Falsches Spiel der Liebe wegen. Barbara Cartland
besser reiten als der Herzog und übertrumpfte ihn bei jedem Hindernisrennen, schon in alten Zeiten, als beide noch kleine Jungen waren.“
Nachdenklich betrachtete Roxana ihr Spiegelbild. Wie alle Bruntwicks hatte sie blondes Haar, aber nicht die gleichen hellblauen Augen wie Caroline, sondern dunklere wie ihre Mutter. Es war eine seltsame Farbe, die bei einer gewissen Beleuchtung fast violett wirkte.
„Stiefmütterchenaugen“, hatte ihr Vater festgestellt und seiner Frau versichert, ihr Blick würde ihn hypnotisieren; er sei ihr rettungslos verfallen.
Roxanas Augen wirkten noch viel geheimnisvoller durch den Kontrast zu ihrer weißen Haut, einem Erbe der Bruntwicks. Wie ihre französischen Vorfahren, deren Porträts sie gesehen hatte, besaß sie ein herzförmiges Gesicht. Wenn sie lächelte, umspielte ein ausdrucksvoller Zug ihren Mund, im Gegensatz zu Carolines klassisch geformten, aber ausdruckslosen Lippen.
Sie erinnerte sich, daß ihr Vater einmal zu ihrer Mutter gesagt hatte: „Ich glaube, du bist eine Hexe, mein Liebling. Jedenfalls hast du mich verhext. Vielleicht bist du die wiedergeborene Morgan le Fay oder eine andere mittelalterliche Hexe, die auf Scheiterhaufen verbrannt wurden, weil sie den Leuten Angst einjagten.“
„Fürchtest du dich vor mir?“ hatte Yvette leise gefragt.
„Ich fürchte nur, daß ich dich eines Tages verlieren könnte. Du weißt ebensogut wie ich, daß ein Mann dich nur anschauen muß, um dich unwiderstehlich zu finden.“
Sie hatte gelacht.
„Darin solltest du ein Kompliment sehen, das dir gilt, mein Liebster. Für mich gibt es nur einen einzigen Mann auf dieser Welt, und ich werde alle Zaubertricks anwenden, die ich beherrsche, um ihn an mich zu fesseln.“
Als hätte sie Roxanas Gedanken gelesen, sagte die Kinderfrau, die neben ihr vor dem Spiegel stand: „Du bist einfach zu hübsch, das ist es. Ich frage mich, was aus dir werden soll - wenn Ihre Gnaden dich nirgendwohin gehen läßt, wo du einen Ehemann finden könntest...“
Diese Worte bedrückten Roxana, denn seit ihrem achtzehnten Geburtstag wünschte sie sich, möglichst bald zu heiraten und diesem Schloß und seinen Bewohnern zu entkommen.
Natürlich träumte sie von einem Ritter in schimmernder Rüstung, der ihrem Vater glich - oder von einem Prinzen, der augenblicklich in tiefer Liebe zu ihr entbrennen und sie auf seinem Pferd entführen würde.
Seit sie in diesem Gemäuer wohnte, war sie unglücklich. Nicht nur, weil ihre Tante sie nicht mochte, sondern auch, weil es keine Liebe in diesen Mauern gab.
Das kleine Haus auf dem Landgut, das der Herzog seinem Bruder gönnerhaft zur Verfügung gestellt hatte, war stets erfüllt gewesen von Sonnenschein und Glück. Roxanas Eltern hatten eine Wärme darin verbreitet, die ihr ganz anders erschienen war als die Glut, die von den Kaminfeuern im Schloß ausging. Hier fröstelte sie sogar in der Sommerhitze.
Als Caroline im April nach London gefahren war, entzückt über ihre neuen Ballkleider und überzeugt von ihrem bevorstehenden gesellschaftlichen Erfolg, hatte Roxana zu Hause bleiben müssen und sich sehr einsam gefühlt. Doch dann sagte sie sich, es wäre sinnlos, Trübsal zu blasen. Sie wollte die wenigen Freuden genießen, die ihr geschenkt wurden.
Vor allem an den Pferden, die sie reiten durfte, fand sie großes Vergnügen - auch wenn sie nur selten Zeit dazu hatte, weil ihr die Herzogin so viele Näharbeiten aufbürdete.
Einen weiteren Trost spendeten ihr die Bücher aus der Bibliothek. Allerdings konnte sie nur abends oder in den frühen Morgenstunden lesen, weil sie tagsüber zu sehr beschäftigt war.
Meist ritt sie mit Caroline aus, aber manchmal auch allein, denn der Herzog hielt es für überflüssig, den Mädchen Reitknechte zur Verfügung zu stellen, wenn sie in der Nähe des Schlosses blieben.
