Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman. Patricia Vandenberg
zu überzeugen, derer er fähig war.
Doch er hatte die falschen Worte gewählt. Marlas Augen wurden groß vor Entsetzen.
»Ist es dir egal, wenn wir unseren Fynn verlieren?«, fragte sie unter Tränen. »Ich dachte, wir empfinden dasselbe für unser Kind.«
»So habe ich das doch nicht gemeint.« Verzweifelt versuchte Pascal, sich zu rechtfertigen.
Doch Marla wollte nichts mehr hören.
»Bitte geh!« Sie wandte sich ab und sah Felicitas an, die neben dem Bett stand und die Diskussion schweigend verfolgt hatte. Sie verstand Marla. Aber sie verstand auch Pascal, und das Herz tat ihr weh, wenn sie die beiden so sah.
Der Galerist stand am Bett seiner Freundin und starrte sie einen Moment schweigend an.
»Gut, wie du willst«, traf er schließlich seine Entscheidung und wandte sich ab. Mit schleppenden Schritten ging er zur Tür, als hoffte er, dass Marla es sich noch einmal anders überlegen und ihn zurückrufen würde. Er hoffte vergeblich.
»Und jetzt?«, fragte Fee, als sie allein mit Marla war.
»Jetzt werde ich die Entscheidung allein treffen müssen«, gab die werdende Mutter zurück und brach in Tränen aus.
*
An diesem Tag war es ruhig in der Praxis Dr. Norden, und Daniel konnte sich eine kleine Pause erlauben, die er bei seinen beiden Assistentinnen am Tresen verbrachte. Vor ihm stand eine Tasse Kaffee, die ihm Wendy serviert hatte, und ein Teller mit Leckereien aus Tatjanas Backstube. »Ich sollte mal versuchen, die Teilchen im Dunkeln zu essen«, bemerkte er mit einem Blick auf seinen flachen Bauch, der ihn harte Arbeit kostete. »Dann finden mich die Kalorien vielleicht nicht so schnell.«
Janine brach in Gelächter aus, doch Wendy schüttelte nur den Kopf.
»Das ist ein klarer Fall von Jammern auf hohem Niveau!«, erklärte sie und vermied es, ihren Bauch anzusehen, der sich unter ihrer Bluse wölbte. »Seit Jahren versage ich mir fast jedes Vergnügen und sehe euch dabei zu, wie ihr munter eine Köstlichkeit nach der anderen in euch stopft, ohne ein Gramm dabei zuzunehmen. Und ich werde schon vom Zuschauen dick.«
»Du bist weit davon entfernt, dick zu sein. Ich finde dich genau richtig so, wie du bist«, versichert Janine und schloss ihre geliebte Kollegin, die zu ihrer besten Freundin avanciert war, in die Arme. »Mal abgesehen davon, dass ich jedes Gramm an dir liebe.«
»Da bist du auch die Einzige«, lamentierte Wendy und tröstete sich mit einem Quarkbällchen vom Teller.
»Deine Tochter bestimmt auch«, versuchte Janine weiter hartnäckig, ihrer Freundin gute Laune ins Gemüt zu zaubern. Diesmal gelang der Versuch.
»Das stimmt. Auch wenn wir schwere Zeiten hinter uns haben, kann ich mich immer auf Sabine verlassen. Sie ist ein wahres Goldstück. Auch wenn wir uns nicht so oft sehen, kann ich mir nicht vorstellen, wie ein Leben ohne sie wäre.«
Diese Liebeserklärung an ihre Tochter erinnerte Daniel Norden an den Anruf seiner Frau und an das, was sie erzählt hatte.
»Das ahnt wahrscheinlich auch Marla. Deshalb ist sie bereit, alles dafür zu tun, dass ihr Kind leben darf.« Als er Schritte hinter sich hörte, drehte er sich um und sah Danny an, der im Begriff war, sich zu ihnen zu gesellen.
»Dann stimmt sie dem Eingriff im Mutterleib zu?« Er hatte die letzten Worte seines Vaters aufgeschnappt, konzentrierte sich aber kurz auf die verführerische Auswahl vor seiner Nase. »Das ist wirklich mutig von ihr«, lobte er mit vollem Mund.
»Das sehe ich genauso. Leider hat ihr Freund ihr die Unterstützung versagt.« Daniel Norden griff nach seinem Kaffee und nahm einen Schluck. Über den Rand der Tasse sah er seinen Sohn an, der sich prompt an dem Kirschplunder verschluckte.
