Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Auf einer Party hat er einfach meine Hand genommen und vor versammelter Mannschaft erklärt, dass er mich heiraten wird. Das war’s.«
Diese Vorstellung überraschte Tatjana genauso wie Marla.
»Er hat dich vorher nicht gefragt?«, hakte die Malerin nach. »Du hattest keine Ahnung von seinen Absichten?«
»Nicht den Hauch einer Ahnung«, musste Marianne zugeben, auch wenn sie sich das heute nicht mehr vorstellen konnte.
»Und du hast ihn trotzdem geheiratet?«, staunte Tatjana nicht schlecht.
Sie hatte die Mutter eines fast erwachsenen Sohnes anders kennengelernt.
Marianne lachte selbst über ihre eigene Naivität von damals.
»Glaubt mir, mit dem Wissen von heute würde mir das im Traum nicht mehr einfallen«, gestand sie und löffelte den restlichen Milchschaum aus ihrer Tasse. »Heute weiß ich, dass ein anständiger Heiratsantrag sehr viel über den Bräutigam und die Ehe aussagt. Aber damals war ich jung und dumm und brauchte die Liebe«, wandelte sie das bekannte Sprichwort für ihre Zwecke ab. Gleich darauf warf sie einen Blick auf die Uhr. »Ich will ja nicht ungemütlich werden, aber allmählich sollten wir die Planung für die Hochzeitfeierlichkeiten in Angriff nehmen, bevor uns die Gäste die Bude einrennen«, gab sie zu bedenken.
Es war kurz nach Mittag, und im Augenblick war das kleine Café mit der angeschlossenen Bäckerei, das Danny Nordens Freundin Tatjana seit einer Weile betrieb, leer. Erfahrungsgemäß würden aber die ersten Kaffeegäste demnächst kommen und der Ruhe ein Ende bereiten.
»Gute Idee«, stimmte Marla diesem Vorschlag zu und warf einen Blick auf Tatjanas Rezeptideen. »In einer halben Stunde muss ich auch los. Ich hab einen Vorsorgetermin bei Danny.« Als sie die Bewegungen ihres Kindes spürte, legte sie intuitiv eine Hand auf den Bauch. Nach einer dramatischen Operation im Mutterleib wuchs und gedieh der kleine Fynn prächtig. Er war auch der Grund für dafür, dass die Hochzeit in wenigen Wochen über die Bühne gehen sollte, bevor sie zu dick für ein Brautkleid war. »Und danach gehe ich Brautkleid anprobieren. Kann einer von euch mitkommen?«
»Tut mir leid. Für so was bin ich eindeutig die Falsche«, lehnte Marianne ohne Zögern ab.
Und auch Tatjana schüttelte den Kopf.
»Ich komme ja wirklich sehr gut klar damit, dass ich weniger sehe als andere«, erklärte sie. »Aber um ein Kleid auszusuchen, ist es vielleicht doch ein bisschen zu wenig. An deiner Stelle wäre mir das Risiko zu groß.«
»Für so was ist doch eigentlich die Brautmutter zuständig«, erinnerte sich Marianne an ihre eigene Hochzeit, die viele Jahre zurücklag.
Marla erschrak und suchte schon nach einer Antwort, als Tatjana ihr diese Sorge abnahm.
»Schon traurig, dass wir beide keine Familie mehr haben, die uns bei solchen einschneidenden Ereignissen beistehen kann.«
»Du hast ja immerhin noch deinen Vater«, warf Marianne ein.
»Aber der lebt weit weg. Und Marla ist ja auch kein Waisenkind. Manchmal trennen sich die Wege eben. Blutsverwandtschaft ist noch lange kein Garant für Sympathie. Nicht wahr, Marla?«
Als die junge Bäckerin angesprochen wurde, zuckte sie zusammen. Sie wagte es nicht, ihrer Chefin in die Augen zu sehen.
»Ja, da ist schon was dran.«
Es war ihr deutlich anzumerken, dass etwas nicht stimmte. Doch dieses eine Mal ließ Tatjanas Gespür sie im Stich. Das lag auch daran, dass die Zeit knapp wurde.
»Wenn das geklärt ist, sollten wir uns an die Arbeit machen.« Sie zog die Listen mit ihren Rezepten zu sich. Die Feier sollte in kleinem Rahmen im Café ›Schöne Aussichten‹ stattfinden. Dazu plante die Chefin ein Buffet, das keine Wünsche offen ließ. Schon jetzt freute sie sich wie ein kleines Kind darauf, ihrer Leidenschaft fürs Zubereiten unwiderstehlicher Köstlichkeiten freien Lauf lassen zu können. Mit Stift und Papier bewaffnet machte sie sich an die Planung, eifrig unterstützt von ihrer Kollegin und der Braut.