Bei ihrem ersten Ausritt nach Carolines Abreise wurde Roxana von Patrick Fairley erwartet, der die Befürchtung hegte, seine Liebste könnte ihn in London vergessen.
„Glaubst du, sie liebt mich wirklich, Roxana? Wird sie stets daran denken, daß wir zusammengehören?“
Sie versuchte ihn zu trösten, denn sie war der festen Überzeugung, ihre Kusine würde ihm alle Gefühle entgegenbringen, die sie zu empfinden vermochte. Es war nicht jene himmelstürmende Liebe, die Roxanas Eltern verbunden hatte. Zu solchen Leidenschaften würde ein typisch englisches Mädchen wie Caroline wohl nie fähig sein.
Mitte Juni ging die Saison zu Ende. Nachdem der Prinzregent London verlassen hatte und nach Brighton aufgebrochen war, kehrte Caroline nach Hause zurück und freute sich sichtlich, Patrick wiederzusehen.
Jeden Morgen ritt sie mit ihrer Kusine durch den Park und die Wälder zum kleinen Landsitz der Fairleys, und Patrick kam ihnen entgegen. Roxana entfernte sich taktvoll und gesellte sich erst wieder zu den beiden, wenn es an der Zeit war, den Heimweg anzutreten.
Es wäre unmenschlich gewesen, hätte sie sich nicht hin und wieder nach einem Mann gesehnt, der sie mit so liebevollen Augen ansah wie Patrick seine Caroline und ihr zärtliche Worte zuflüsterte.
Vielleicht werde ich alt und grau werden, niemals das Glück der Liebe erleben, niemals etwas anderes sehen als dieses Schloß und seine Umgebung, dachte sie manchmal verzweifelt.
Sie verlor sich in ihren Träumen und in ihren Büchern, die sie aus den Regalen der Bibliothek holte und die jahrelang unberührt geblieben wären, hätte sie sich nicht dafür interessiert.
Und nun mußte sie erfahren, daß man ihre Kusine zwingen wollte, den Marquis von Quorn zu heiraten. Auch wenn Caroline einen anderen liebte - sie würde zweifellos einen faszinierenden Ehemann bekommen.
„Was soll ich nur tun, Roxana?“ fragte das Mädchen unglücklich. „Ich muß Patrick heiraten! Ich kann keinen anderen heiraten! Außerdem - einem Mann wie dem Marquis wäre ich niemals gewachsen, nicht einmal, wenn ich ihn gern hätte.“
Damit hat sie zweifellos recht, dachte Roxana und fragte: „Wie ist er denn? Beschreib ihn doch mal!“
„Ich glaube, er sieht gut aus“, erwiderte Caroline wiederstrebend. „Aber er wirkt so einschüchternd auf mich. Er ist einfach überwältigend. Und alle Mädchen in London klatschen über seine Liebesaffären.“
„Haben sie dir davon erzählt?“
„Natürlich. In London sprechen alle nur von der Liebe. Und ständig war von irgendwelchen Frauen die Rede, die sich die Augen ausweinten, weil der Marquis sie verlassen hatte - oder von anderen, die sich aufplusterten, weil sie seine Gunst genossen.“
Ähnliche Geschichten hatte Roxana bereits von den Dienstboten gehört.
„Was glaubst du, warum er heiraten will?“
„Oh, das ist kein Geheimnis“, erklärte Caroline. „Er hat sich mit der Frau eines Diplomaten eingelassen und möchte in den Ehestand treten, um internationale Verwicklungen zu vermeiden.“
„Und deshalb hält er um deine Hand an?“ fragte Roxana ungläubig.
Caroline setzte sich wieder auf die Fensterbank.
„Als ich in London ankam, redeten alle nur vom Marquis. Niemand schien sich für andere Leute zu interessieren. Man behauptete, er wäre fest entschlossen, niemals zu heiraten - denn eine ganze Woche mit ein und derselben Frau würde ihn zu Tode langweilen. Lieber hat er sie rudelweise zur Verfügung, wie seine Jagdhunde.“
„Das klingt ja schrecklich!“ rief Roxana.
„Genau das fand ich auch“, stimmte Caroline zu, „aber ich war nicht ernsthaft an ihm interessiert, weil ich immer nur an Patrick dachte.“
„Ja, natürlich. Erzähl doch weiter!“
„Dann begann man über diese ,Madame Sowieso‘ zu tratschen - ich erinnere mich nicht an ihren Namen. Angeblich ist sie wunderschön, hat rotes Haar und grüne Augen, und man flüsterte sich hinter vorgehaltener Hand die tollsten Dinge über den Marquis und sie zu.“
„Und