sah man die Lage als hoffnungslos an.
Da zeigte sich die Jahrhunderte alte englische Kunst, Kolonialpolitik zu treiben, in hellstem Lichte. Mit Zuckerbrot und Peitsche, mit vielen Versprechungen und Erleichterungen auf der einen, mit brutalster Energie auf der anderen Seite wurde die Ordnung wiederhergestellt. Doch waren es wieder bange Wochen, die Europa schwer bedrückten. Flammenzeichen waren aufgezuckt. Ein Wetterleuchten hatte plötzlich das Gewölk erhellt. Aber noch konnten es die wenigsten verstehen, ja nur ahnen, was diese vorzeitig losgegangenen Signale zu bedeuten hatten.
Etwas anderes, ganz Unerklärliches ereignete sich in dieser Zeit an den europäischen Börsen. Langsam, aber unaufhaltsam sank der Kurs der Aktien der E. S. C. Die Börsen schienen das gewaltige Unternehmen der Europäischen Siedlungkompagnie plötzlich mit einem gewissen Mißtrauen zu betrachten.
Das Direktorium wurde mit Anfragen bestürmt. Seine Auskünfte vermochten die Sache nicht zu klären, keinen begreiflichen Grund für das Sinken der Papiere zu geben.
Eins stand fest. Der Anstoß zu dieser ganzen Baissebewegung war von Amerika gekommen. Das europäische Publikum war dann mit Angstverkäufen gefolgt. Aus dem Ball drohte eine Lawine zu werden.
Da kam ein Tag, an dem der Sturz zum Stillstand kam und der Kurs sogar einige Punkte gewann, um sich von nun an ganz langsam zu erholen.
Was war geschehen? Am Abend vor diesem Tage hatte um 10 Uhr eine Sitzung des Direktoriums der E. S. C. stattgefunden. Zum allgemeinen Erstaunen der meisten Teilnehmer war kurz nach der Eröffnung der Sitzung Georg Isenbrandt in das Zimmer getreten. Er folgte einer dringenden Einladung des Präsidenten Reinhardt.
Eine knappe Stunde hatte er gesprochen. War im Anschluß daran sofort nach Asien zurückgekehrt. Als die Mitglieder des Direktoriums nach der Sitzung das Gebäude verließen, zeigten ihre Gesichter nichts mehr von der Sorge, die bis dahin auf ihnen gelastet hatte.
Ihre