*
Die Mittagspause neigte sich ihrem Ende entgegen. Trotzdem blieb noch genug Zeit für eine Tasse Kaffee, die Dr. Danny Norden am Tresen stehend bei seinen beiden Assistentinnen einnahm. Anders als sonst war die Stimmung nicht ausgelassen und heiter, sondern passte zum Regen, der an die Scheiben prasselte.
»… es war ein Lichtung im Wald«, raunte Janine Merck, die das Praxisteam verstärkte, seit Danny Norden Junior in die Praxis mit eingestiegen war. »Keine Menschenseele war zu sehen. Die Frau stand also am Rand der Lichtung, die sich kreisrund vor ihr öffnete. In der Mitte stand eine Bank.«
In diesem Moment flackerte die Flurlampe, Donner grollte. Wendy, die neben Janine an ihrem Schreibtisch saß und mit angehaltenem Atem zuhörte, stieß einen leisen Schrei aus.
Danny verzog das Gesicht zu einer Fratze.
»Huhu, es spukt …« Er hob die Hände, krümmte die Finger und streckte sie nach Wendy aus.
»Hör auf mit dem Unsinn!«, setzte sie sich empört zur Wehr.
»Apropos Spuk, erinnert ihr euch an den Poltergeist, der vor vielen Jahren in einer Zahnarztpraxis sein Unwesen getrieben haben soll«, war auch Dr. Daniel Norden senior weit davon entfernt, Janines Erzählung ernst zu nehmen.
»Jetzt wartete doch mal. Ich bin noch nicht fertig!«, schimpfte sie, und folgsam konzentrierten sich die Kollegen wieder auf ihre Geschichte. »Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. In dem Augenblick, in dem die Frau zur Bank hinübersah, öffnete sich der Himmel, und ein einziger Sonnenstrahl fiel auf die Lichtung und direkt auf die Bank. Er beschien die Gestalt eines Mannes, der dort saß. Ganz in Weiß gekleidet, lächelte er sie an. Das Blut gefror ihr in den Adern.«
»Damit ist er ein Fall für den Schockraum«, krächzte Danny und rollte mit den Augen wie ein Geist.
Diesmal ließ sich Janine nicht beirren.
»Ruhe! Jetzt kommt die beste Stelle«, befahl sie. »Die Frau sah sein Gesicht und erkannte den Mann, dessen Bild sie vor ein paar Tagen in der Zeitung gesehen hatte. Nach einem Streit mit seiner Frau war er mit dem Auto an einen Baum gefahren und gestorben.«
Wendy umklammerte ihre Stuhllehne mit beiden Händen. Das Grauen stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Ganz im Gegensatz zu ihrem Chef Daniel Norden.
»Offenbar war er doch noch nicht ganz hinüber«, stellte er sarkastisch fest und machte keinen Hehl daraus, dass er von diesem Hokuspokus nicht viel hielt.
Janine war beleidigt.
»Also echt!« Sie schlug mit der Hand auf die Tischplatte, und Wendy zuckte zusammen. »Das stand genau so in der Zeitung. Es macht wirklich keinen Spaß, euch was zu erzählen«, beschwerte sie sich und wirkte so enttäuscht, dass sie Danny fast leid tat.
»Ich entschuldige mich in aller Form für meinen grobschlächtigen Vater. Ich fürchte, das ist einfach nicht seine Welt. Er ist viel zu sehr Naturwissenschaftler, um an so was zu glauben. Wie ich im Übrigen auch«, fügte er augenzwinkernd hinzu.
Die ehemalige Krankenschwester zog eine Schnute.
»Aber das hat doch damit nichts zu tun«, verteidigte sie ihre Meinung. »Nur weil sich solche Phänomene wissenschaftlich nicht beweisen lassen, heißt das noch lange nicht, dass es sie nicht gibt.«
»Also, in dem Fall des Zahnarzt-Poltergeistes handelte es sich um eine Zahnarzthelferin, die ein bisschen Aufmerksamkeit erregen wollte«, begründete Dr. Norden seine Haltung.
»Mag ja sein«, ließ sich Janine nicht beeindrucken. »Ein kluger Mann hat einmal gesagt, dass man so lange nicht an Geister glaubt, bis sie vor einem stehen.
Daniel lachte.
»Dann reden wir einfach weiter, wenn mir mein erster Geist über den Weg gelaufen ist.«
Er hatte noch nicht ausgesprochen, als erneut ein