»Wie bitte? Pascal ist raus aus der Nummer?« Er hustete, bis ihm die Tränen kamen, und nahm das Taschentuch, das Wendy ihm reichte. »Aber es ist doch auch sein Sohn? Er kann stolz sein wie Oskar, dass Marla das alles auf sich nimmt.«
»Das sehe ich ähnlich. Andererseits verstehe ich auch seine Angst, Marla zu verlieren. Das Risiko ist zwar nicht so hoch, aber passieren kann immer was«, gab Daniel zu bedenken und ging in die Küche, um seine leere Tasse in die Spülmaschine zu stellen.
»Das ist schon richtig. Aber wenn Marla die Entscheidung getroffen hat, dann sollte Pascal ihr verdammt nochmal beistehen.«
Als Daniel Norden Senior aus der Küche zurückkam, zog er tadelnd eine Augenbraue hoch.
»Danny! Ich muss schon sehr bitten. Diese Wortwahl passt nicht zu einem Arzt.«
»Es hört mich ja keiner«, verteidigte sich der junge Mann, und erregte damit Wendys Widerspruch.
»Sind wir niemand?« In ihrer Stimme lag ein deutlicher Vorwurf, den Danny mit dem charmantesten Lächeln, das er auf Lager hatte, entkräftete.
»Ihr gehört doch quasi zur Familie. Und in der Familie darf man sich so geben, wie einem gerade zumute ist«, blinzelte er in die Runde.
Janine und Wendy tauschten verdutzte Blicke.
»Komplimente machen kann er, das muss man ihm lassen«, bemerkte die langjährige Assistentin von Dr. Norden.
Janine hatte keine Gelegenheit zu einer Antwort, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein riesiger Geschenkekorb schob sich herein.
»Nanu, was ist denn das?«, wunderte sich Daniel Norden, als zwischen dem Cellophan ein weiblicher Kopf auftauchte.
»Das soll ein kleines Dankeschön dafür sein, dass Sie unserem Sohn geholfen haben«, erklärte Nina Claas und strahlte von einem Ohr zum anderen, nachdem sie ihre beeindruckende Fracht auf dem Boden neben dem Tresen abgestellt hatte. »Natürlich wiegen all diese Sachen noch nicht einmal annähernd auf, was Sie für Lukas getan haben. Aber vielleicht bescheren sie Ihnen und Ihrer Familie einen schönen Abend in gemütlicher Runde.«
»Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.« Sichtlich überwältigt von dieser Geste suchte Dr. Norden nach Worten. »Das wäre doch nicht nötig gewesen.«
»O doch. Lukas hat nicht eher Ruhe gegeben, bis wir ihm versprochen haben, den größten Geschenkkorb zu kaufen, den wir in der Stadt finden können. Et voilá, hier ist er!«
Um das verlegene Schweigen nicht zu lang werden zu lassen, übernahm Danny das Wort.
»Dann geht es Ihrem Sohn besser?«
»Besser ist gar kein Ausdruck«, beantwortete Nina die Frage des Juniors. »Erst jetzt erkennen wir, wie sehr er sich durch die Krankheit verändert hatte. Seine Genesung ist das größte Geschenk, das wir uns vorstellen können. Aber jetzt muss ich los in die Klinik, bevor das Schokoladeneis im Auto schmilzt. Er wartet schon sehnsüchtig darauf.« Lachend verabschiedete sich Nina Claas und wirbelte aus der Praxis hinaus.
Die ganze Mannschaft der Praxis Dr. Norden sah ihr nach. Nur die Aufmerksamkeit einer Person richtete sich auf den Geschenkkorb auf dem Boden.
»Nicht übel. Ich finde, du könntest dich öfter mal um Eltern verdient machen. Die denken wenigstens daran, nicht nur dich zu belohnen, sondern auch deinen Nachwuchs. Sehr anständig, ich muss schon sagen.«
Im Normalfall wären Dannys Worte eine Steilvorlage für Daniel gewesen, und es hätte einige anzügliche Bemerkungen gegeben. Doch in diesem Augenblick überwog die Rührung, die den Arzt überkommen hatte.
»Das sehe ich genauso«, gab er innig zurück und legte den Arm um Dannys Schultern. »Kinder brauchen zwar viel Kraft. Aber sie geben mindestens genauso viel zurück. Sie machen bessere Menschen aus den Erwachsenen. Deshalb teile ich gern mit euch. Und mit euch natürlich auch«, wandte er sich dann an Janine und Wendy. »Ohne euch wäre das alles nicht möglich.«
Dem war nichts hinzuzufügen, und gerührt wischte sich Janine heimlich eine Träne aus dem Augenwinkel. Während sie tapfer lächelte, nahm sie sich vor, ihr kinderloses Dasein noch einmal einer gründlichen Prüfung zu unterziehen,